Beschluss vom 13.07.2009 -
BVerwG 4 B 36.09ECLI:DE:BVerwG:2009:130709B4B36.09.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.07.2009 - 4 B 36.09 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:130709B4B36.09.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 36.09

  • Bayerischer VGH München - 08.01.2009 - AZ: VGH 8 A 06.40018

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Juli 2009
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Jannasch
sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Januar 2009 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen je zur Hälfte.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Gründe

I

2 Den Antrag, den Planfeststellungsbeschluss vom 15. Februar 2002 in der Fassung der Änderung vom 28. April 2003 aufzuheben, hat der Verwaltungsgerichtshof mit doppelter Begründung abgelehnt: Als nur mittelbar Betroffene könnten die Kläger einen auf Art. 77 Abs. 1 BayVwVfG gestützten Aufhebungsanspruch nicht geltend machen (UA Rn. 37 bis 39). Abgesehen davon treffe es nicht zu, dass das planfestgestellte Vorhaben endgültig aufgegeben worden wäre (UA Rn. 40 bis 47). Ist eine Entscheidung - wie hier - auf mehrere, jeweils für sich selbstständig tragfähige Gründe gestützt worden, kann eine Beschwerde nach § 132 Abs. 2 VwGO nur Erfolg haben, wenn der Zulassungsgrund bei jedem der Urteilsgründe zulässig vorgetragen und gegeben ist (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Die Beschwerde macht Zulassungsgründe in Bezug auf beide Begründungen geltend. Die Rügen, die auf die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs zielen, das Vorhaben sei nicht endgültig aufgegeben worden, greifen nicht durch. Schon aus diesem Grund können auch die in Bezug auf die Verneinung der Rügebefugnis und die Annahme einer nur mittelbaren Betroffenheit geltend gemachten Gründe (I.1.a), I.1.b)aa), I.3, I.4, II, III.1 - Frage 1 - der Beschwerdebegründung) nicht zur Zulassung der Revision führen.

3 1.1 Als Verfahrensmangel rügt die Beschwerde, der Verwaltungsgerichtshof habe überspannte Anforderungen an den Sachvortrag der Kläger zur endgültigen Aufgabe des Vorhabens gestellt und dadurch das rechtliche Gehör und den Grundsatz der Waffengleichheit verletzt (I.1.c) der Beschwerdebegründung).

4 Ein Mangel des Verfahrens ergibt sich aus diesem Vorbringen nicht. Die Anforderungen, die der Verwaltungsgerichtshof an die Darlegung der Kläger zur endgültigen Aufgabe des Vorhabens stellt, ergeben sich in erster Linie aus seinem Standpunkt zur materiellen Rechtslage und der tatrichterlichen Würdigung der hier in Rede stehenden Änderungen des planfestgestellten Vorhabens. Der Verwaltungsgerichtshof steht auf dem Rechtsstandpunkt, dass materiell keine Aufgabe im Sinne des Art. 77 Satz 1 BayVwVfG vorliege, wenn eine planfestgestellte Anlage umgebaut, umgestaltet und - in reduzierter Form - veränderten tatsächlichen Gegebenheiten angepasst werde (UA Rn. 42). Die abschnittsweise Verwirklichung eines Vorhabens sei auch im Rahmen der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung zulässig (UA Rn. 45). Ausgehend hiervon würdigt er die nicht in Abrede gestellten Änderungen im Verhältnis zur ursprünglichen Planung nicht - wie die Kläger - als aliud, sondern als allenfalls wesensgleiches Minus (UA Rn. 44). Anforderungen an die Substantiierung des Vortrages stellt er lediglich, soweit es um den Widerspruch der Kläger gegen den Vortrag der Beigeladenen, dass die im Planfeststellungsbeschluss genehmigten Maßnahmen bereits teilweise durchgeführt worden seien (UA Rn. 45), und um die Frage geht, ob der Planfeststellungsbeschluss Vorkehrungen zur Deckung eines ungesicherten Bedarfs enthält (UA Rn. 47). Inwiefern diese Substantiierungsanforderungen überzogen sein sollten, legt die Beschwerde nicht dar.

5 1.2 Die Beschwerde meint sodann, der Verwaltungsgerichtshof habe zu Unrecht die Beweisanträge der Kläger abgelehnt und dadurch seine Aufklärungspflicht verletzt (I.2.a) der Beschwerdebegründung). Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich eine Verletzung der Aufklärungspflicht jedoch nicht.

6 Die beantragte Einvernahme des Oberbürgermeisters der Stadt Augsburg als Zeuge dafür, dass die mit dem Planfeststellungsbeschluss vom 15. Februar 2002 genehmigte Planung zum Ausbau des Flughafens Augsburg endgültig aufgegeben worden sei, hat der Verwaltungsgerichtshof abgelehnt, weil es auf diese Aussage nicht ankomme; die Kläger seien insoweit bereits nicht rügebefugt. Darüber hinaus sei der Tatbestand der endgültigen Aufgabe des Vollausbaus des Flughafens auch nicht erfüllt; die Aussage des Oberbürgermeisters wäre insoweit nicht geeignet, im Hinblick auf die Rechtsstellung der Beigeladenen einen schlüssigen Gegenbeweis zu führen (UA Rn. 69).

