Beschluss vom 13.06.2006 -
BVerwG 1 B 29.06ECLI:DE:BVerwG:2006:130606B1B29.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.06.2006 - 1 B 29.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:130606B1B29.06.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 29.06

  • Hessischer VGH - 02.11.2005 - AZ: VGH 6 UE 2262/03.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Juni 2006
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann und Hund
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. November 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die auf Verfahrensfehler in Gestalt der Verletzung des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2 Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsgericht verneine die Gefahr für den Kläger zu 1 (im Folgenden: Kläger), bei einer Rückkehr in die Türkei Opfer sippenhaftähnlicher Verfolgungsmaßnahmen zu werden, mit der Begründung, der Haftbefehl gegen seinen Cousin F.D. sei nicht vorgelegt worden und sie hätten im Berufungsverfahren nichts vorgetragen, was darauf hindeuten könne, dass die Fahndung nach dem Cousin bis heute andauere (Beschwerdebegründung S. 2). Diese Wertung verletze die Kläger in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör, da von ihnen nicht verlangt werden könne, einen gegen einen Verwandten ergangenen Haftbefehl vorzulegen, und weil das Schicksal eines weiteren Verwandten A.D. ein Indiz für gleichartige sippenhaftähnliche Maßnahmen im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei bilde.

3 Damit wendet sich die Beschwerde letztlich nur gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, ohne eine Gehörsverletzung in einer den gesetzlichen Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) entsprechenden Weise schlüssig aufzuzeigen. Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind regelmäßig revisionsrechtlich nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzurechnen. Mit Angriffen gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung der Tatsacheninstanz kann daher ein Verfahrensmangel grundsätzlich nicht begründet werden. So liegt es hier. Entgegen dem Vorbringen der Kläger hat der Verwaltungsgerichtshof nicht darauf abgestellt, dass die Kläger einen Haftbefehl nicht vorgelegt haben, sondern ausgeführt (UA S. 12): „Der nach dem Vortrag der Kläger gegen ihn (sc. den Cousin F.D.) gerichtete Haftbefehl liegt nicht vor.“ Damit hat es ersichtlich zum Ausdruck bringen wollen, dass gerade infolge der - auch von den Klägern behaupteten - fehlenden Möglichkeit einer Vorlage des Haftbefehls dessen Existenz (und Begründung) nicht festgestellt werden kann und es deshalb entscheidend auf die allgemeine Auskunftslage zu menschenrechtswidrigen Übergriffen und sippenhaftähnlichen Maßnahmen ankomme. Gegen eine solche tatrichterliche Würdigung und Prognosebildung sind verfahrensrechtliche Einwendungen weder erhoben noch erkennbar.

4 Entsprechendes gilt, soweit sich die Beschwerde gegen die Erwägung des Berufungsgerichts wendet, die Kläger hätten nach Zulassung der Berufung nichts vorgetragen, was darauf hindeuten könne, dass die Fahndung nach dem Cousin bis heute andauere. Damit wird im Übrigen entgegen der Ansicht der Beschwerde nicht unterstellt, die Kläger hielten ihr Vorbringen zur Gefahr sippenhaftähnlicher Maßnahmen nicht mehr aufrecht. Das Berufungsgericht hat sich vielmehr mit diesem Vorbringen ausdrücklich befasst und u.a. unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 1. Dezember 2004 ausgeführt, es sei „nicht ersichtlich, dass einer der Angehörigen der Kläger als Auslöser als separatistisch oder terroristisch erachteter Aktivitäten oder als Anstifter oder Aufwiegler angesehen würde“ (UA S. 11 f.). Dies gelte auch für den Cousin des Klägers F.D. Damit setzt die Beschwerde sich nicht - wie erforderlich - auseinander.

5 Es trifft schließlich auch nicht zu, dass der Verwaltungsgerichtshof eine Auseinandersetzung mit dem Vortrag zum Schicksal des weiteren Verwandten des Klägers A.D. unterlassen hat. Auch insoweit zeigt die Beschwerde eine Gehörsverletzung schon nicht schlüssig auf. Es fehlt bereits an der erforderlichen Wiedergabe des als übergangen gerügten Vortrags in der Beschwerdebegründung. Unabhängig davon zeigt die Beschwerde nicht auf, dass das Berufungsgericht diesen Vortrag nicht berücksichtigt hat. Wie bereits ausgeführt, hat das Berufungsgericht vielmehr dargelegt, es sei nicht ersichtlich, dass „einer der Angehörigen“ der Kläger u.a. als Auslöser als separatistisch oder terroristisch erachteter Aktivitäten, die eine sippenhaftähnliche Verfolgung nach sich ziehen könnten, angesehen werde. Darauf geht die Beschwerde nicht ein.

6 Ohne Erfolg macht die Beschwerde weiter geltend, das Berufungsgericht habe die vom Verwaltungsgericht behandelte und verneinte Verfolgungsgefahr wegen der Aktivitäten des Bruders E. des Klägers einer erneuten Überprüfung und Bewertung unterziehen müssen (Beschwerdebegründung S. 3). Dem Tatbestand des Berufungsurteils zufolge ist der Bruder des Klägers nach Angaben der Kläger 1992 in einem Feuergefecht getötet worden (UA S. 2; ebenso erstinstanzliches Urteil S. 3). Die Beschwerde zeigt insoweit nicht - wie erforderlich - auf, welche Aktivitäten des Bruders im Einzelnen insoweit gemeint und erörterungsbedürftig gewesen sein sollen. Dies ist im Übrigen auch dem erstinstanzlichen Urteil nicht zu entnehmen.

7 Schließlich unterstellt das Berufungsurteil entgegen der Ansicht der Beschwerde dem Gutachten von Kaya an das OVG Münster vom 25. Oktober 2004 auch keinen „Inhalt, den es tatsächlich nicht hat“ (Beschwerdebegründung S. 3). Unabhängig davon, ob sich hieraus eine Gehörsverletzung ergeben könnte, trifft die Darstellung der Beschwerde auch in diesem Punkt nicht zu. Diese nimmt offenbar an, das Berufungsgericht verstehe das genannte Gutachten in dem Sinne, dass sippenhaftähnliche Maßnahmen (in der Türkei) so gut wie gar nicht mehr stattfinden. Tatsächlich ist im Berufungsurteil (S. 12) lediglich ausgeführt, Kaya spreche von „deutlich weniger gewordenen“ Fällen, bei denen Angehörige verdächtigter Personen beleidigt und bedroht würden und psychischer Druck auf sie ausgeübt werde. Auch insoweit wendet sich die Beschwerde letztlich nur gegen die dem Tatsachengericht vorbehaltene Beweiswürdigung und Gefahrenprognose, ohne den behaupteten Verfahrensrechtsverstoß aufzuzeigen.

8 Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

9 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG.