Beschluss vom 12.10.2006 -
BVerwG 1 B 6.06ECLI:DE:BVerwG:2006:121006B1B6.06.0

Beschluss

BVerwG 1 B 6.06

  • Hessischer VGH - 13.10.2005 - AZ: VGH 8 UE 1274/04.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Oktober 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:

  1. Der Antrag der Klägerin, ihr Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. Oktober 2005 wird verworfen.
  3. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Gründe

1 Der Klägerin kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, denn die von ihr beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den nachstehenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

2 Die Beschwerde, die ausschließlich geltend macht, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), ist unzulässig. Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

3 Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird. Solch eine Frage zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie hält zunächst die Frage für klärungsbedürftig, ob es den völkerrechtlichen Vorgaben in Art. 1 C Nr. 5 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) widerspricht, in einem Widerrufsverfahren nach § 73 Abs. 1 AsylVfG verfolgungsunabhängige Gesichtspunkte für die Zumutbarkeit der Rückkehr in das Herkunftsland, insbesondere die Existenz eines zur Schutzgewährung fähigen und willigen Staates, außer Acht zu lassen und die Berücksichtigung derartiger Gesichtspunkte dem allgemeinen Aufenthaltsrecht vorzubehalten. Die Beschwerde meint, das Verhältnis der nationalen Widerrufsvorschrift des § 73 Abs. 1 AsylVfG zu Art. 1 C Nr. 5 GFK sei höchstrichterlich bisher noch nicht geklärt und sei wegen der geltend gemachten Unzumutbarkeit der Rückkehr der Klägerin wegen fehlenden staatlichen Schutzes für sie als Frau und Paschtunin in Afghanistan auch entscheidungserheblich. Die Beschwerde legt mit ihrem Vorbringen schon nicht nachvollziehbar dar, warum sich die von ihr aufgeworfene Frage zu den Vorgaben der Genfer Flüchtlingskonvention in Art. 1 C Nr. 5 GFK in dem angestrebten Revisionsverfahren aufgrund der vom Berufungsgericht festgestellten und nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachen überhaupt stellen soll. Die Klägerin hat lediglich wegen der politischen Verfolgung ihres als Asylberechtigter und Flüchtling anerkannten - inzwischen wohl von ihr getrennt lebenden - Ehemannes, des Beigeladenen, die Rechtsstellung als (Familien-)Asylberechtigte und Flüchtling ohne eigene politische Verfolgung erhalten und wäre zudem nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auch derzeit bei einer Rückkehr nach Afghanistan als alleinstehende Frau paschtunischer Volkszugehörigkeit nicht landesweit einer Verfolgungsgefahr im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG ausgesetzt (BA S. 14). Inwiefern angesichts dessen die Frage der Auslegung von Art. 1 C Nr. 5 GFK im Falle der Klägerin entscheidungserheblich sein soll, lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Auf den vom Berufungsgericht inzident geprüften Widerruf der Anerkennung des stammberechtigten Beigeladenen geht die Beschwerde nicht ein. Im Übrigen ist inzwischen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rechtsgrundsätzlich geklärt, in welcher Weise § 73 Abs. 1 AsylVfG - unter Berücksichtigung der Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention - auszulegen und anzuwenden ist (vgl. Urteil vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15). Danach ist die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung insbesondere zu widerrufen, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht. § 73 Abs. 1 AsylVfG entspricht seinem Inhalt nach Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK. Der „Wegfall der Umstände“ im Sinne des Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK, aufgrund derer die Anerkennung erfolgte, meint - ebenso im Rahmen von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG - eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse. Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine Rückkehr unzumutbar ist, ist nach der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht zu prüfen, sondern im Rahmen der allgemeinen ausländerrechtlichen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zu berücksichtigen. Dass das Berufungsgericht hiervon abweichende Maßstäbe gebildet und angewandt hat, die eine Zulassung der Revision unter dem Gesichtspunkt einer Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gebieten könnten, lässt sich den Ausführungen der Beschwerde ebenso wenig entnehmen wie ein über die genannte Grundsatzentscheidung hinausgehender Klärungsbedarf.

4 Die Beschwerde hält ferner die Frage für klärungsbedürftig, ob bei der Anwendung des § 73 Abs. 1 AsylVfG Art. 11 Abs. 1 der EU-Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist im Wege gemeinschaftskonformer Auslegung zu berücksichtigen ist „und ob jedenfalls aufgrund dieser Richtlinie zu berücksichtigen ist, ob im Herkunftsland Strukturen eines zur Schutzgewährung fähigen und willigen Staates existieren“. Denn die Qualifikationsrichtlinie, die bisher nicht in nationales Recht umgesetzt worden sei, habe in Art. 11 Abs. 1 die „Wegfall der Umstände“-Klausel des Art. 1 C Nr. 5 GFK wörtlich übernommen. Mit diesem Vorbringen genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Sie teilt schon nicht mit, ob sie diese Rechtsfrage zum Gegenstand ihres Vortrags in der Berufungsinstanz gemacht hat. Es ist fraglich, ob sie dies mit der Nichtzulassungsbeschwerde nachholen und damit - unter Übergehung der Berufungsinstanz - Rechtsprobleme, die sich bereits zuvor gestellt haben, an das Revisionsgericht zur erstmaligen Befassung und Entscheidung herantragen kann. Im Übrigen macht die Beschwerde auch hier - ähnlich wie bei der ersten Grundsatzrüge - nicht ersichtlich, dass und inwiefern die EU-Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG unabhängig von der Frage ihrer Vorwirkung überhaupt den hier streitigen Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung der Klägerin im Rahmen des Familienasyls erfassen soll. Sie geht ferner nicht darauf ein, dass nach Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Maßgabe des Art. 11 nur für Anträge auf internationalen Schutz vorgesehen ist, die nach Inkrafttreten der Richtlinie gestellt wurden. Danach käme es nicht darauf an, wie sich im Falle einer zulässigen Grundsatzrüge der zwischenzeitliche Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie bis zum 10. Oktober 2006 (Art. 38 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie) auf das Verfahren auswirken würde.

5 Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

6 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.