7 Die Beschwerde rügt in erster Linie, dass das Gericht zu Unrecht die Rügebefugnis verneint habe (S. 49 der Beschwerdebegründung). Der Verwaltungsgerichtshof hat den Beweisantrag aber - wie dargelegt - selbstständig tragend auch deshalb abgelehnt, weil der angebotene Zeugenbeweis ungeeignet sei. In Bezug auf diesen Ablehnungsgrund rügt die Beschwerde in ihrem ergänzenden Schriftsatz vom 17. Juni 2009 (S. 2) eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung. Dieser Vorwurf geht fehl. Der Verwaltungsgerichtshof hat nicht die Aussage des Zeugen und deren Würdigung vorweggenommen, sondern „im Hinblick auf die Rechtsstellung der Beigeladenen“ bereits die Eignung der angebotenen Vernehmung des Oberbürgermeisters der Stadt Augsburg als Beweis dafür verneint, dass die Beigeladene das Vorhaben endgültig aufgegeben hat. Trägerin des planfestgestellten Vorhabens ist nicht die Stadt Augsburg, sondern die Beigeladene, die als GmbH mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet ist.

8 Aus den gleichen Gründen bleibt auch die gegen die Ablehnung des zweiten, auf die Vernehmung des Finanzreferenten der Stadt Augsburg gerichteten Beweisantrags ohne Erfolg.

9 Den Beweisantrag zu 3 hat der Verwaltungsgerichtshof u.a. deshalb abgelehnt, weil das Beweisthema nicht hinreichend klar definiert sei (UA Rn. 71). Welche Behauptung mit diesem Antrag unter Beweis gestellt werden sollte und aufgrund welcher Umstände der Verwaltungsgerichtshof dies hätte erkennen sollen, legt die Beschwerde nicht dar.

10 1.3 Die Beschwerde hält auch die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtshofs für verfahrensfehlerhaft; er habe entscheidungserheblichen Sachvortrag der Kläger übergangen (I.2.b) der Beschwerdebegründung). Anhaltspunkte dafür, dass der Verwaltungsgerichtshof das Vorbringen der Kläger nicht zur Kenntnis genommen oder erwogen haben könnte, sind jedoch weder ersichtlich noch aufgezeigt. Das Gericht muss sich in seinem Urteil nicht mit jedem Vorbringen auseinandersetzen; in dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Dass der Verwaltungsgerichtshof die vorgetragenen Tatsachen nicht in der von den Klägern für richtig gehaltenen Weise gewürdigt hat, begründet keinen Verfahrensmangel.

11 2. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst (III. der Beschwerdebegründung).

12 2.1 Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen,
ob der Begriff der „endgültigen Aufgabe“ in § 77 VwVfG so zu verstehen ist, dass der Zeitpunkt der Realisierung keine Rolle spielt oder ob „eine endgültige Aufgabe“ anzunehmen ist, wenn objektiv bzw. unstreitig feststeht, dass das planfestgestellte Vorhaben „in absehbarer Zeit“ nicht zu verwirklichen ist.

13 Der erste Teil der Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Dass ein Vorhaben nicht „endgültig“ aufgegeben worden ist, wenn abzusehen ist, dass es zu einem späteren Zeitpunkt realisiert werden wird, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Der zweite Teil der Frage würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Der Verwaltungsgerichtshof hat zwar festgestellt, dass das Vorhaben unter den „aktuellen“ wirtschaftlichen Rahmenbedingungen „derzeit“ (UA Rn. 42), nicht aber, dass es „in absehbarer Zeit“ nicht zu verwirklichen ist.

14 2.2 Auch die Frage,
welcher Zeithorizont unter dem Begriff „in absehbarer Zeit“ zu verstehen ist,
würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn gemäß Art. 77 Satz 1 BayVwVfG hat die Planfeststellungsbehörde den Planfeststellungsbeschluss nur dann aufzuheben, wenn das Vorhaben „endgültig“ aufgegeben worden ist.

15 2.3 Die Frage,
ob die Identität des ursprünglich planfestgestellten Vorhabens auch bei einer wesentlichen Verkleinerung des Umfangs gewahrt ist oder ob dann eine Aliud-Planung vorliegt,
zielt auf die Umstände des hier gegebenen Einzelfalls; einen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.

