Beschluss vom 15.02.2007 -
BVerwG 2 B 67.06ECLI:DE:BVerwG:2007:150207B2B67.06.0

Beschluss

BVerwG 2 B 67.06

  • OVG Rheinland-Pfalz - 21.07.2006 - AZ: OVG 2 A 10576/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Februar 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Groepper und Dr. Heitz
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Juli 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 73,62 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers ist nicht begründet.

2 In dem Berufungsurteil hat das Oberverwaltungsgericht einen Beihilfeanspruch des Klägers für Aufwendungen, die für eine Hippotherapie seiner schwerbehinderten Tochter im Oktober 2000 angefallen sind, verneint, weil dem Kläger nach dem rechtskräftigen Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Juni 2005 für diesen Monat kein Kindergeld für die Tochter zugestanden habe. Der Verordnungsgeber habe die Beihilfeberechtigung für ein Kind an die Kindergeldberechtigung geknüpft. Es sei nicht gleichheitswidrig, dass er hiervon eine Ausnahme für in Ausbildung befindliche Kinder bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres gemacht habe, für die wegen der Höhe ihres Einkommens keine Kindergeldberechtigung bestehe.

3 Der Kläger wirft die Rechtsfragen als grundsätzlich bedeutsam auf, ob
- ein rechtskräftiges Urteil des Finanzgerichts über die Kindergeldberechtigung Entscheidungen über die Gewährung von Beihilfen für das jeweilige Kind verbindlich zugrunde zu legen ist;
- Beamte, denen kein Kindergeld für ein behindertes Kind zusteht, hinsichtlich der Beihilfeberechtigung gleichheitswidrig gegenüber Beamten benachteiligt werden, denen kein Kindergeld für ein in Ausbildung befindliches Kind zusteht.

4 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf (Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91>; stRspr).

5 Der ersten Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, weil aufgrund der Urteile des Senats vom 26. August 1993 - BVerwG 2 C 16.92 - (BVerwGE 94, 98 <99>) und vom 21. Dezember 2000 - BVerwG 2 C 39.99 - (BVerwGE 112, 308 <311 f.>) kein Klärungsbedarf mehr besteht.

6 Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 der Beihilfenverordnung Rheinland-Pfalz - BVO RP - sind die Aufwendungen nach Absatz 1 beihilfefähig für Kinder, die im Familienzuschlag nach dem Bundesbesoldungsgesetz berücksichtigungsfähig sind. Dies wiederum hängt gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG ausschließlich davon ab, ob dem Beamten für das Kind Kindergeld zusteht. Demnach setzt die Beihilfeberechtigung für ein Kind - ebenso wie die Gewährung des kinderbezogenen Familienzuschlages für dieses Kind - die Kindergeldberechtigung voraus. Diese gesetzliche Akzessorietät hat zur Folge, dass ein rechtskräftiges Urteil des Finanzgerichts über das Bestehen oder Nichtbestehen der Kindergeldberechtigung gemäß § 110 Abs. 1 FGO nicht nur für den kinderbezogenen Familienzuschlag, sondern auch für die Beihilfeberechtigung vorgreiflich ist. Behörden und Gerichte müssen die rechtskräftige Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens der Kindergeldberechtigung ohne nochmalige Prüfung ihren Entscheidungen über die Gewährung von Beihilfen für das jeweilige Kind zugrunde legen. Insoweit kann auf die Gründe des Beschlusses vom 13. Februar 2007 in dem Parallelverfahren - BVerwG 2 B 65.06 - verwiesen werden.

7 Der zweiten Frage kommt keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu, weil sie aufgrund der Rechtsprechung des Senats zum Gestaltungsspielraum des Normgebers im Beihilferecht (vgl. zuletzt Urteil vom 15. Dezember 2005 - BVerwG 2 C 35.04 - BVerwGE 125, 21 <29 f.>) ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann, soweit sie für den vorliegenden Fall entscheidungserheblich ist.

8 In dem Urteil vom 15. Dezember 2005 (a.a.O.) hat der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine weitgehende Gestaltungsfreiheit des Normgebers bei der Reglung des Beihilferechts anerkannt. Aufgrund dessen ist der Gleichheitssatz nicht schon dann verletzt, wenn der Normgeber nicht die gerechteste, zweckmäßigste oder vernünftigste Lösung gewählt hat. Vielmehr muss sich die Ungleichbehandlung von Lebenssachverhalten als evident sachwidrig erweisen oder gegen die vom Grundgesetz getroffenen Wertentscheidungen verstoßen.

