Beschluss vom 14.08.2003 -
BVerwG 5 B 272.02ECLI:DE:BVerwG:2003:140803B5B272.02.0

Beschluss

BVerwG 5 B 272.02

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 23.08.2002 - AZ: OVG 2 A 5143/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. August 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. R o t h k e g e l und Dr. F r a n k e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. August 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 € festgesetzt.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts bleibt ohne Erfolg; die Rechtssache hat nicht die von der Beklagten geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).
1. Das Oberverwaltungsgericht hat für die Tätigkeit des Klägers zu 1 im Justizsystem der früheren Sowjetunion - er war, soweit für das vorliegende Verfahren von Bedeutung, von Juni 1978 bis Juni 1982 Richter am Volksgericht der Stadt Leninsk-Kusnezk und danach Richter des Shelesnodoroshny-Volksgerichts der Stadt Barnaul, zu dessen Vorsitzenden er im Juli 1987 ernannt wurde - den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 Buchst. b BVFG F. 2000 im Wesentlichen mit der Begründung verneint, es komme hierfür nicht auf die berufliche Stellung des Klägers als Richter an einem Volksgericht als solche an; auch die vom Kläger konkret ausgeübten Tätigkeiten könnten nicht als für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsam angesehen werden. Nach den Angaben des Klägers sei er während seiner richterlichen Tätigkeit am Volksgericht mit zivilrechtlichen Verfahren und Strafverfahren, die gewöhnliche Kriminalität betroffen hätten, befasst, aber nicht an Verfahren mit politischem Hintergrund beteiligt gewesen. Diese Angaben seien insofern plausibel, als Strafsachen, die auch dem Zweck dienen könnten, das herrschende politische System als solches zu schützen, wie z.B. Verfahren wegen Landesverrat, Spionage, Schädlingstätigkeit oder antisowjetische Agitation oder Propaganda, in die Zuständigkeit höherer Gerichte oder von Militärtribunalen gefallen seien. Die Beklagte, der insoweit die Darlegungs- und Beweislast obliege, habe keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass im Falle des Klägers zu 1 in tatsächlicher Hinsicht etwas anderes angenommen werden müsse. Der allgemeine Hinweis, in kommunistischen Staaten seien auch gewöhnliche Straftaten zur Bekämpfung politisch missliebiger Personen instrumentalisiert worden, genüge insoweit nicht. Es sei nicht ersichtlich, dass der Kläger an derartigen Verfahren mitgewirkt habe; auch aus dem sonstigen Akteninhalt, insbesondere dem Arbeitsbuch des Klägers, ergäben sich hierfür keine konkreten Anhaltspunkte. Für die Tätigkeit des Klägers als Vorsitzender eines Volksgerichts gelte nichts anderes; denn diese Tätigkeit unterscheide sich von der Tätigkeit eines Richters am Volksgericht nur insoweit, als dem Vorsitzenden die Verteilung der Aufgaben und Verfahren oblegen habe. Eine solche Tätigkeit weise keinen spezifischen Bezug zum kommunistischen Herrschaftssystem auf und unterscheide sich daher qualitativ nicht entscheidend von einer gewöhnlichen Richtertätigkeit.
2. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Die Beklagte macht geltend, durch die Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2001 - BVerwG 5 C 15.00 u.a. - und 12. April 2001 - BVerwG 5 C 19.00 - sei "noch nicht abschließend geklärt, welche beruflichen Funktionen außer hauptamtlichen Parteifunktionen geeignet (seien), den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 b BVFG zu erfüllen. Außerdem (sei) der Umfang der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen des § 5 Nr. 2 b BVFG noch nicht genügend abgegrenzt"; das Berufungsgericht habe den Umfang der Darlegungs- und Beweislast überschritten, indem es für das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes den Nachweis verlange, dass die mit der konkreten Funktion des Aufnahmebewerbers systembedingt verbundene Möglichkeit, als Instrument zur Bekämpfung politisch missliebiger Personen benutzt zu werden, auch realisiert worden sei.
