Beschluss vom 15.05.2007 -
BVerwG 1 B 217.06ECLI:DE:BVerwG:2007:150507B1B217.06.0

Beschluss

BVerwG 1 B 217.06

  • VGH Baden-Württemberg - 14.08.2006 - AZ: VGH A 2 S 510/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Mai 2007
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Richter und Prof. Dr. Dörig
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14. August 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde, die sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie auf einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) stützt, hat keinen Erfolg.

2 Die Beschwerde hält sinngemäß die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob der Tatbestand des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - Qualifikationsrichtlinie -, nämlich das Vorliegen willkürlicher Gewalt, im Entscheidungsfall erfüllt sei und sich für den Kläger, einen irakischen Staatsangehörigen, daraus ein Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes ergebe. Im Ergebnis könne daran kein Zweifel bestehen, zumal die Lage im Irak sich täglich neu verschärfe und unbestritten sei, dass es seit der offiziellen Beendigung des Krieges weitaus mehr Tote gegeben habe als während des Konflikts selbst, und ebenso unbestritten sei, dass es gerade in den letzten Monaten nicht nur mehr Binnenvertriebene gegeben habe als noch während der Kampfhandlungen, sondern auch mehr Menschen aus dem Irak flüchteten als noch während des Krieges. Die Lage im Irak erfülle damit in geradezu klassischer Weise den beschriebenen Tatbestand der „willkürlichen Gewalt“. Die Frage der unmittelbaren Anwendung und der Auslegung des Art. 15 Buchst. c der Richtlinie sei höchstrichterlich bisher nicht geklärt und habe deshalb grundsätzliche Bedeutung. Diese Grundsatzrüge genügt bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Beschwerde macht nicht ersichtlich, dass sich in einem Revisionsverfahren eine mit Art. 15 Buchst. c der Richtlinie zusammenhängende Frage in entscheidungserheblicher Weise stellen würde. Von allem anderen abgesehen, insbesondere der Frage einer etwaigen Vorwirkung der Richtlinie vor Ablauf der Umsetzungsfrist zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung, trifft es zwar zu, dass die Richtlinie von willkürlicher Gewalt spricht. Die Richtlinie lässt aber grundsätzlich keine allgemeine Bedrohung genügen, wie von der Beschwerde geltend gemacht, sondern setzt eine individuelle Bedrohung voraus (vgl. auch den Erwägungsgrund Nr. 26 vor Art. 1 der Richtlinie). Auf eine individuelle Bedrohung des Klägers, die vom Berufungsgericht verneint worden ist (BA S. 8), geht die Beschwerde in diesem Zusammenhang nicht ein. Sie verweist lediglich auf die allgemeine Sicherheitslage im Irak.

3 Die Beschwerde beanstandet ferner, das Berufungsgericht habe den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Die Berufungsentscheidung habe sich nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Kläger bei einer Rückkehr in den Irak eine nichtstaatliche Verfolgung durch Übergriffe von Anhängern der Baath-Partei zu befürchten habe. Denn der Kläger habe aus Sicht der „Baathisten“ die (frühere) irakische Opposition unterstützt. Das Berufungsgericht habe sich insbesondere mit den entsprechenden Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil nicht hinreichend befasst. Dieser Vorwurf trifft nicht zu.

4 Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann nur festgestellt werden, wenn sich aus besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Berufungsgericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder nicht hinreichend in Erwägung gezogen hat. Solche Umstände macht die Beschwerde nicht ersichtlich. Der Berufungsentscheidung ist zu entnehmen, dass das Berufungsgericht eine mögliche Verfolgung des Klägers durch nichtstaatliche Akteure im Irak geprüft hat. Das Berufungsgericht zitiert im Tatbestand seiner Entscheidung aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts im vorliegenden asylrechtlichen Widerrufsverfahren ausdrücklich die einschlägige Vorschrift in § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG (BA S. 4). In den Entscheidungsgründen wird eine - von einer etwaigen früheren Verfolgung unabhängige - Verfolgungsgefahr nach Maßgabe des § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG, also auch durch nichtstaatliche Akteure, ausgeschlossen (BA S. 8). Das Berufungsgericht ist ferner auf die Gefahr von Übergriffen durch Anhänger des früheren Baath-Regimes eingegangen. Es referiert im Tatbestand die Erwägung des Verwaltungsgerichts, inwieweit Angehörige der früheren Machtstrukturen in den Terrorgruppen verankert seien und dort entscheidenden Einfluss hätten. Es referiert weiter die vom Verwaltungsgericht angesprochene Gefahr, dass frühere Regimeangehörige ihre Macht „verwaltungsintern“ - aus unterwanderten Sicherheitseinheiten heraus - missbrauchen könnten (BA S. 4 und 5). In den Entscheidungsgründen führt das Berufungsgericht aus, dass eine politische Verfolgung des Klägers, die eine Verknüpfung mit einer etwaigen früheren Verfolgung des Klägers durch das Regime Saddam Husseins aufweisen könnte, mit hinreichender Sicherheit auszuschließen sei. In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich auch von Anhängern des früheres Baath-Regimes die Rede (BA S. 7). Dass das Berufungsgericht nicht noch gesondert eine Gefährdung des Klägers durch „Baathisten“ als nichtstaatliche Akteure untersucht hat, liegt daran, dass es eine derartige Gefahr nicht als gänzlich neue und andersartige Verfolgung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG angesehen, sondern im Zusammenhang mit der Frage einer etwaigen früheren Verfolgung geprüft hat. Dies wird deutlich durch die Bezugnahme in der Berufungsentscheidung auf das Urteil des Senats vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - (BVerwGE 124, 276 = Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 15; vgl. inzwischen auch Urteil des Senats vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 = InfAuslR 2007, 33). Im Übrigen hat sich der Kläger auch nach der Ankündigung des Berufungsgerichts, die Klage ohne mündliche Verhandlung abweisen zu wollen, in seinem von der Beschwerde zitierten Schriftsatz vom 3. Juli 2006 nicht auf eine nichtstaatliche Verfolgung durch Anhänger des früheren Baath-Regimes bezogen.

5 Entsprechendes gilt für den von der Beschwerde angesprochenen Komplex einer inländischen Fluchtalternative im Irak. Auch hier trifft es nicht zu, dass das Berufungsgericht Vorbringen des Klägers nicht hinreichend zur Kenntnis genommen bzw. berücksichtigt hat. Das Gericht hat die Angaben des Klägers im Berufungsverfahren hierzu vollständig wiedergegeben und erwogen (vgl. BA S. 5 und 8). Im Übrigen kommt es auf diesen Fragenkomplex nicht entscheidungserheblich an.

6 Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.