9 Die Kindergeldberechtigung und daran anknüpfend die Beihilfeberechtigung für ein behindertes Kind setzen voraus, dass das Kind wegen der Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten (§ 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG; § 2 Abs. 2 Satz 1 BVO RP, § 40 Abs. 2 Satz 1 BBesG). Dies ist anzunehmen, wenn die Berechnung nach dem Monatsprinzip ergibt, dass die Mittel, die zur Deckung des allgemeinen Lebensbedarfs (Grundbedarfs) und des individuellen behindertenbedingten Mehr-bedarfs erforderlich sind, die dem Kind zur Verfügung stehenden Mittel zum Lebensunterhalt übersteigen (zum Ganzen Heuermann, in: Blümich, EStG, § 32 Rn. 105 ff.).

10 Demgegenüber besteht die Kindergeldberechtigung für ein in Ausbildung befindliches Kind bis zu dessen Vollendung des 27. Lebensjahres, künftig des 25. Lebensjahres, ohne Rücksicht auf dessen Bedarf und die ihm zur Deckung des Lebensunterhalts zufließenden Mittel, sofern diese Mittel den gesetzlichen Grenzbetrag in einem Kalenderjahr voraussichtlich nicht übersteigen (§ 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 EStG). Der mit der nachträglich festgestellten Überschreitung des Grenzbetrages verbundene Wegfall der Kindergeldberechtigung für das jeweilige Kalenderjahr lässt jedoch gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 BVO RP die Beihilfeberechtigung für das Kind unberührt. Der Verordnungsgeber hat hier die ansonsten bestehende Abhängigkeit der Beihilfeberechtigung von der Kindergeldberechtigung gelöst.

11 Die Bedeutung der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 BVO RP liegt in dem dadurch normierten Verzicht auf die Rückforderung von Beihilfen, die während des Kalenderjahres im Vertrauen auf die Kindergeldberechtigung gezahlt worden sind, wenn sich nach Ablauf des Kalenderjahres herausstellt, dass die Kindergeldberechtigung nicht besteht, weil das Einkommen des Kindes über der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG festgelegten Grenze liegt. Müssten in diesem Fall die Beihilfen zurückgezahlt werden, so müsste der Beamte die Aufwendungen regelmäßig selbst tragen, weil er allenfalls für zwei Monate rückwirkend Versicherungsschutz erlangen kann.

12 Davon ausgehend liegt in der Zuerkennung der Beihilfeberechtigung trotz fehlender Kindergeldberechtigung durch § 2 Abs. 2 Satz 2 BVO RP keine evident sachwidrige Benachteiligung derjenigen Beamten, deren behindertes Kind - wie die Tochter des Klägers - beitragsfrei gesetzlich krankenversichert ist. Schon aus diesem Grund besteht ein ins Gewicht fallender Unterschied zu den von § 2 Abs. 2 Satz 2 BVO RP erfassten Beamten, deren Kind gerade keinen Versicherungsschutz genießt. Das durch diese Regelung abgedeckte Risiko besteht für Beamte mit einem krankenversicherten behinderten Kind nicht in gleicher Weise. Hinzu kommt, dass Aufwendungen für ein solches Kind, die dessen behindertenbedingten Mehrbedarf erhöhen, nach der gesetzlichen Systematik in Grenzfällen dazu führen können, dass der Beamte erst dadurch Kindergeld, den kinderbezogenen Familienzuschlag und Beihilfe für die Aufwendungen erhält. Nach alledem kommt eine Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 2 BVO RP auf Beamte, denen kein Kindergeld für ein behindertes Kind zusteht, im Wege des Analogieschlusses nicht in Betracht.

13 Soweit der Kläger auf „§§ 1, 2 Abs. 1 Ziffer 5 und 3 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung“ verweist, genügt die Beschwerdebegründung den Darlegungsanforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht. Insoweit lässt sich dem Beschwerdevorbringen bereits keine konkrete Frage zur Auslegung einer Regelung dieses Gesetzes entnehmen.

14 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.