Beschluss vom 12.12.2006 -
BVerwG 4 B 20.06ECLI:DE:BVerwG:2006:121206B4B20.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 12.12.2006 - 4 B 20.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:121206B4B20.06.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 20.06

  • Bayerischer VGH München - 02.12.2005 - AZ: VGH 20 A 04.40044

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Dezember 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Gatz und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin zu 12 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Auf die Beschwerden der Kläger zu 1, 2, 4 und 6 bis 9 wird die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs über die Nichtzulassung der Revision gegen sein Urteil vom 2. Dezember 2005 aufgehoben.
  3. Die Revision wird zugelassen.
  4. Die Klägerin zu 12 trägt 15/380 der Kosten des Beschwerdeverfahrens und der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Im Übrigen folgt die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  5. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 380 000 € festgesetzt.

Gründe

1 I. Die Beschwerde der Klägerin zu 12 bleibt ohne Erfolg. Ihr Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

2 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Klägerin beimisst. Sie möchte in dem Revisionsverfahren rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
ob die zivile Nachnutzung (oder auch nur zivile Mitbenutzung) eines Militärflugplatzes - weil regionale Strukturhilfe beim Verkehrswegebau als legitimes Planungsziel anerkannt ist - auch dann als bloße Angebotsplanung ohne weiteres planerisch gerechtfertigt ist, wenn die entsprechende Nutzungsänderung dazu dient, eine nicht wirtschaftsschwache Region an den Luftverkehr anzuschließen,
ob auch im Fall einer wirtschaftsstarken Region eine bloße Angebotsplanung 'in jedem Fall' (ohne weiteres) zulässig ist und
ob die zivile Nachnutzung (oder auch nur zivile Mitbenutzung) eines Militärflugplatzes auch dann als bloße Angebotsplanung ohne weiteres „vernünftigerweise geboten“ ist, wenn die Nutzungsänderung dazu dient, eine wirtschaftsstarke Region an den Luftverkehr anzuschließen.

3 Diese Fragen würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen, denn der Verwaltungsgerichtshof hat nicht festgestellt, dass dem Vorhaben eine bloße Angebotsplanung zugrunde liegt. Er ist zwar davon ausgegangen, dass die Konversion eines Militärflugplatzes unabhängig von der Wirtschaftskraft der Region, die an den Luftverkehr angeschlossen werden soll, schon dann vernünftigerweise geboten sein könne, wenn vom Träger des Vorhabens nur eine - von einem konkret feststellbaren Bedarf losgelöste - Angebotsplanung entwickelt werde, die darauf ausgerichtet sei, aus der militärischen Trägerschaft entlassene Verkehrsinfrastruktur einer möglichen neuen Nutzung zuzuführen (UA S. 29). Im vorliegenden Fall hat er das Vorhaben aber in erster Linie im Hinblick auf die der Änderungsgenehmigung zugrunde liegende „Bedarfsuntersuchung für die zivile Nachnutzung des Militärflugplatzes Memmingerberg bis zum Jahre 2015“ (RWTH-Gutachten) und den darin prognostizierten Verkehrsbedarf als gerechtfertigt angesehen. Die Bedarfsuntersuchung hat für das Jahr 2015 293 205 Fluggäste im Linien- und Touristikverkehr prognostiziert (UA S. 30); der Flughafen weise ein solides Marktpotenzial auf, dessen Ausschöpfung allerdings vom Erfolg einer langfristig anzulegenden Marketingstrategie und dem Einsatz nicht unerheblicher finanzieller Mittel abhängen werde (UA S. 31). Die Einwände der Kläger gegen diese Untersuchung hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen (UA S. 31 bis 34). Anders als im Fall der zivilen Mitbenutzung des Militärflugplatzes Bitburg (vgl. Urteil vom 11. Juli 2001 - BVerwG 11 C 14.00 - juris Rn. 47 - insoweit in BVerwGE 114, 364 nicht abgedruckt) ist eine detaillierte Prognose der Marktchancen des Projekts erstellt worden. Dass sich ein Flugbedarf nicht nur aus einer tatsächlichen, aktuell feststellbaren Nachfrage, sondern - wie hier - auch aus der Vorausschau künftiger Entwicklungen ergeben kann und dass die Genehmigung eines Flugbetriebs zukunftsorientiert sein und es dem Flughafenbetreiber ermöglichen darf, einer Bedarfslage gerecht zu werden, die zwar noch nicht eingetreten ist, aber bei vorausschauender Betrachtung in absehbarer Zeit mit hinreichender Sicherheit erwartet werden kann, ist in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt (vgl. Urteil vom 20. April 2005 - BVerwG 4 C 18.03 - BVerwGE 123, 261 <271 f.>).