II

16 Den Antrag, den Änderungsplanfeststellungsbeschluss vom 19. März 2007 aufzuheben, hat der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls abgelehnt (UA Rn. 50 bis 67). Insoweit rügt die Beschwerde eine Verletzung rechtlichen Gehörs, weil der Verwaltungsgerichtshof Anträge der Kläger auf Einräumung einer Schriftsatzfrist abgelehnt hat. Die Kläger hatten eine Schriftsatzfrist beantragt, um zu dem Schriftsatz der Beigeladenen vom 2. Dezember 2008, dem eine Stellungnahme des Sachverständigen P. vom 25. Januar 2007 beigefügt war, Stellung nehmen zu können (I.1.b) bb) der Beschwerdebegründung), und um zu klären, ob sich die Städte G. und N. an einem neuen Lärmschutzgutachten beteiligen würden (I.1.b) cc) der Beschwerdebegründung). Die Beschwerde macht geltend, dass die Kläger, wenn ihnen der Schriftsatznachlass gewährt worden wäre, sich ausführlich mit den Lärmschutzbelangen auseinandergesetzt und mit Hilfe eines eigenen Sachverständigen die Darlegungen des Sachverständigen P. widerlegt hätten (S. 37 der Beschwerdebegründung). Dass die Lärmproblematik relevant sein werde, hätten sie ohne einen richterlichen Hinweis vor der mündlichen Verhandlung nicht erkennen können und müssen (Beschwerdebegründung S. 39).

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör durch die Ablehnung der beiden Anträge nicht verletzt.

18 Den Antrag auf Einräumung einer Schriftsatzfrist zur Stellungnahme auf den Schriftsatz der Beigeladenen hat er abgelehnt, weil dieser Schriftsatz kein entscheidungsrelevantes neues Vorbringen enthalte (UA Rn. 72). Das ist nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs kam es für die Rechtmäßigkeit des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses darauf an, ob die Lärmauswirkungen der geänderten Planung im Änderungsplanfeststellungsbeschluss fehlerfrei ermittelt und bewertet worden waren. Dieser Planfeststellungsbeschluss stützt sich nach den tatsächlichen Feststellungen bezüglich der Lärmauswirkungen auf ein Gutachten des Sachverständigen P. vom 2. März 2005 (UA Rn. 56) und bezüglich der Verkehrsprognose auf ein Gutachten der Firmen A./D. vom 15. März 2005 (UA Rn. 58). Die Plausibilität dieser Gutachten war nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs durch den Vortrag der Kläger nicht erschüttert (UA Rn. 59 bis 61). Ausgehend hiervon kam der erst im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Stellungnahme des Sachverständigen P. vom 25. Januar 2007 keine entscheidungstragende Bedeutung zu. Der Verwaltungsgerichtshof hat dementsprechend auf die Aussagen des Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren nur ergänzend (UA Rn. 57) bzw. unterstützend (UA Rn. 62) Bezug genommen, soweit sie die Ergebnisse der dem Änderungsplanfeststellungsbeschluss zugrundeliegenden Sachverständigengutachten, deren Plausibilität ohnehin nicht erschüttert war, bestätigten. Dass in der mündlichen Verhandlung auf Seiten der Beigeladenen der Sachverständige P. erscheinen werde, konnte der Verwaltungsgerichtshof den Klägern schon deshalb mit der Ladung nicht mitteilen, weil er weder den Sachverständigen P. noch andere Zeugen und Sachverständige geladen hatte.

19 Den zweiten Antrag hat der Verwaltungsgerichtshof abgelehnt, zum einen, weil zur Klärung, ob sich die Städte G. und N. an einem neuen Lärmgutachten beteiligen würden, bereits vor der mündlichen Verhandlung ausreichend Zeit gewesen wäre, zum anderen, weil unklar bleibe, was verfahrenstechnisch zu dieser Vorgehensweise zwingen solle (UA Rn. 73). Bereits die erste Begründung trägt die Ablehnung des Antrags; sie ist nicht zu beanstanden. Die Kläger konnten nicht - wie sie meinen (S. 39 der Beschwerdebegründung) - sicher sein, dass der Verwaltungsgerichtshof den Planfeststellungsbeschluss vom 5. Februar 2002 aufheben und es deshalb auf die Lärmproblematik in den Änderungsplanfeststellungsbeschlüssen nicht mehr ankommen würde. Gerade aus diesem Grund haben sie selbst den Änderungsplanfeststellungsbeschluss in das Klageverfahren einbezogen. Dass der Erfolg der Anfechtung des Änderungsplanfeststellungsbeschlusses maßgebend davon abhing, ob die Lärmauswirkungen der geänderten Planung fehlerfrei ermittelt und bewertet worden waren, lag auf der Hand und bedurfte keines gerichtlichen Hinweises. Die Kläger hatten bereits selbst in ihrer ergänzenden Klagebegründung vom 9. Juli 2007 Einwendungen gegen die Lärmprognose des Sachverständigen P. vom 2. März 2005 und gegen die Verkehrsprognose vom 15. März 2005 erhoben (S. 48 ff., 52 ff. des Schriftsatzes vom 9. Juli 2007).

20 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.