Diese Fragen sind jedoch - namentlich durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2001 - BVerwG 5 C 15.00 - <Buchholz 412.3 § 5 BVFG Nr. 3>, welches eine Tätigkeit als "Staatsanwalt-Kriminalist" im Justizsystem der früheren Sowjetunion betrifft - auf rechtsgrundsätzlicher Ebene geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in der genannten Entscheidung ausgeführt, "dass § 5 Nr. 2 Buchst. b BVFG in Bezug auf die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems maßgeblich auf eine konkret ausgeübte Funktion abstellt und nicht auf die gesamte Einrichtung, in der die Funktion ausgeübt wird"; dem Ausschlusstatbestand genüge nicht schon "jede Funktion auf einer mit Entscheidungs- und Leitungskompetenz ausgestatteten Ebene einer staatlichen Einrichtung, die aufgrund der Organisationsstruktur des kommunistischen Herrschaftssystems dessen Aufrechterhaltung diente". Ungeachtet des Umstandes, dass die Partei auf die staatlichen, wirtschaftlichen und anderen Einrichtungen Einfluss habe nehmen können und genommen habe, könnten "grundsätzlich alle diejenigen Funktionen, die auch in anderen, nichtkommunistischen Staats- oder Gesellschaftsordnungen erforderlich sind und ausgeübt werden, nicht als für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich bedeutsam geltend angesehen werden" (a.a.O. S. 13). Dementsprechend hat das Bundesverwaltungsgericht für die Tätigkeit als "Staatsanwalt-Kriminalist" nicht allgemein auf die Aufgabe der Staatsanwaltschaft in der Organisationsstruktur des kommunistischen Herrschaftssystems, sondern darauf abgestellt, dass es sich bei einer Funktion als "Staatsanwalt-Kriminalist" um "eine allgemeine staatliche Funktion" gehandelt habe, "der keine spezifische Bedeutung für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems zukam". Soweit andere Funktionen der Staatsanwaltschaft, insbesondere soweit sie gelenkt von der KPdSU ausgeübt worden seien, als für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsam geltend in Betracht kommen könnten, gehöre die "normale, d.h. nicht politische, Strafverfolgung ... dazu aber nicht".
Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens um zu klären, dass diese Grundsätze auch für eine Funktion im Rahmen des Rechtsprechungssystems der früheren Sowjetunion gelten; denn auch richterliche Funktionen werden als allgemeine staatliche Funktion auch in nichtkommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen ausgeübt. Der von der Beschwerde hervorgehobene Umstand, dass die politische Führung zur Umsetzung ihrer Strategie, Oppositionelle verstärkt dadurch zu bekämpfen, dass ihnen unpolitische Straftaten vorgeworfen wurden, nicht nur eine "zuverlässige" Miliz, sondern ebensolche Richter und Staatsanwälte benötigt habe, rechtfertigt, wie die Vorinstanz festgestellt hat, nicht generell die Annahme, die Volksgerichte seien als "Instrumente des Staats- und Parteiapparates vorgehalten" und Rechtsprechungsfunktionen unter dem Deckmantel einer Bekämpfung der gewöhnlichen Kriminalität zur Bekämpfung der Opposition ausgeübt worden. Dazu bedarf es vielmehr konkreter Anhaltspunkte, welche die Vorinstanz nach Prüfung des Akteninhalts aber verneint hat.
Auch für die Tätigkeit des Klägers in der Funktion eines Vorsitzenden eines Volksgerichts, die sich nach den Feststellungen der Vorinstanz von einer Richtertätigkeit nicht qualitativ, sondern nur insoweit unterscheidet, als dem Vorsitzenden die Verteilung der Aufgaben und Verfahren oblegen habe, gilt grundsätzlich nichts anderes. Der Umstand, dass der Kläger bei der Aufgabenzuweisung nicht an rechtsstaatliche Grundsätze wie die Gewährleistung des gesetzlichen Richters gebunden war - die Beschwerde nimmt an, der Kläger habe diese Funktionen nach seinem Gutdünken ausüben und damit im Sinne der politischen Führung Einfluss auf die Entscheidung nehmen können -, macht diese Funktion nicht zu einer für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems als bedeutsam geltenden. Wenn sich aus der Geschäftszuweisungsaufgabe als solcher noch keine Anhaltspunkte für eine politisch bedeutsame Funktion im Sinne des § 5 Nr. 2 Buchst. b BVFG ergaben, ändert sich dies nicht schon dadurch, dass der Kläger diese Funktion ohne verbindliche rechtsstaatliche Vorgaben ausüben konnte.
Auf der Grundlage der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2001 besteht auch kein Anlass, wegen der generellen Durchlässigkeit des sowjetischen Systems für politische Einflussnahmen eine Beweislastumkehr zu Lasten des Aufnahmebewerbers in Betracht zu ziehen. Die aus der Mitwirkungspflicht herzuleitenden Auskunftspflichten des Aufnahmebewerbers über Art und Umstände seiner Tätigkeit in Verbindung mit den objektiv nachprüfbaren Unterlagen wie hier dem Arbeitsbuch des Klägers ermöglichen eine gerichtliche Kontrolle; eine rechtliche Grundlage für eine weitergehende Vermutung dahingehend, dass mit einer Tätigkeit als Vorsitzender eines Volksgerichts ein über den normalen Geschäftsgang eines Gerichts hinausgehender Einfluss im Sinne der Ausübung einer für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsamen Funktion verbunden gewesen wäre, enthält das Gesetz nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG.