Beschluss vom 14.06.2006 -
BVerwG 1 B 49.06ECLI:DE:BVerwG:2006:140606B1B49.06.0

Beschluss

BVerwG 1 B 49.06

  • Niedersächsisches OVG - 16.02.2006 - AZ: OVG 9 LB 27/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Juni 2006
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund, die Richterin am
Bundesverwaltungsgericht Beck und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig
beschlossen:

  1. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Februar 2006 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung wird die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

2 Die Beschwerde rügt im Ergebnis zu Recht einen Verfahrensmangel durch Verletzung der Aufklärungspflicht und des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3, § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG). Die Prozessbevollmächtigte der Kläger hat - wie mit der Beschwerde zutreffend geltend gemacht wird - mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2004 (GA Bl. 145) ausgeführt, dass im Irak nach einem (beigefügten) Info-Blatt der Gesellschaft für bedrohte Völker eine Christenverfolgung stattfinde. 110 Christen seien bereits von radikalen Islamisten ermordet worden und 30 000 bis 70 000 Assyro-Chaldäer - zu denen die Kläger gehörten - seien bereits aus dem Irak geflohen. Hierzu wurde die Einholung von Sachverständigengutachten der Gesellschaft für bedrohte Völker und des Deutschen Orient-Instituts beantragt. Das Berufungsgericht hat zwar mit der nachfolgenden Übersendung einer neuen Erkenntnismittelliste (Stand 8. Juli 2005) und dem gleichzeitigen Hinweis zu einer weiterhin beabsichtigten Entscheidung im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130a VwGO - entsprechend den früheren Anhörungen vom 17. Mai 2004 und 16. Dezember 2004 - zu erkennen gegeben, dass es dem Beweisantrag nicht nachkommen will. Auch hat das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen des angegriffenen Beschlusses den Vortrag der Kläger erwähnt, die Christen im Irak unterlägen jetzt einer mittelbaren Verfolgung durch Islamisten (BA S. 3), und sich mit der Gefahr einer religiösen Verfolgung befasst (BA S. 6 f.). Dem Beschluss lässt sich aber nicht entnehmen, dass das Oberverwaltungsgericht hierzu auch den im Schriftsatz vom 22. Dezember 2004 enthaltenen Beweisantrag zur Kenntnis genommen und aus welchen Gründen es die beantragte weitere Aufklärung für entbehrlich gehalten hat (zur Behandlung von Beweisanträgen im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130a VwGO vgl. zuletzt etwa Beschluss vom 4. April 2003 - BVerwG 1 B 244.02 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 62; Beschluss vom 27. Dezember 2001 - BVerwG 1 B 361.01 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 56 m.w.N.). Dadurch hat das Berufungsgericht die gerichtliche Aufklärungspflicht und das rechtliche Gehör der Kläger verletzt. Es ist nicht auszuschließen, dass es bei richtiger Sachbehandlung Beweis erhoben und in der Sache anders entschieden hätte.

3 Zu den weiteren Rügen bemerkt der Senat, dass sie keinen Erfolg hätten haben können. Die Frage (Beschwerdebegründung S. 2), „ob im Irak eine Gruppenverfolgung der Christen durch nichtstaatliche Verfolgungsakteure“ im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG insbesondere im Raum Bagdad und Mossul „vorliegt“, betrifft in erster Linie die dem Berufungsgericht vorbehaltene Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts; die Beschwerde bezeichnet hierzu keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Entsprechendes gilt für die weitere Frage (Beschwerdebegründung S. 4 f.), ob „Christen oder andere religiöse Minderheiten individuell aus religiösen Gründen bei einer Rückkehr in den Großraum Bagdad oder Mossul verfolgt werden würden, weil sie dort asylerhebliche(n) Eingriffe(n) in ihre Religionsfreiheit durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt wären“. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang behauptet, Christen seien dort gezwungen, ihr Christsein zu verbergen, ist dies überdies nicht Gegenstand der Feststellungen im angegriffenen Urteil und könnte auch deshalb (sowie ggf. als neuer Tatsachenvortrag) nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO).