Beschluss vom 15.04.2008 -
BVerwG 10 B 122.07ECLI:DE:BVerwG:2008:150408B10B122.07.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.04.2008 - 10 B 122.07 - [ECLI:DE:BVerwG:2008:150408B10B122.07.0]

Beschluss

BVerwG 10 B 122.07

  • Schleswig-Holsteinisches OVG - 18.01.2007 - AZ: OVG 1 LB 51/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. April 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und
die Richterin am Bundesverwaltungsgricht Fricke
beschlossen:

  1. Der Beigeladenen wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ..., ..., 20457 Hamburg, beigeordnet.
  2. Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Januar 2007 wird aufgehoben, soweit es das Begehren auf Flüchtlingsanerkennung betrifft.
  3. Die Sache wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  4. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  5. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

1 Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO).

2 Die Beschwerde, die sich bei sachdienlicher Auslegung nur gegen die Aufhebung der seitens des Bundesamtes erfolgten Flüchtlingsanerkennung der Beigeladenen wendet, hat mit einer der von ihr erhobenen Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils an das Berufungsgericht zurück.

3 Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht das rechtliche Gehör der Beigeladenen verletzt hat (Art. 103 Abs. 1 GG), indem es entscheidungserhebliches Vorbringen der Beigeladenen nicht in der gebotenen Weise berücksichtigt hat. Eine derartige Rüge hat die Beschwerde sinngemäß mit ihrem Vorbringen erhoben, das Berufungsgericht sei dem Vortrag der Beigeladenen nicht nachgegangen, sie, eine armenische Volkszugehörige, könne die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit von ihren Eltern ableiten und bei einem etwaigen Verlust dieser Staatsangehörigkeit sei von einer asylrechtsrelevanten Benachteiligung armenischer Volkszugehöriger auszugehen.

4 Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet die Gerichte, die entscheidungserheblichen Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann allerdings nur angenommen werden, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt. So liegt der Fall hier. Das Berufungsgericht hat den fraglichen Vortrag der Beigeladenen, dass sie die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit von ihren Eltern ableiten könne, ausweislich der Sachverhaltsdarstellung in dem angefochtenen Urteil zwar ansatzweise zur Kenntnis genommen; denn das Berufungsgericht hat dort diesen Vortrag insoweit wiedergegeben, als die Beigeladene noch 1988 (als Achtjährige - vor der staatlichen „Verselbständigung“ Aserbaidschans -) mit Hilfe von Bekannten nach Russland gebracht worden sei, ihre Eltern dagegen in Aserbaidschan verblieben seien (UA S. 3). Aus den Entscheidungsgründen ergibt sich aber, dass das Berufungsgericht dieses Vorbringen, das die Beigeladene mit entsprechenden Beweisanträgen gestützt hat (vgl. Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen vom 11. Januar 2007 etwa S. 4 unter A Nr. 5 und 6 sowie S. 23 unter E Nr. 1, Niederschrift über die Berufungsverhandlung sowie die Beschwerdebegründung S. 10 ff., 40 f, 56 f. und 64), gleichwohl nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hat. Das Berufungsgericht hat für seine Auffassung, dass die Beigeladene die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit zu keinem Zeitpunkt besessen habe, maßgeblich darauf abgestellt, dass die Beigeladene Aserbaidschan verlassen habe, als es diese frühere Sowjetrepublik als selbständigen Staat und damit eine eigenständige aserbaidschanische Staatsangehörigkeit noch nicht gegeben habe. Auf das sinngemäße Vorbringen der Beigeladenen, sie sei bei ihrer Flucht und auch zur Zeit der staatlichen „Verselbständigung“ Aserbaidschans noch minderjährig gewesen und könne die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit von ihren Eltern, die in Aserbaidschan verblieben seien, ableiten, geht das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen mit keiner Erwägung ein. Dies fällt insbesondere auch deshalb auf, weil das Berufungsgericht in den Verfahren der beiden Töchter der Beigeladenen jeweils geprüft hat, ob die Töchter die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit von ihrem Vater ableiten können (vgl. dazu die Beschlüsse des Senats vom heutigen Tage in den Verfahren BVerwG 10 B 135.07 und BVerwG 10 B 136.07 ). Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalles kann demnach nicht davon ausgegangen werden, dass das Berufungsgericht diesen Teil des Vorbringens der Beigeladenen in der gebotenen Weise berücksichtigt hat.

5 Auf die weiteren Rügen der Beschwerde kommt es demzufolge nicht mehr an. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).