Beschluss vom 13.01.2014 -
BVerwG 6 B 59.13ECLI:DE:BVerwG:2014:130114B6B59.13.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.01.2014 - 6 B 59.13 - [ECLI:DE:BVerwG:2014:130114B6B59.13.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 59.13

  • VG Saarlouis - 28.11.2012 - AZ: VG 6 K 745/10
  • OVG Saarlouis - 06.09.2013 - AZ: OVG 3 A 13/13

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Januar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Neumann und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Graulich und Prof. Dr. Hecker
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. September 2013 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich gegen seine Dauerobservation durch die Polizei.

2 Der 1948 geborene Kläger hat seit seinem 20. Lebensjahr zumeist unter Alkoholeinfluss mehrfach Gewaltdelikte, meist mit Sexualbezug, darunter einen Mord, begangen. Nach vollständiger Verbüßung der letzten gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe ordnete das Landgericht die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen ihn an. Aufgrund dieser Anordnung wurde der Kläger einstweilig untergebracht. Die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung hob der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 12. Mai 2010 vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf, wies den Antrag auf nachträgliche Sicherungsverwahrung zurück und ordnete die sofortige Freilassung des Klägers an. Der Kläger wurde noch am selben Tag entlassen. Nach seiner Entlassung unterlag er ständiger polizeilicher Begleitung und Überwachung (Dauerobservation), bis er am 2. September 2011 auf der Grundlage des Therapieunterbringungsgesetzes einstweilig in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht wurde.

3 Der Kläger hat gegen seine Dauerobservation beim Verwaltungsgericht Klage erhoben, mit der er nach ihrer Beendigung die Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit beantragt hat. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat angenommen, die Dauerobservation des Klägers könne für eine Übergangszeit auf die polizeiliche Generalklausel in § 8 Abs. 1 des Saarländischen Polizeigesetzes gestützt werden. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, in Ermangelung einer tragfähigen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage aus übergeordneten Gründen des Gemeinwohls auf unvorhergesehene Gefahrensituationen durch Anwendung der polizeilichen Generalklausel zu reagieren, bis der Gesetzgeber Gelegenheit gehabt habe, die Schutzlücke zu schließen. Auf der Grundlage der bis zum Ende des Überwachungszeitraums vorliegenden psychiatrischen Sachverständigengutachten habe die Polizei davon ausgehen dürfen, dass von dem Kläger die konkrete Gefahr ausgegangen sei, auch künftig schwere Gewaltstraftaten und insbesondere Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu begehen, durch die die Opfer seelisch und körperlich schwer geschädigt würden.

4 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II

5 Die Beschwerde ist unbegründet. Der allein geltend gemachte Grund für eine Zulassung der Revision liegt nicht vor. Das angefochtene Urteil weicht nicht im Verständnis von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ab, die der Kläger bezeichnet hat. Das Oberverwaltungsgericht hat sein Urteil nicht entscheidungstragend auf einen abstrakten Rechtssatz gestützt, der einem eben solchen abstrakten Rechtssatz widerspricht, den das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 8. November 2012 - 1 BvR 22/12 - (EuGRZ 2013, 73) aufgestellt hat.

6 Der Kläger arbeitet in der Begründung seiner Beschwerde schon keine abstrakten und die jeweilige Entscheidung tragenden Rechtssätze heraus, die zu einander in Widerspruch stehen sollen. Seinen Darlegungen lässt sich allenfalls die Auffassung entnehmen, das Oberverwaltungsgericht hätte bei der Anwendung der als solche nicht in Frage gestellten Rechtssätze auf den konkreten Einzelfall zu einer anderen Entscheidung kommen müssen. Selbst wenn dies richtig wäre, läge darin keine von ihm allein aufgerufene Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO.

7 Unabhängig davon, dass der Kläger die behauptete Abweichung nicht hinreichend im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO bezeichnet hat und seine Beschwerde schon deshalb zurückzuweisen ist, ist das Oberverwaltungsgericht auch in der Sache nicht von den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts abgewichen, die der Kläger in seiner Beschwerdebegründung zitiert hat.

8 Das Bundesverfassungsgericht hat es dort als fraglich bezeichnet, ob die polizeiliche Generalklausel geeignet ist, auch längerfristig eine Dauerbeobachtung zu tragen: Es handele sich wohl um eine neue Form einer polizeilichen Maßnahme, die bisher vom Landesgesetzgeber nicht eigens erfasst worden sei und aufgrund ihrer weitreichenden Folgen möglicherweise einer ausdrücklichen, detaillierten Ermächtigungsgrundlage bedürfe. Zum einen äußert das Bundesverfassungsgericht nur Zweifel an der Geeignetheit der polizeilichen Generalklausel für Maßnahmen der hier in Rede stehenden Art, hat also nicht definitiv entschieden, sie komme als Rechtsgrundlage keinesfalls in Betracht. Zum anderen teilt das Oberverwaltungsgericht diese Zweifel, widerspricht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts insoweit also nicht. Das Oberverwaltungsgericht hält es allerdings für tragfähig, die polizeiliche Generalklausel übergangsweise bis zur Schaffung einer eigenständigen Regelung durch den Gesetzgeber als Rechtsgrundlage heranzuziehen, um der Polizei die Möglichkeit zu geben, den auch verfassungsrechtlich gebotenen Schutz überragender Rechtsgüter wie Leben und körperliche Unversehrtheit gegen jederzeit zu befürchtende schwerste Beeinträchtigungen zu gewährleisten. Eine solche Übergangszeit hat das Oberverwaltungsgericht hier mit Blick auf die Arbeiten an dem Therapieunterbringungsgesetz des Bundes und den zu seiner Umsetzung notwendigen ergänzenden Regelungen des Landes angenommen. Aber auch damit setzt das Oberverwaltungsgericht sich nicht in Widerspruch zu dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Denn das Bundesverfassungsgericht hat es in dem erwähnten Beschluss ausdrücklich als verfassungsrechtlich unbedenklich bezeichnet, die polizeiliche Generalklausel dahin zu verstehen, dass sie es den Behörden ermöglicht, auf unvorhergesehene Gefahrensituationen auch mit im Grunde genommen näher regelungsbedürftigen Maßnahmen vorläufig zu reagieren, um dem Gesetzgeber so zu ermöglichen, eventuelle Regelungslücken zu schließen.

9 Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in dem Beschluss die gerichtlichen Entscheidungen beanstandet, durch die dem damaligen Beschwerdeführer vorläufiger Rechtsschutz gegen seine Dauerbeobachtung durch die Polizei versagt worden ist, jedoch nur weil in dem konkreten Fall für eine solche Entscheidung keine ausreichende Erkenntnisgrundlage bestand. Insoweit ist von vornherein kein Raum für eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, wenn das Oberverwaltungsgericht aufgrund der hier vorhandenen Gutachten und Erkenntnisse eine Gefahr annimmt, welche die Anwendung der polizeilichen Generalklausel als Grundlage einer Dauerbeobachtung rechtfertigt.

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.