4 2. Die von der Klägerin zu 12 geltend gemachte Divergenz liegt nicht vor.

5 Die Klägerin meint, der Verwaltungsgerichtshof sei von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Mai 1976 - BVerwG 4 C 80.74 - (BVerwGE 51, 15 <24>) und vom 27. April 1990 - BVerwG 8 C 87.88 - (Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 218) abgewichen. Nach diesen Entscheidungen folge aus dem Prozessrecht (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass ein Kläger mit seinem Aufhebungsbegehren nur durchdringen könne, wenn er zu dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung ergehe, einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung habe; nach dem materiellen Recht beantworte sich dagegen die Frage, ob ein solcher Anspruch (noch) bestehe. Einen Rechtssatz, mit dem der Verwaltungsgerichtshof diesem Rechtssatz widersprochen haben könnte, zeigt die Klägerin mit ihrer Beschwerde nicht auf. Ein solcher Widerspruch liegt auch nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof hat den Aufhebungsanspruch nicht aus prozessualen, sondern aus materiellen Gründen abgewiesen. Er ist davon ausgegangen, dass der Standort Lagerlechfeld dem genehmigten Standort Memmingerberg bei einer Wiederholung der Abwägung nicht mehr entgegengestellt werden könnte (UA S. 43). Selbst wenn dies - wie die Klägerin meint - aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht zutreffen sollte, ergäbe sich daraus keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, sondern nur ein Fehler bei der Rechtsanwendung im Einzelfall.

6 3. Als Verfahrensmangel rügt die Klägerin zu 12 sinngemäß eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs. Sie meint, der Verwaltungsgerichtshof habe dem Lärmgutachter Dr. M. faktisch das Wort entzogen; dies habe dazu geführt, dass die Thematik der Lärmbelastung und des Lärmschutzes einschließlich der Hilfsanträge zum Lärmschutz nicht ausreichend hätte erörtert werden können. Damit ist ein Verfahrensmangel nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend bezeichnet. Die Klägerin legt insbesondere nicht - wie dies erforderlich wäre - dar, zu welchen tatsächlichen Umständen der Verwaltungsgerichtshof den Sachbeistand ergänzend hätte hören sollen und was sie im Falle einer weiteren Erörterung der Lärmschutzproblematik vorgetragen hätte.

7 II. Die Beschwerden der Kläger zu 1, 2, 4 und 6 bis 9 sind begründet. Insoweit wird die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen. Das Revisionsverfahren kann zur Klärung der Frage beitragen, unter welchen Voraussetzungen die Einrichtung eines regionalen Verkehrsflughafens auf einem aus der militärischen Trägerschaft entlassenen ehemaligen Militärflugplatz einer Prüfung der Umweltverträglichkeit bedarf, insbesondere ob und inwieweit im Rahmen einer Vorprüfung des Einzelfalls eine Vorbelastung durch den früheren militärischen Flugbetrieb zu berücksichtigen ist.

8 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG. Von dem Streitwert entfallen auf die Klägerinnen zu 1 und 2 je 70 000 €, die Klägerinnen zu 4 und 8 je 60 000 €, die Kläger zu 6 und 7 je 45 000 € und die Kläger zu 9 sowie die Klägerin zu 12 je 15 000 €.
Rechtsmittelbelehrung
Die Beschwerdeverfahren der Kläger zu 1, 2, 4 und 6 bis 9 werden als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 4 C 9.06 fortgesetzt; der Einlegung einer Revision durch die Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form (Verordnung vom 26. November 2004, BGBl I S. 3091) einzureichen.
Für die Revisionskläger besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Revisionskläger müssen sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften ferner durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen. In derselben Weise muss sich jeder Beteiligte vertreten lassen, soweit er einen Antrag stellt.