Beschluss vom 12.09.2008 -
BVerwG 8 B 62.08ECLI:DE:BVerwG:2008:120908B8B62.08.0

Beschluss

BVerwG 8 B 62.08

  • VG Frankfurt/Oder - 30.04.2008 - AZ: VG 6 K 1467/07

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. September 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hauser
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts
  2. Frankfurt (Oder) vom 30. April 2008 wird zurückgewiesen.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 121 039,67 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO liegen nicht vor.

2 1. Die Beschwerde hält für grundsätzlich bedeutsam und klärungsbedürftig die im Zusammenhang mit § 1 Abs. 3 VermG stehende sinngemäß aufgeworfene Frage, ob die „Gemeinsame Anweisung“ in ihrer über den Wortlaut des Aufbaugesetzes eindeutig hinausgehenden weiten Auslegung eine geeignete Rechtsgrundlage für eine Inanspruchnahme zum Zeitpunkt der Baumaßnahmen gewesen wäre. Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens.

3 In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zum einen geklärt, dass die Enteignung eines Grundstücks erst nach der Durchführung der Baumaßnahmen allein noch keinen Machtmissbrauch darstellt, wenn eine Enteignung zur Durchführung der Baumaßnahmen zum damaligen Zeitpunkt nach DDR-Recht zulässig gewesen wäre. Es handelt sich insoweit um eine nachträgliche Fehlerkorrektur, die eine entstandene „formelle“ Gesetzwidrigkeit beseitigen soll. Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass die Enteignung zum Zeitpunkt der Durchführung der Baumaßnahmen auf der Grundlage des damaligen DDR-Rechts nicht zu verwirklichen war (Beschlüsse vom 28. März 2000 - BVerwG 7 B 19.00 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 12 und vom 2. März 2004 - BVerwG 7 B 35.03 - juris; Urteil vom 26. Juni 1997 - BVerwG 7 C 25.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 113). Im Hinblick auf eine versehentlich unterbliebene Aufbauenteignung, die 13 Jahre später nachgeholt wurde, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass unter dem Blickwinkel der Willkür die Durchführung einer Enteignung, die der nachträglichen Fehlerkorrektur dient, offenkundig anders zu beurteilen ist als die mit einer Enteignung beabsichtigte Verfestigung einer „materiellen“ Gesetzwidrigkeit (Beschluss vom 28. März 2000 a.a.O.). Zum anderen folgt aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass sich aus der Gemeinsamen Anweisung des Ministers für Bauwesen und des Ministers der Finanzen über die Erweiterung der Anwendung des Aufbaugesetzes vom 30. Mai 1958 (Verfügungen und Mitteilungen des Ministeriums für Bauwesen vom 15. September 1958, Nr. 10) entnehmen lässt, dass der Anwendungsbereich des Aufbaugesetzes sehr weit verstanden wurde. Danach waren Erklärungen zum Aufbaugebiet und Inanspruchnahmen von Grundstücken nach dem insoweit maßgebenden Rechtsverständnis der DDR zugunsten aller volkseigenen Betriebe, Organe und Institutionen, zur Durchführung von Baumaßnahmen sozialistischer Genossenschaften sowie für Vorhaben der Parteien und Massenorganisationen zulässig (Urteile vom 5. März 1998 - BVerwG 7 C 8.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 140 und vom 25. Juli 2001 - BVerwG 8 C 3.01 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 28).

4 Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts entsprach das Bezirksbauamt des Bezirks Frankfurt (Oder) unter dem 19. Februar 1969 dem Antrag des Rates des Kreises Strausberg vom 16. Januar 1969 zu der Aufbaumaßnahme „Zementwerk 4, Oxydationsanlage, Pumpenstation und Wasseraufbereitung“. Die Eintragung im Register der Aufbaugebiete wurde unter „Strausberg 0509 - 2381“ vorgenommen. Die durch das Bezirksamt bestätigten Pläne waren bereits am 1. September 1964 erstellt worden und tragen den - undatierten - handschriftlichen Zusatz „Ist schon vor 4 Jahren gebaut worden“. Mit Bescheid vom 21. August 1969 nahm der Rat des Kreises Strausberg gestützt auf § 14 des Aufbaugesetzes vom 6. September 1950 die streitgegenständlichen Flurstücke rückwirkend zum 1. Mai 1964 in Anspruch. Rechtsträger wurde der VEB Zementwerke Rüdersdorf. Die volkseigenen Flurstücke wurden in das Liegenschaftsblatt 928 von Hennickendorf übertragen. Aufgrund dieser Feststellungen, gegen die die Beschwerde keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben hat (§ 137 Abs. 2 VwGO), wäre die Enteignung wegen des sehr weit verstandenen Anwendungsbereichs des Aufbaugesetzes auch schon zum Zeitpunkt der Durchführung der Baumaßnahmen von einer Rechtsgrundlage gedeckt gewesen. Die mit der Durchführung der Baumaßnahmen entstandene „formelle“ Gesetzwidrigkeit wurde mit der Antragsbewilligung, der Eintragung des Vorhabens im Aufbauregister und der förmlichen Inanspruchnahme beseitigt.

