Beschluss vom 14.05.2007 -
BVerwG 4 B 9.07ECLI:DE:BVerwG:2007:140507B4B9.07.0

Beschluss

BVerwG 4 B 9.07

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 19.12.2006 - AZ: OVG 10 A 5098/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Mai 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

I

2 Das Oberverwaltungsgericht stützt sein Urteil auf zwei selbständig tragende Gründe: Zum einen sei das Bauvorhaben nach § 34 BauGB zulässig (UA S. 17 - 32), zum anderen sei es auch dann, wenn das Grundstück dem Außenbereich (§ 35 BauGB) zuzuordnen sei, jedenfalls nach § 37 BauGB genehmigungsfähig (UA S. 32 unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts). Davon geht auch die Beschwerde aus, die sich folgerichtig mit beiden Begründungselementen auseinandersetzt. Hinsichtlich der Begründung, auf die das Oberverwaltungsgericht sein Urteil im Wesentlichen stützt - Zulässigkeit nach § 34 BauGB - hat die Beschwerde aus den nachfolgenden Gründen keinen Erfolg. Daher bedarf es keines Eingehens auf die Genehmigungsfähigkeit nach § 37 BauGB. Denn wenn die Entscheidung der Vorinstanz auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt ist, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund vorliegt (stRspr). Wenn nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert. Weder beruht deshalb das Urteil auf der hinwegdenkbaren Begründung, noch ist die Klärung mit ihr etwa zusammenhängender Grundsatzfragen in einem Revisionsverfahren zu erwarten.

II

3 1. Hinsichtlich der Zulässigkeit nach § 34 BauGB rügt die Beschwerde als Verfahrensmangel eine unzureichende Aufklärung des Sachverhalts. Diese Rüge greift nicht durch.

4 Das Oberverwaltungsgericht hat durch die Berichterstatterin einen ausführlichen Augenschein durchführen lassen, bei dem eine Niederschrift angefertigt wurde (...) und Lichtbilder (...) zu den Akten genommen worden sind. Diese Beweismittel sind grundsätzlich geeignet, dem Tatsachengericht über das in den Akten vorhandene Material an Karten und Unterlagen hinaus diejenigen Eindrücke zu vermitteln, die es ihm ermöglichen, eine Abgrenzung zwischen dem Innenbereich und dem Außenbereich vorzunehmen sowie die Einhaltung der weiteren in § 34 BauGB genannten Genehmigungsvoraussetzungen zu prüfen. Das stellt auch die Klägerin nicht grundsätzlich in Frage. Das Oberverwaltungsgericht hat ferner noch am Tag des Augenscheins (4. Dezember 2006) die Beteiligten darauf aufmerksam gemacht, dass „eine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des geplanten Vorhabens nach § 34 BauGB in Betracht kommen“ könne (...). Umso mehr waren die Beteiligten gehalten, sich auf die neue rechtliche Sicht einzustellen, gegebenenfalls auf die Erhebung weiterer Beweise hinzuwirken oder ihre Würdigung des in der Wirklichkeit vorzufindenden Zustands und der daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen aus bauplanungsrechtlicher Sicht darzustellen.

5 Vor diesem Hintergrund ergibt sich im Hinblick auf das Einzelvorbringen in der Beschwerde Folgendes:

6 Die Klägerin bemängelt, dass sich auf dem Gelände des geplanten Standorts zum Zeitpunkt des Augenscheins Aufschüttungen von nicht im Zusammenhang mit dem Vorhaben stehenden Bauarbeiten befunden hätten. Sie meint, daher habe die Berichterstatterin die natürlichen Geländeverhältnisse überhaupt nicht erkennen und der Senat diese nicht würdigen können. Damit wird jedoch die mangelnde Eignung des Augenscheins als Beweismittel nicht in Frage gestellt. Die Beschwerde bezweifelt auch nicht, dass sich im Norden und Westen des Vorhabengrundstücks eine teilweise bis zu 11 m ansteigende Bergehalde befindet (UA S. 21) und dass die im Westen verlaufende ehemalige Bahntrasse jedenfalls höher liegt (UA S. 23). Die Beschwerde legt auch nicht dar, dass sie beispielsweise in Kenntnis des Hinweises des Berufungsgerichts vom 4. Dezember 2006 auf weitere Beweisaufnahmen hingewirkt hätte. Entsprechendes gilt für den Einwand der Beschwerde, die Berichterstatterin habe die topographischen Besonderheiten nur aus einer größeren Entfernung in Augenschein genommen. Die Klägerin legt auch nicht dar, zu welchen Erkenntnissen das Berufungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung gekommen wäre, wenn die Berichterstatterin näher an die genannten Grundstücke herangegangen wäre. Ohnehin ist ein Augenschein insoweit immer nur in Zusammenschau mit dem vorhandenen Karten- und Lichtbildmaterial zu würdigen. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang die - unstreitig vorhandenen - Anlagen der Octel Deutschland GmbH anspricht, wird auch nicht deutlich, welche Erkenntnisse zu gewinnen gewesen wären, wenn das Gericht deren Grundstücke betreten hätte. Denn ihre Lage und Größe ergibt sich auch aus der Vogelperspektive, wie sie durch Karten oder Luftbilder dargestellt wird.

