Beschluss vom 12.01.2017 -
BVerwG 5 B 41.16 DECLI:DE:BVerwG:2017:120117B5B41.16D0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.01.2017 - 5 B 41.16 D - [ECLI:DE:BVerwG:2017:120117B5B41.16D0]

Beschluss

BVerwG 5 B 41.16 D

  • VGH Mannheim - 31.03.2016 - AZ: VGH 6 S 2250/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Januar 2017
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 31. März 2016 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 050 € festgesetzt.

Gründe

1 1. Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) (a) und eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) (b) gestützte Beschwerde ist unzulässig.

2 a) Zugunsten des Klägers wird angenommen, dass dieser mit der Beschwerde die Frage als rechtsgrundsätzlich aufwirft, ob der Grad der Beschleunigungsbedürftigkeit des Ausgangsverfahrens im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über die Höhe der Entschädigung nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG von Relevanz ist. Anders als der Einleitungssatz "Bei der Prüfung des Urteils konnten mehrere Verfahrensfehler festgestellt werden." andeuten könnte, ist diese Frage ausschließlich materiell-rechtlicher, nicht hingegen verfahrensrechtlicher Natur. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die den Verfahrensablauf regelt, also den Weg zur Entscheidung betrifft (error in procedendo). Die angeblich fehlerhafte Anwendung von Regeln und Grundsätzen, die nicht den äußeren Verfahrensablauf, sondern die materielle Rechtsanwendung bestimmen (error in iudicando), vermögen einen Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO demgegenüber grundsätzlich nicht zu begründen (BVerwG, Beschluss vom 6. Mai 1997 - 9 B 15.97 - juris Rn. 4 m.w.N.). Eine materiell-rechtliche Frage kann nur unter den Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO zu einer Zulassung der Revision führen. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Daran gemessen bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.

3 Die Erhebung von Einwendungen gegen die sachliche Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung allein reicht nicht aus. Die Beschwerde muss vielmehr konkret auf die Rechtsfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit und ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingehen. Dass diesbezügliche Ausführungen gerade zur Klärungsbedürftigkeit und insbesondere eine substantiierte Auseinandersetzung mit der Rechtsauffassung der Vorinstanz hier offensichtlich entbehrlich gewesen wären, ist nicht erkennbar. Jedenfalls an einer solchen substantiierten Auseinandersetzung fehlt es vorliegend. Diese kann nicht durch den Hinweis auf Kommentarliteratur ersetzt werden. Mit der bloßen Annahme, die Beschleunigungsbedürftigkeit könne im Rahmen der Feststellung der Länge der als unangemessen zu bezeichnenden Verfahrensdauer von Relevanz sein, nicht jedoch bei der anschließend festzulegenden Nachteilsentschädigungshöhe, tritt die Beschwerde der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs entgegen, ohne sich dabei jedoch mit dieser fundiert auseinanderzusetzen.

4 b) Nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Ein Verfahrensmangel ist nur dann im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. März 2014 - 5 B 48.13 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 62 Rn. 12 m.w.N.). Daran fehlt es hier sowohl in Bezug auf die Rüge des verfahrensfehlerhaften Unterlassens der Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers zu der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof (aa) als auch hinsichtlich des Vortrages, der Verwaltungsgerichtshof habe den Sachverhalt nicht hinreichend genau ermittelt, erforderliche Feststellungen nicht getroffen und fehlerhaft gerechnet (bb).

5 aa) Ohne Erfolg rügt die Beschwerde, der Verwaltungsgerichtshof habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, das persönliche Erscheinen des Klägers anzuordnen.

6 Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht das persönliche Erscheinen eines Beteiligten anordnen. Im Rahmen der Ausübung des gerichtlichen Ermessens sind einerseits das Interesse an der Sachaufklärung und andererseits der durch das persönliche Erscheinen entstehende Aufwand für den betroffenen Beteiligten abzuwägen. Zudem ist zu berücksichtigen, ob für eine etwa erforderliche Sachverhaltsaufklärung auch auf andere Mittel zurückgegriffen werden kann.

7 Die Rüge hat schon deshalb keinen Erfolg, weil der Kläger nicht dargelegt hat, dass die angefochtene Entscheidung auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Anordnung seines persönlichen Erscheinens beruht. Der Kläger ist der Auffassung, die Anordnung hätte die Grundlage für weitere Feststellungen zu der Frage geboten, ob er als Rechtsanwaltsfachangestellter hätte tätig sein wollen. Diese Frage stellte sich dem Verwaltungsgerichtshof im Zusammenhang mit der Verfahrensförderungspflicht, also der Verfahrensverzögerung. Nach § 198 Abs. 3 Satz 3 GVG muss die Verzögerungsrüge auf Umstände hinweisen, auf die es für die Verfahrensverzögerung ankommt und die noch nicht in das Verfahren eingeführt sind. Anderenfalls werden sie von dem Entschädigungsgericht bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt (§ 198 Abs. 3 Satz 4 GVG). Die Vorinstanz hat mit Blick auf eine Verfahrensverzögerung unter anderem angenommen, dass der Kläger im Ausgangsverfahren nicht vorgetragen habe, er wolle als Rechtsanwaltsfachgehilfe tätig werden. Dies wird von der Beschwerde nicht angegriffen. Mithin wäre eine in der mündlichen Verhandlung auf der Grundlage einer Befragung des Klägers getroffene Feststellung, dass er den Beruf eines Rechtsanwaltsfachangestellten habe ergreifen wollen, für die Entschädigungsklage ohne Bedeutung. Die angegriffene Entscheidung beruht nicht auf dem angeblichen Verfahrensmangel.

8 Davon abgesehen hat die Beschwerde nicht dargetan, dass und aus welchen Erwägungen die Eigentümlichkeiten der Streitsache eine persönliche Anhörung des Klägers, der sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in China aufhielt, trotz anwaltlicher Vertretung erforderlich gemacht hätten.

9 bb) Die Revision ist auch nicht wegen Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht des Gerichts nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO zuzulassen. Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht des Gerichts ist nur dann ausreichend bezeichnet, wenn im Einzelnen dargetan wird, welche Tatsachen auf der Grundlage der insoweit maßgeblichen materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis diese Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte, inwiefern das angefochtene Urteil auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann und dass auf die Erhebung der Beweise vor dem Tatsachengericht durch Stellung förmlicher Beweisanträge hingewirkt worden ist oder - sollte dies nicht der Fall gewesen sein - aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Sachaufklärung dem Gericht hätte aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Januar 2009 - 9 B 64.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 372 S. 20 und vom 5. März 2010 - 5 B 7.10 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 94 S. 11 f. m.w.N.). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.

10 (1) Sollte sie geltend machen wollen, der Verwaltungsgerichtshof habe es unter Verstoß gegen § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterlassen, weitere Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob der Kläger seinerzeit weiter als Rechtsanwaltsfachangestellter habe tätig sein wollen, beruht die angegriffene Entscheidung mit Blick auf § 198 Abs. 3 Satz 3 und 4 GVG - wie dargelegt - nicht auf dem angeblichen Verfahrensmangel. Davon abgesehen versäumt sie es darzutun, welches Ergebnis eine Beweisaufnahme etwa in Gestalt einer Parteivernehmung voraussichtlich gehabt hätte und inwiefern das angefochtene Urteil auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann.

11 (2) Soweit die Beschwerde rügt, die Würdigung der Vorinstanz, es liege eine sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerung des Ausgangsverfahrens "jedenfalls im Umfang von 11 Monaten" vor, impliziere, dass das Gericht die Dauer der sachlich nicht gerechtfertigten Verzögerung "überhaupt nicht ausreichend genau ermittelt [habe] und seiner Auffassung nach auch eine längere Dauer der ungerechtfertigten Verzögerung in Betracht [komme]", hat die Beschwerde selbst dann keinen Erfolg, wenn dies als Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht angesehen wird. Die Beschwerde unterlässt es bereits darzulegen, dass und welche Tatsachen auf der Grundlage der insoweit maßgeblichen materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis diese Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und inwiefern das angefochtene Urteil auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann.

12 (3) Das Vorbringen der Beschwerde, hinsichtlich des Zeitraumes vom 3. März - gemeint ist wohl der 3. Juni - bis zum 30. November 2014 habe es "offensichtlich weiterer tatsächlicher Feststellungen, beispielsweise durch Befragung der betroffenen Richterin, bedurft", hat selbst dann keinen Erfolg, wenn es als Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht angesehen wird. Das Vorbringen lässt schon nicht erkennen, welches Ergebnis eine entsprechende Befragung voraussichtlich gehabt hätte. Dessen ungeachtet ist der Niederschrift über die Sitzung des Verwaltungsgerichtshofs am 31. März 2016 nicht zu entnehmen, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung auf die Erhebung der Beweise durch Stellung förmlicher Beweisanträge hingewirkt hätten. Ebenso wenig wird bezeichnet, aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Sachaufklärung dem Gericht hätte aufdrängen müssen. Der Verwaltungsgerichtshof hat aus dem Umstand, dass der am 11. Mai 2015 ergangene Beschluss mit Datum vom 19. August 2014 ausgefertigt worden ist, geschlossen, dass sich die Sache auch in der Zeit vom 3. Juni bis zum 10. September 2014 in Bearbeitung befunden habe, da offensichtlich mit Datum vom 19. August 2014 ein Beschluss entworfen worden sei, vor dessen Fertigstellung sich aus Sicht der damaligen Berichterstatterin indes offenkundig weiterer Klärungsbedarf ergeben habe, welcher sich dann in der Anfrage vom 11. September 2014 niedergeschlagen habe. Zur Darlegung eines Sich-Aufdrängen-Müssens einer weiteren Sachverhaltsaufklärung hätte es daher mehr als des Vorhalts bedurft, das Gericht stütze seine Würdigung "auf reine Mutmaßungen im Hinblick auf den nebulös datierten Beschluss" vom 11. Mai 2015.

13 cc) Soweit die Beschwerde schließlich einen Kalkulationsfehler des Verwaltungsgerichtshofs annimmt und geltend macht, die Berechnung der ungerechtfertigten Verfahrensverzögerung im Zeitraum vom 30. November 2014 bis zum 11. Mai 2015 in Höhe von fünf Monaten sei "offensichtlich nicht korrekt und schlichtweg etwas ungenau", da sich der Zeitraum auf fünf Monate und elf Tage belaufe, rügt sie auch bei großzügiger Bewertung nicht eine unzureichende Sachaufklärung, sondern wendet sich der Sache nach gegen die Tatsachenwürdigung des Verwaltungsgerichtshofs. Die Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich indes regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Ein Verfahrensmangel kann ausnahmsweise dann anzunehmen sein, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. September 2015 - 1 B 39.15 - InfAuslR 2016, 1 Rn. 16). Dies wird indes von der Beschwerde nicht geltend gemacht.

14 2. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

15 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren gründet auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 3 GKG.