Beschluss vom 13.02.2002 -
BVerwG 4 B 5.02ECLI:DE:BVerwG:2002:130202B4B5.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.02.2002 - 4 B 5.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:130202B4B5.02.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 5.02

  • Niedersächsisches OVG - 18.09.2001 - AZ: OVG 1 L 3779/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Februar 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. P a e t o w und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. L e m m e l und G a t z
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. September 2001 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird unter Änderung des Streitwertbeschlusses des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. September 2001 für sämtliche Rechtszüge auf 51 000 € (früher 100 000 DM) festgesetzt.

Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
Das Berufungsgericht hat die Rechtmäßigkeit der Beanstandung des Bebauungsplans Nr. 96 "Gewerbepark Achmer" durch den Beklagten mit der Begründung bestätigt, der Plan trage den Interessen der Firma E. am Fortbestand und der Entwicklung ihres im Plangebiet gelegenen Abfallbehandlungsbetriebs nicht ausreichend Rechnung und verstoße deshalb gegen das Abwägungsgebot des § 1 Abs. 6 BauGB. Die Klägerin habe - erstens - die Voraussetzungen des von ihr zugunsten der Firma E. in Anspruch genommenen § 1 Abs. 10 BauNVO verkannt, und ihr sei - zweitens - die Abwägung im Zusammenhang mit der Festsetzung der Teilfläche GE13 und der Umwandlung des bisherigen Gewerbegebiets unmittelbar östlich der August-Bödeker-Straße in ein Mischgebiet misslungen. Ist eine Berufungsentscheidung wie hier auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1994 - BVerwG 11 PKH 28.94 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4). Ist nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben, kann diese Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert. Da es hinsichtlich der zweiten Begründung - Abwägungsfehler bei der Ausweisung der Fläche GE13 und der Umwandlung des Gewerbegebietes östlich der August-Bödeker-Straße in ein Mischgebiet - an einem Grund für die Zulassung der Revision fehlt, kommt es auf die grundsätzliche Bedeutung von Fragen im Zusammenhang mit der ersten, sich mit § 1 Abs. 10 BauNVO beschäftigenden Begründung nicht an und die Zulassung der Revision nicht in Betracht.
Die Beschwerde beanstandet mit der Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) eine Abweichung des Berufungsurteils von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 1969 (BVerwG 4 C 105.66 - BVerwGE 34, 301 ff.) und vom 5. Juli 1974 (BVerwG 4 C 50.72 - BVerwGE 45, 309 ff.): Während nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts die Gewichtung der von der Planung berührten öffentlichen Belange grundsätzlich Ausdruck planerischer Gestaltungsfreiheit und fehlerhaft erst dann sei, wenn im Abwägungsvorgang oder im Abwägungsergebnis einer der Belange in einer Weise berücksichtigt werde, der zu seinem objektiven Gewicht außer Verhältnis stehe, habe das Berufungsgericht eine eigene Gewichtung vorgenommen und deshalb dem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts einen abweichenden des Inhalts gegenübergestellt, dass das Gericht die Gewichtung nach objektiven Kriterien vornehmen und eine eigene Abwägungsentscheidung treffen dürfe.
Die Divergenzrüge ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat seiner Prüfung des § 1 Abs. 6 BauGB die vom Senat im Urteil vom 12. Dezember 1969 entwickelten und im Urteil vom 5. Juli 1974 bekräftigten Kriterien vorangestellt, anhand derer die Rechtmäßigkeit einer planerischen Abwägungsentscheidung zu messen ist. Danach ist das Gebot gerechter Abwägung verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung eines anderen entscheidet. Diesen Rechtssätzen hat das Berufungsgericht im Verlauf der Prüfung des § 1 Abs. 6 BauGB weder ausdrücklich noch stillschweigend abweichend formulierte Rechtssätze gegenübergestellt. Indem es der Klägerin vorgehalten hat, sie habe der Wohnnutzung auf drei Grundstücken im Gewerbegebiet östlich der August-Bödeker-Straße wegen deren Illegalität "ein zu großes Gewicht beigemessen" (UA S. 17) mit der Folge, dass das genannte Gewerbegebiet nicht zu Lasten der bisher als Industriegebiet festgesetzten Betriebsfläche der Firma E., deren Interessen besonders schutzwürdig seien, in ein Mischgebiet habe umgeplant werden dürfen, hat es sich nicht das Recht angemaßt, selbst planen zu dürfen. Es hat sich vielmehr auf die ihm obliegende Kontrolle beschränkt, ob sich die Klägerin im Rahmen des von ihm respektierten planerischen Freiraums gehalten hat, jenseits dessen das Entscheidungsvorrecht einer planenden Gemeinde in der Tat endet. Keine Frage der Divergenz ist, ob das Gericht die maßgeblichen, die Grenzen des gemeindlichen Planungsermessens kennzeichnenden und von ihm nicht infrage gestellten Rechtssätze zutreffend angewandt hat.