7 2. Auch die Rüge, das Berufungsgericht habe ein Überraschungsurteil gefällt, bleibt ohne Erfolg. Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich lediglich dann als unzulässiges Überraschungsurteil dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher insbesondere der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (stRspr). Ein Überraschungsurteil liegt danach unter anderem vor, wenn die das angefochtene Urteil tragende Erwägung weder im gerichtlichen Verfahren noch im früheren Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erkennbar thematisiert worden war. Um dies auszuschließen, sind in der mündlichen Verhandlung die maßgebenden Rechtsfragen zu erörtern. Das erfordert allerdings nicht, dass das Gericht den Beteiligten bereits die möglichen Entscheidungsgrundlagen darlegt. Ist ein Beteiligter - wie hier gemäß § 67 Abs. 1 VwGO - anwaltlich vertreten, darf ein Berufungsgericht grundsätzlich davon ausgehen, dass sich sein Prozessbevollmächtigter mit der maßgeblichen Sach- und Rechtslage hinreichend vertraut gemacht hat.

8 Wie ausgeführt, hat das Berufungsgericht vorliegend ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „eine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des geplanten Vorhabens nach § 34 BauGB in Betracht kommen“ könne. Dies stellt die Beschwerde nicht in Frage. Sie rügt indes, dass die Einbeziehung der Anlagen der Octel Deutschland GmbH in die für die Art der baulichen Nutzung maßgebliche nähere Umgebung für sie überraschend gewesen sei. Die Klägerin hat allerdings in ihrem Schriftsatz vom 7. Dezember 2006 (S. 13) die Frage behandelt, ob der Betrieb der Octel Deutschland GmbH den gebotenen Abstand zu dem umstrittenen Vorhaben einer Maßregelvollzugsklinik wahrt. Damit hat sie selbst - wenn auch in anderem rechtlichen Zusammenhang - eine Auswirkung dieses Betriebs auf das Vorhabengrundstück angesprochen. Mit seiner Einschätzung, aufgrund ihrer Lage und Größe und insbesondere wegen ihrer Auswirkungen als chemischer Betrieb prägten die baulichen Anlagen der Octel Deutschland GmbH die maßgebliche nähere Umgebung, hat das Oberverwaltungsgericht dem Rechtsstreit nicht eine Wendung gegeben, mit der niemand zu rechnen brauchte.

9 3. Auch die zu § 34 BauGB erhobene Divergenzrüge greift nicht durch. Eine die Revision eröffnende Abweichung, also ein Widerspruch im abstrakten Rechtssatz, läge nur vor, wenn das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen wäre (stRspr). Dieser Zulassungsgrund muss in der Beschwerdeschrift nicht nur durch Angabe der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, von der das Berufungsgericht abgewichen sein soll, sondern auch durch Darlegung der als solche miteinander in unmittelbarem Widerspruch stehenden, entscheidungstragenden Rechtssätze bezeichnet werden. Die - behauptete - unrichtige Anwendung eines vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten und vom Berufungsgericht nicht in Frage gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden Einzelfall rechtfertigt dagegen nicht die Zulassung der Revision. So liegt es hier jedoch. Die Beschwerde stellt lediglich ihre eigene Würdigung - die Bahntrasse und der Bach erschienen nicht als markante Begrenzung - derjenigen des Berufungsgerichts entgegen. Sie legt aber in keiner Weise dar, dass das Berufungsgericht einen von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden Rechtsgrundsatz aufgestellt und damit ihm die Gefolgschaft versagt hätte.

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.