Beschluss vom 13.11.2007 -
BVerwG 7 B 32.07ECLI:DE:BVerwG:2007:131107B7B32.07.0

Beschluss

BVerwG 7 B 32.07

  • OVG Mecklenburg-Vorpommern - 28.03.2007 - AZ: OVG 2 L 360/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. November 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und Guttenberger
beschlossen:

  1. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 28. März 2007 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Kläger, Eigentümer einer Wohnung im zweiten Obergeschoss eines Mehrfamilienhauses auf dem Flurstück 53/7 (der Flur 23 der Gemarkung S.), wenden sich gegen die Genehmigung des Beklagten für die Neuanlage eines Friedhofs auf dem unmittelbar nach Osten sich anschließenden, ca. 1,70 m höher liegenden Flurstück 52/3 (früheres Flurstück 52/1). Letzteres Grundstück hatte die ehemalige jüdische Gemeinde S. nach Mitte des vorletzten Jahrhunderts als Erweiterungsfläche für ihren weiter nordöstlich gelegenen Friedhof (heutiges Flurstück 55/4) erworben und mit einer Trauerhalle und einem kleinen Nebengebäude bebaut.

2 Das Verwaltungsgericht hat die Genehmigung aufgehoben, weil der Friedhof bei einer Belegung bis zur gemeinsamen Grundstücksgrenze den erforderlichen Abstand zur Wohnbebauung nicht einhalte (weniger als 3 m bis zum rückwärtigen Balkon) und auch die hydrogeologische Eignung des Grundstücks nicht hinreichend geprüft sei. Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Nach dem hydrogeologischen Gutachten bestünden keine Bedenken gegen den Standort des Friedhofs, zudem erfolge dessen Belegung erst in einem Abstand von 10 m zur gemeinsamen Grundstücksgrenze. Dem in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrag bezüglich des regelmäßigen Austritts von Sickerwasser im Hangbereich zum Nachbargrundstück müsse nicht nachgegangen werden, weil die unter Beweis gestellte Tatsache als wahr unterstellt werden könne bzw. für die Entscheidung nicht erheblich sei. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen; hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kläger.

II

3 Die Beschwerde ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz gemäß § 133 Abs. 6 VwGO begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat sich seine im Berufungsurteil niedergelegte Überzeugung in verfahrensfehlerhafter Weise gebildet, so dass die auf § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte, sinngemäß einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO geltend machende Verfahrensrüge durchgreift.

4 Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Dabei hat das Tatsachengericht diese Ergebnisse schlüssig, insbesondere in sich widerspruchsfrei darzustellen. Mangelt es hieran, so betrifft dies bereits die tragfähige Grundlage für die innere Überzeugungsbildung des Gerichts und zugleich die Überprüfbarkeit seiner Entscheidung, ob die Grenze einer objektiv willkürfreien, die Natur- und Denkgesetze sowie allgemeine Erfahrungssätze beachtenden Würdigung überschritten ist (Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174 m.w.N.).

5 Ein solcher Verstoß ist dem Oberverwaltungsgericht unterlaufen. Ausgehend von seinem im Wesentlichen auf der fachlichen Stellungnahme der Unteren Wasserbehörde vom 9. Dezember 2002 und auf den Einlassungen deren Vertreters in der mündlichen Verhandlung gründenden rechtlichen Standpunkt, dass eine Rechtsverletzung der Kläger im Zusammenhang mit dem befürchteten Austritt flüssiger Verwesungsrückstände im Hangbereich auszuschließen sei, weil auf Grund früherer Bohrungen von einer einheitlichen Geländestruktur auszugehen sei, eine horizontale Verfrachtung von Sickerwasser nicht statt finde, des Weiteren auch keine vollständige Vernässung des Friedhofsgrundstücks unterstellt werden könne und Grundwasser erst in einer Tiefe von 5 m anstehe mit Fließrichtung weg vom Grundstück der Kläger, durfte er das hiergegen gerichtete und unter Beweis gestellte Vorbringen der Kläger nicht als wahr unterstellen bzw. für die Entscheidung als nicht erheblich erachten. Das Gegenteil ist der Fall. Für das Oberverwaltungsgericht wären die klägerischen Einwendungen in Bezug auf austretendes Sickerwasser sehr wohl von entscheidungserheblicher Bedeutung gewesen, wenn es dieses Vorbringen nicht lediglich auf ablaufendes Oberflächenwasser bezogen hätte. Mit einem allein hierauf abstellenden Verständnis verkürzt das Berufungsgericht aber den von den Klägern gestellten Beweisantrag in unzulässiger Weise. Der Berufungserwiderung der Kläger ist unzweideutig zu entnehmen, dass sie den Betrieb des Friedhofs auf den angrenzenden Erweiterungsflächen für nicht hinnehmbar erachten wegen deren ungeklärter hydrogeologischer und grundwasserhygienischer Eignung und dass sie damit einhergehend eine Gesundheitsbeeinträchtigung befürchten, ein Standpunkt, auf den auch das Verwaltungsgericht bereits abgehoben hatte. Angesichts dieses Anliegens, das einen Schwerpunkt des klägerischen Vorbringens bildet, verlässt das Oberverwaltungsgericht den objektiven Erklärungsinhalt des Beweisantrags, wenn es diesen lediglich auf das Ablaufen und den Austritt von unbelastetem Oberflächenwasser bezieht und ihm damit einem abweichenden Inhalt gibt.

6 Ob das Berufungsgericht auch, wie die Beschwerde vorträgt, gegen die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen und damit einen weiteren Verfahrensfehler begangen hat, bedarf keiner Entscheidung mehr. Der Senat macht von der durch § 133 Abs.6 VwGO eingeräumten Befugnis Gebrauch und verweist unter Aufhebung des angegriffenen Urteils den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurück. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 52 Abs. 1 GKG.