Die Beschwerde greift die Annahme des Vorrangs der besonders schutzwürdigen Interessen der Firma E., die in der Vergangenheit aufgrund einer genehmigten Nutzung viele Millionen DM in ihren Standort investiert habe, vor der Wohnnutzung im Mischgebiet mit der Verfahrensrüge der unzureichenden Sachverhaltsermittlung an (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 in Verbindung mit § 86 Abs. 1 VwGO). Das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, sondern nur unterstellt, dass dem Firmeninhaber zum Schutz der in dem Mischgebiet vorhandenen Wohnbebauung betriebsbeschränkende Auflagen gemacht werden müssten. Wären tatsächliche Feststellungen getroffen worden, hätte sich ergeben, dass betriebsbeschränkende Auflagen nicht notwendig seien.
Der behauptete Verfahrensmangel ist nicht im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet. Wird ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer substanziiert darlegen, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr bemängelt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Diesen Anforderungen entspricht die Aufklärungsrüge der Klägerin nicht.
Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass sich das "Entwicklungsinteresse" der Firma E. auch nicht unter Hinweis auf den Bedarf an Gewerbeflächen überwinden lasse (UA S. 18), korrespondiert mit der für die Entscheidung zu Lasten der Klägerin maßgeblichen Aussage, ein Abwägungsmangel bestehe darin, dass die Klägerin den Interessen der Firma E. am Fortbestand und der Entwicklung ihres Abfallbehandlungsbetriebes nicht ausreichend Rechnung getragen habe (UA S. 14). Im Zusammenhang mit der zweiten Begründung - Abwägungsfehler bei der Ausweisung der Fläche GE13 und der Umwandlung des Gewerbegebietes östlich der August-Bödeker-Straße in ein Mischgebiet - besagt sie, dass sich das Gewicht der Interessen der Firma E. gegenüber den Interessen der benachbarten Wohnanlieger nicht dadurch entscheidend mindert, dass die Gewerbeflächen benötigt werden. Wenn das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gekommen ist, die Klägerin habe den Bedarf an Gewerbeflächen überschätzt und damit fehlgewichtet, so hat es ihr damit attestiert, den ihr zukommenden planerischen Gestaltungsspielraum verlassen zu haben. Rechtssätze, die den vom Bundesverwaltungsgericht in den Entscheidungen vom 12. Dezember 1969 und 5. Juli 1974 formulierten widersprächen, hat es nicht aufgestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertentscheidung auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 1 GKG. Der Senat folgt mit seiner Streitwertfestsetzung dem erstinstanzlichen Gericht. Die Klägerin verteidigt ihren Bebauungsplan formell zwar gegenüber dem Beklagten, der Sache nach aber gegenüber der Firma E. Es handelt sich damit gleichsam um den umgekehrten Fall einer Normenkontrolle gegen einen Bebauungsplan. Für diese sieht der aktuelle Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 1996, 563 ff.) einen Streitwert von höchstens 100 000 DM vor (II. Nr. 7.7). Hiervon nach oben abzuweichen, besteht kein Anlass. Die Befugnis des Senats, den vorinstanzlichen Streitwertbeschluss zu ändern, ergibt sich aus § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG.