Beschluss vom 14.09.2006 -
BVerwG 3 B 13.06ECLI:DE:BVerwG:2006:140906B3B13.06.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.09.2006 - 3 B 13.06 - [ECLI:DE:BVerwG:2006:140906B3B13.06.0]

Beschluss

BVerwG 3 B 13.06

  • VG Halle - 21.09.2005 - AZ: VG 5 A 280/04 HAL

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. September 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht van Schewick und Dr. Dette
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 21. September 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Klägerin begehrt ihre Rehabilitierung nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) und macht eine gesundheitliche Schädigung geltend. Seit 1971, mindestens seit Oktober 1972, sei sie diversen Schikanen durch Mitarbeiter des MfS ausgesetzt und insbesondere gezwungen gewesen, sich einer psychiatrischen Behandlung zu unterziehen; ansonsten hätte sie nicht weiterstudieren können. Mit dem angegriffenen Bescheid vom 3. Juli 2002 stellte das Regierungspräsidium H. fest, dass die am 17. Mai 1977 gegen die Klägerin eingeleitete Operative Personenkontrolle und der am 15. Dezember 1977 eingeleitete Operative Vorgang durch das MfS rechtsstaatswidrig gewesen seien und zu einer gesundheitlichen Schädigung geführt hätten; den weitergehenden Antrag hinsichtlich eines verfolgungsbedingten Eingriffs vor diesem Zeitraum lehnte es ab. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, da die Rehabilitierungsbehörde zu Recht festgestellt habe, dass die Klägerin für die Zeit vor Einleitung der operativen Maßnahmen durch das MfS im Jahre 1977 keinen Anspruch auf Verwaltungsrechtliche Rehabilitierung habe.

2 Die Beschwerde ist nicht begründet. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegt nicht vor. Die Beschwerde hält dem Verwaltungsgericht eine Verletzung der Fürsorge-, Aufklärungs- und Ermittlungspflicht sowie einen Verstoß gegen den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör und faires Verfahren vor. Das Gericht hätte zur weiteren Sachverhaltsaufklärung die Krankenakte der Klägerin aus der Parkklinik L. und Psychiatrie L. anfordern und die behandelnden Ärzte um Auskunft ersuchen müssen. Aus den Befundberichten gehe hervor, dass es sich bei den in der Psychiatrie durchgeführten Maßnahmen um die „sozialistische Umerziehung“ gehandelt habe. Das Gericht stelle sachfremde Erwägungen an, wenn es auf die Mitgliedschaft der Klägerin in der SED abstelle. Das Gericht hätte aufklären müssen, dass gerade SED-Mitglieder in die „sozialistische Umerziehung“ einbezogen worden seien. Die eidesstattliche Versicherung der Mutter der Klägerin sei weder beachtet noch verwertet worden. Die Anregung des anwaltlichen Vertreters der Klägerin, von Dr. med. H. vom Klinikum Westend - Behandlungszentrum für Folteropfer, Berlin - ein Gutachten zur Aktenlage einzuholen, sei, unbeantwortet geblieben. Die Absicht des Gerichts, die Klage ohne Aufklärung des Sachverhalts und ohne Beweisaufnahme abzuweisen, dränge sich auf, da über den Prozesskostenhilfeantrag erst zwei Wochen vor dem Termin positiv entschieden worden sei. Die Klägerin hätte dazu, dass sie von ihrem Ehemann „verraten“ worden sei, vom Gericht vernommen werden müssen. Da sie zum Termin nicht persönlich geladen worden sei, sei ihr das rechtliche Gehör versagt worden.

3 Die gerügten Verfahrensfehler liegen nicht vor. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist ein Verstoß gegen eine Norm, die den äußeren Verfahrensablauf, also den Weg zum Urteil und die Art und Weise des Urteilserlasses, nicht jedoch dessen Inhalt und den inneren Vorgang der richterlichen Rechtsfindung betrifft (Beschluss vom 11. Januar 2002 - BVerwG 9 B 40.01 - m.w.N.). In der Sache wendet sich die Klägerin nicht gegen eine verfahrensfehlerhafte Sachverhaltsfeststellung des Verwaltungsgerichts. Mit der Behauptung unrichtiger Sachverhaltswürdigung ist nämlich in aller Regel - so auch hier - kein Verfahrensmangel dargetan. Allerdings kommt eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) als Verfahrensfehler in Betracht, wenn die tatsächliche Würdigung von Indizien auf einem Verstoß gegen Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze beruht (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 = Buchholz 310 § 108 Nr. 225). Das ist freilich nur der Fall, wenn eine andere als die angegriffene Einschätzung denk- oder erfahrungsgesetzlich zwingend geboten ist. Das belegt die Beschwerde jedoch nicht.

4 Davon abgesehen scheitert die Aufklärungsrüge auch daran, dass von einer anwaltlich vertretenen Partei im Allgemeinen - so auch hier - erwartet werden kann, dass eine von ihr für notwendig erachtete Sachaufklärung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der gemäß § 86 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Form beantragt wird. Wenn der Anwalt dies versäumt hat, kann seine Mandantin eine mangelnde Sachaufklärung nicht mehr erfolgreich rügen (vgl. z.B. Urteil vom 27. Juli 1983 - BVerwG 9 C 541.82 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 146). Ausweislich der Sitzungsniederschrift hat der anwaltliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 21. September 2005 keine Beweisanträge gestellt.

5 Im Gegensatz zur Behauptung der Beschwerde drängte sich auch eine weitere Aufklärung nicht auf. So hätte etwa die Anforderung der Krankenakte der Klägerin aus der Parkklinik L. und der Psychiatrie L. und ein Auskunftsersuchen an die behandelnden Ärzte nichts zur weiteren Sachverhaltsaufklärung beitragen können, da es für die hier zu entscheidenden Fragen nicht weitergeführt hätte. Inwiefern sich aus den Krankenakten und Auskünften der behandelnden Ärzte hätte ergeben können, dass die Klägerin aufgrund von Verfolgungsmaßnahmen psychisch erkrankte, wird ebenso wenig dargelegt, wie Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind. Das gleiche gilt für die Behauptung, es habe sich bei den in der Psychiatrie durchgeführten Maßnahmen um die „sozialistische Umerziehung“ gehandelt, in die gerade SED-Mitglieder einbezogen worden seien. Ein Grund, auf die eidesstattliche Versicherung der Mutter der Klägerin vom 13. November 2002 einzugehen, ist genauso wenig ersichtlich, da sich aus dieser ebenfalls keine konkreten Anhaltspunkte für Verfolgungsmaßnahmen ergeben. So attestiert die Mutter lediglich, dass die Klägerin vor der Ende 1971/Anfang 1972 notwendigen psychotherapeutischen Behandlung nicht verhaltensauffällig gewesen sei oder an psychischen Erkrankungen gelitten habe und sie über etwa in diesem Zeitpunkt vorhandene psychische Erkrankungen abgesehen von zeitweiligen depressiven Verstimmungen nicht informiert worden sei. Für die Vorinstanz bestand auch kein Anlass, der Anregung des anwaltlichen Vertreters der Klägerin nachzukommen, von Dr. med. H. vom Klinikum Westend - Behandlungszentrum für Folteropfer, Berlin - ein Gutachten zur Aktenlage einzuholen, da auch dieses lediglich die sich aus der Aktenlage ergebende psychische Erkrankung der Klägerin, nicht aber dafür ursächliche Verfolgungsmaßnahmen hätte darstellen können. Die Begründung der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag lässt keineswegs Rückschlüsse auf die Notwendigkeit weiterer Sachverhaltsaufklärung zu. Die im Prozesskostenhilfeverfahren aufgrund summarischer Prüfung abgegebene Einschätzung über einen noch bestehenden Aufklärungsbedarf kann naturgemäß nachträglich - d.h. nach eingehender Sach- und Rechtsprüfung - gewonnenen abweichenden Erkenntnissen weder rechtlich noch tatsächlich entgegenstehen.

6 Zur Begründung der Verfahrensrüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtlichen Gehör hätte jedenfalls der substantiierte Vortrag gehört, welche Tatsachen bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen worden wären und dass diese Tatsachen zur Klärung der Rechtslage im Sinne der Partei geeignet gewesen wären (vgl. Beschluss vom 31. Juli 1985 - BVerwG 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28). Diesen Vortrag lässt die Beschwerdebegründung vermissen. Zudem hätte es der Klägerin freigestanden, zur mündlichen Verhandlung, zu der ihr anwaltlicher Prozessvertreter ordnungsgemäß geladen war, neben diesem persönlich zu erscheinen. Davon abgesehen ist auch nichts ersichtlich, was die Klägerin über den schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag ihres Bevollmächtigten hinaus noch hätte vortragen können.

7 Soweit der Beschwerdebegründung ergänzend eine eindringliche von der Klägerin persönlich verfasste Stellungnahme (4 Seiten) beigefügt ist, erfüllt sie nicht die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 VwGO, wonach die Klägerin sich bei ihrem Rechtsbehelf durch einen Rechtsanwalt oder Hochschullehrer mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen muss. Aus dem Vertretungszwang folgt, dass der Rechtsmittelbegründung die Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs durch den Rechtsanwalt zu entnehmen sein muss, der die Begründung eingereicht hat. Das heißt, dass der postulationsfähige Prozessbevollmächtigte selbst darlegen muss, weshalb im Einzelnen der Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben sein soll, auf den die Beschwerde gestützt wird (vgl. Beschluss vom 19. August 1993 - BVerwG 6 B 42.93 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 81 m.w.N.). Davon abgesehen sind auch dieser Stellungnahme keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnten.

8 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.