5 2. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist schon nicht hinreichend dargelegt, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Zulassung wegen Abweichung setzt voraus, dass das angefochtene Urteil mit einem tragenden abstrakten Rechtssatz einem ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in den angegebenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts widerspricht. Diesen Rechtssatzwiderspruch zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie rügt in Wirklichkeit eine vermeintlich fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Verwaltungsgericht, die zu keiner Revisionszulassung führt.

6 3. Dem Verwaltungsgericht ist auch kein Verfahrensfehler unterlaufen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die Beschwerde sieht einen Verstoß gegen § 108 VwGO, weil sich das Urteil allein auf die „apodiktische“ Feststellung beschränke, dass der vorliegende Fall „eindeutig“ der Fallgruppe der „nachträglichen Fehlerkorrektur“ zuzuordnen sei. Das verwaltungsgerichtliche Urteil enthalte diesbezüglich keine Feststellungen, die für eine im Jahre 1964 vorhandene Absicht der späteren Durchführung eines Inanspruchnahmeverfahrens oder ein bloßes Versehen sprächen.

7 Gemäß § 108 Abs. 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Verwaltungsgericht ist aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhalts davon ausgegangen, dass es sich vorliegend nicht um zwei Enteignungsgeschehen gehandelt habe, sondern um ein einheitliches Enteignungsgeschehen, bei dem lediglich die förmliche Inanspruchnahme der Durchführung der Aufbaumaßnahme zeitlich nachgefolgt sei. Die Enteignung der streitgegenständlichen Flurstücke sei ausweislich der vorliegenden Unterlagen von Anfang an als Inanspruchnahmeverfahren nach dem Aufbaugesetz geplant und durchgeführt worden. Das Verwaltungsgericht hat die vorgezogene Umsetzung der Aufbaumaßnahme durch Bebauung der streitgegenständlichen Flächen nicht als faktische Enteignung angesehen, weil sich die Rechtsfolgen nach dem seinerzeit noch geltenden BGB gerichtet hätten. Es habe 1964 an einer auf Entziehung des Eigentums gerichteten staatlichen Maßnahme gefehlt. Die spätere Durchführung des nach dem Aufbaugesetz vorgesehenen Verfahrens zeige, dass die staatlichen Stellen gerade davon ausgegangen seien, dass ein Eigentumswechsel noch nicht stattgefunden habe. Die Umschreibung im Grundbuch sei erst 1969 vorgenommen worden. Anhaltspunkte dafür, dass die vorgenommene Bebauung im Verlauf des Verfahrens manipulativ verschleiert werden sollte, hat das Verwaltungsgericht aufgrund der vorliegenden Anlagen zum Aufbauplan nicht gesehen.

8 Die Würdigung des Sachverhalts ist dem materiellen Recht zuzuordnen. Die Beweiswürdigung des Tatrichters ist aufgrund des § 137 Abs. 2 VwGO vom Revisionsgericht nur auf die Verletzung allgemein verbindlicher Beweisgrundsätze überprüfbar, zu denen die allgemeinen Auslegungsgrundsätze (§§ 133, 157 BGB), die gesetzlichen Beweisregeln, die Denkgesetze und die allgemeinen Erfahrungssätze gehören (Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 = Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 225). Derartige Verstöße können allerdings nur dann als Verfahrensfehler geltend gemacht werden, wenn sich der Fehler auf die tatsächliche Würdigung beschränkt (Urteil vom 19. Januar 1990 a.a.O.; Beschluss vom 3. April 1996 - BVerwG 4 B 253.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 269. Von einem Verstoß gegen diese Grundsätze kann vorliegend keine Rede sein.

9 Von einer weiteren Begründung der Beschwerde sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.