Beschluss vom 15.09.2004 -
BVerwG 7 B 75.04ECLI:DE:BVerwG:2004:150904B7B75.04.0

Beschluss

BVerwG 7 B 75.04

  • Niedersächsisches OVG - 27.11.2003 - AZ: OVG 7 KS 650/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. September 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 27. November 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Der Kläger wendet sich gegen die unter dem 19. Dezember 2000 erteilte Dritte atomrechtliche Teilgenehmigung zum Betrieb der Pilot-Konditionierungsanlage Gorleben. Diese Anlage soll dazu dienen, abgebrannte Leichtwasser-Brennelemente, die nicht wieder aufgearbeitet werden, so herzurichten, dass die entstehenden Gebinde für eine Zwischen- und eine mögliche spätere direkte Endlagerung geeignet sind; daneben soll ein Behälterservice geboten werden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil die Genehmigung nicht an den gerügten Verfahrensfehlern leide und auch die Möglichkeit einer Verletzung materieller Rechte des Klägers nach seinem Vorbringen ausgeschlossen sei.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache weist weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (1.), noch liegt die gerügte Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO vor (2.).
1. Der Kläger misst dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf die Nebenbestimmung A 5.6 der angegriffenen Genehmigung bei. Darin ist geregelt, dass Voraussetzung für die Aufnahme der Konditionierung die Benennung eines Endlagerstandortes durch den Bund und die Qualifizierung des Konditionierungsverfahrens hinsichtlich der Endlagerfähigkeit der erzeugten Produkte durch das Bundesamt für Strahlenschutz sei. Ausgenommen von dieser Voraussetzung ist lediglich die Konditionierung im Zuge von Reparaturmaßnahmen an schadhaften Behältern. Der Kläger meint, durch diese Nebenbestimmung werde der Beginn des Betriebs der Konditionierung auf eine ungewisse Zukunft verlagert, weil die Benennung eines Endlagerstandortes durch den Bund nicht absehbar sei. Er hält daher für grundsätzlich klärungsbedürftig,
"ob § 7 Abs. 2 Ziffer 3 AtG zulässt, dass eine Betriebsgenehmigung für eine Anlage im Sinne von § 7 Abs. 1 AtG - betreffend einen wesentlichen Teil des genehmigten Betriebes - erst in unbestimmter Zukunft nach der Genehmigungserteilung, dann aber ohne weitere behördliche Prüfung des Vorliegens der Genehmigungsvoraussetzungen vollzogen wird,"
und beruft sich darauf, dass das Instrumentarium des § 17 AtG, auf das das Oberverwaltungsgericht insoweit verwiesen habe, ihm bei weitem nicht das Schutzniveau biete, wie es bei Erteilung einer Genehmigung zu gewähren sei.
Die vom Kläger als klärungsbedürftig bezeichnete Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil sie in einem Revisionsverfahren nicht beantwortet werden müsste. Dort würde sie sich nur stellen, wenn der Kläger die Möglichkeit einer Verletzung seiner materiellen Rechte durch die von ihm beanstandete Verfahrensgestaltung dargelegt hätte. Das bedeutet, der Vortrag des Klägers darf es zumindest nicht ausgeschlossen erscheinen lassen, dass die durch den Betrieb der Anlage zu erwartende Strahlenexposition im Zeitpunkt der - nach Nebenbestimmung A 5.6 erlaubten vollständigen - Ausnutzung der Genehmigung als für ihn nicht hinnehmbar beurteilt werden wird, also gemessen an dem dann maßgeblichen Stand von Wissenschaft und Technik. Für die Möglichkeit einer solchen Entwicklung ergeben sich jedoch aus seinem Prozessvorbringen keine Anhaltspunkte. Aber auch unabhängig davon liegt diese Möglichkeit im Hinblick darauf, dass nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts die nach § 45 Abs. 1 der Strahlenschutzverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Juni 1989 (BGBl I S. 1321, 1926) - StrlSchV a.F. - maßgeblichen Dosisgrenzwerte nicht einmal zu 10 % und die nach § 28 Abs. 3 StrlSchV a.F. für Störfälle geltenden Dosisgrenzwerte zu weniger als 5 % ausgenutzt werden, mehr als fern. Dies gilt umso mehr, als der Zeitraum, zu dem die in der Nebenbestimmung A 5.6 der Genehmigung aufgestellten Voraussetzungen voraussichtlich erfüllt sein werden, selbst dann nur einen Bruchteil der zu erwartenden Betriebsdauer solcher kerntechnischer Anlagen ausmachen würde, wenn er die vom Kläger veranschlagten zehn Jahre betragen sollte, so dass er hinsichtlich der Konkretisierung der Anforderungen des § 7 Abs. 2 Ziff. 3 AtG immer noch als überschaubar beurteilt werden muss.
2. Die vom Kläger nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO geltend gemachte Divergenz liegt ebenfalls nicht vor. Der Kläger rügt eine Abweichung des angegriffenen Urteils von der "Mülheim-Kärlich"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 20. Dezember 1979 - 1 BvR 385/77 - BVerfGE 53, 30). Während das Oberverwaltungsgericht eine Rechtsverletzung verneint habe, solange die Beigeladenen die Konditionierung nicht aufnehmen dürften, habe das Bundesverfassungsgericht ein Rechtsschutzbedürfnis auch für die Anfechtung bloßer Errichtungsgenehmigungen für solche Anlagen bejaht.
Die Abweichung besteht nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat dem Kläger nicht das Rechtsschutzinteresse abgesprochen, weil sich die vermeintliche Gefahr erst mit Aufnahme des zunächst nicht erlaubten Betriebs der Anlage realisieren könne; es hat eine Rechtsbeeinträchtigung vielmehr deswegen verneint, weil nach seiner Auffassung die Rechte des Klägers durch das Instrumentarium des § 17 AtG gewahrt werden könnten.
Ebenso wenig ist die vom Kläger gerügte Divergenz zu der "Kalkar I"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 8. August 1978 - 2 BvL 8/77 - BVerfGE 49,89) erkennbar. Der zitierten Passage dieses Beschlusses (a.a.O. S. 138 f.) lässt sich entgegen der Ansicht des Klägers keine Aussage dazu entnehmen, in welcher Weise die gebotene Gefahrenabwehr und Risikovorsorge sicherzustellen ist, wenn schon bei Erteilung einer Betriebsgenehmigung feststeht, dass der Betrieb erst deutlich später aufgenommen werden darf.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG a.F. und § 72 Nr. 1 GKG n.F.