Beschluss vom 11.12.2003 -
BVerwG 1 B 224.03ECLI:DE:BVerwG:2003:111203B1B224.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.12.2003 - 1 B 224.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:111203B1B224.03.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 224.03

  • Bayerischer VGH München - 18.06.2003 - AZ: VGH 25 BA 96.32992

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Dezember 2003
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und
R i c h t e r und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. Juni 2003 aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie rügt der Sache nach zu Recht, dass das Berufungsgericht das rechtliche Gehör des Klägers verletzt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG), indem es entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt hat. Eine derartige Rüge hat die Beschwerde sinngemäß mit ihrem Vorbringen erhoben, das Berufungsgericht sei den Angaben des Klägers hinsichtlich der Gefährdung seines Freundes wegen der Vorführung der vom Kläger hergestellten und nach Togo übersandten Videokassette über die EXPO-Demonstration nicht hinreichend nachgegangen und habe den entsprechenden Beweisantrag ohne tragfähige Begründung abgelehnt (Beschwerdebegründung S. 6). Diese Rüge greift durch.
Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet die Gerichte, die entscheidungserheblichen Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann allerdings nur angenommen werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt. So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat den fraglichen Vortrag des Klägers hinsichtlich der Videoaufnahme und der Gefährdung seines Freundes zwar zur Kenntnis genommen; den Entscheidungsgründen ist aber nicht zu entnehmen, dass es dieses Vorbringen ernsthaft in Erwägung gezogen hat. Der Kläger hatte im Berufungsverfahren vorgetragen, er habe die fragliche Videokassette an einen Freund in Togo überbringen lassen; nachdem dieser Freund die Aufnahme im Bekanntenkreis gezeigt habe, sei er denunziert und von (togoischen) Sicherheitskräften gesucht worden; daraufhin sei er nach Deutschland geflüchtet. Der Kläger hatte beantragt, zum Beweis dieser Angaben den Freund als Zeugen zu vernehmen. In der mündlichen Verhandlung hat das Berufungsgericht den Beweisantrag abgelehnt; die angeführten Tatsachen seien für den Fall des Klägers unerheblich; sie beträfen zum einen nicht unmittelbar den Kläger und könnten im Übrigen als wahr unterstellt werden. In den Urteilsgründen geht das Berufungsgericht zwar darauf ein, dass der Kläger anlässlich der Demonstration auf der EXPO eine Videoaufnahme hergestellt habe (UA S. 8). Die Versendung des Videos nach Togo und die mit dessen Vorführung zusammenhängende, vom Kläger vorgetragene Gefährdung seines Freundes in Togo wird jedoch nicht erwähnt. Dem Berufungsurteil ist auch nicht zu entnehmen, dass und aus welchen Gründen das entsprechende Vorbringen des Klägers als wahr unterstellt werden kann und mithin nicht entscheidungserheblich sein soll. Das Berufungsgericht erwähnt lediglich an anderer Stelle, dass selbst nach Auffassung des UNHCR nach Ablauf eines Jahres seit den Ereignissen auf der EXPO 2000 "für gewöhnliche Demonstrationsteilnehmer" eine ernst zu nehmende Gefährdung bei einer Rückkehr nach Togo nicht mehr bestehe (UA S. 10). Die Entscheidungsgründe machen damit deutlich, dass das Berufungsgericht das fragliche Vorbringen des Klägers nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hat. Aus welchen Gründen dieses Vorbringen - seine Wahrheit unterstellt - für die Annahme einer individuellen Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr des Klägers nach Togo aus der rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts von vornherein unerheblich sein soll, ist anhand der Ausführungen des Berufungsgerichts nicht nachvollziehbar. Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalles kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsgericht diesen Teil des klägerischen Vorbringens in der gebotenen Weise berücksichtigt hat.
Wegen dieses Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht, macht der Senat im Interesse der Verfahrensbeschleunigung von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei dieser Sachlage erübrigt sich eine Prüfung der weiter erhobenen Grundsatz- und Verfahrensrüge. Beide Rügen sind im Übrigen nicht in einer Weise dargetan, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügen. Dies hat der Senat zu entsprechenden Rügen der Prozessbevollmächtigten des Klägers in dem gleichzeitig ergehenden Beschluss im Verfahren BVerwG 1 B 174.03 ausgeführt. Hierauf wird Bezug genommen.