Beschluss vom 15.12.2004 -
BVerwG 5 B 124.04ECLI:DE:BVerwG:2004:151204B5B124.04.0

Beschluss

BVerwG 5 B 124.04

  • OVG Rheinland-Pfalz - 01.09.2004 - AZ: OVG 12 A 10795/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Dezember 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. F r a n k e und Prof. Dr. B e r l i t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 1. September 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Die auf Zulassung der Revision gerichtete Beschwerde ist nicht begründet. Die Revision kann nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen Divergenz zugelassen werden.
Der Beklagte behauptet zwar eine Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. November 1995 (- BVerwG 5 C 13.94 - BVerwGE 100, 50 = FEVS 46, 397) "zum Vorrang von Leistungen der Arbeitsverwaltung gegenüber Leistungen des Sozialhilfeträgers für berufsfördernde Leistungen der Rehabilitation (heute Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben)", wonach das Bundesverwaltungsgericht folgende Feststellungen getroffen habe: "Ist Ziel der Hilfe Eingliederung in den Arbeitsmarkt und führen beide in Frage kommenden Maßnahmen (...) zu demselben Ziel, verlange es der Nachranggrundsatz, § 2 Abs. 1 BSHG, Hilfe der vorrangig zuständigen Arbeitsverwaltung in Anspruch zu nehmen. Dabei komme es auf die Einzelheiten der Ausgestaltung der Bedarfsdeckung in den beiden Sozialleistungssystemen nicht an, auch dann nicht, wenn die Sozialhilfe in einzelnen Beziehungen günstiger ausgestaltet sein sollte. Entscheidend sei, ob die Hilfeleistung des vorrangigen Trägers so ausgestaltet ist, dass sie den Bedarf des Hilfebedürftigen angemessen abdecke und deshalb für das Eingreifen der Sozialhilfe kein Raum mehr sei. Ein Wahlrecht des Hilfebedürftigen zwischen diesen beiden Sozialleistungssystemen bestehe nicht, da der Nachranggrundsatz nicht zur Disposition des Hilfebedürftigen stehe. Das Wunschrecht des § 3 Abs. 2 BSHG betreffe nur das Wie der Hilfeleistung innerhalb dieses Sozialleistungssystems und nicht die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Hilfesystemen."
Der Beklagte hat indes nicht, wie es erforderlich ist (BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 39.95 - NVwZ-RR 1996, 712), aufgezeigt, dass das Berufungsurteil mit einem tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der angeführten Entscheidung in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht. Mit dem Vortrag, das Oberverwaltungsgericht verstoße gegen die vorbezeichneten Grundsätze, wenn es in seinem Urteil zu einer Leistungsverpflichtung des Beklagten komme, indem es, ohne im Einzelnen auf einen Vergleich der beiden hier in Betracht kommenden berufsvorbereitenden Maßnahmen einzugehen, zu dem Ergebnis gelange, dass insgesamt die von der Arbeitsverwaltung zu bewilligenden und von der Klägerin benötigten Leistungen von § 33 Abs. 6 SGB IX nicht oder doch nicht genügend umfasst seien, wobei es "den Umfang der Leistungsverpflichtung der Arbeitsverwaltung als Rehabilitationsträger zu sehr eingeschränkt und nicht beachtet [habe], dass nach § 40 Abs. 1 Satz 2 BSHG Leistungen der Sozialhilfe [...] denen der Arbeitsverwaltung entsprechen", weist der Beklagte gerade keine Divergenz im Sinne einander widersprechender Rechtssätze auf. Er macht der Sache nach vielmehr allein geltend, das Oberverwaltungsgericht habe geltendes Recht falsch angewandt und deshalb fehlerhaft entschieden; das rechtfertigt die Zulassung wegen Divergenz nicht (BVerwG, Beschluss vom 20. Juni 2001 - BVerwG 4 BN 21.01 - NVwZ 2002, 83 <86>). Zudem sind auf der Grundlage der von dem Beklagten als in der Sache unzutreffend beanstandeten, indes nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts die Fallgestaltungen nicht vergleichbar. Das Berufungsgericht ist in Würdigung der im Laufe des Verfahrens vorgelegten und eingeholten Gutachten davon ausgegangen, dass zur Bedarfsdeckung "entgegen der Annahme des Beklagten und der ursprünglichen Ansicht der Eltern der Klägerin bei Antragstellung [...] eine - zwar § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BSHG unterfallende, gemäß § 2 Abs. 1 BSHG aber vorrangig von der Bundesagentur für Arbeit zu bewilligende - Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX wie etwa ein einjähriger Förderlehrgang der Stufe 2 ('F 2-Lehrgang') im Christlichen Jugenddorf Wissen" nicht genügt habe, weil "die Klägerin erst befähigt werden [musste], an einer solchen Maßnahme teilhaben zu können", wofür sie Leistungen der Eingliederungshilfe benötigt hätte, "die zwar - ebenso wie der gesetzlich vorgeschriebene Schulbesuch - letztlich auch zur Erlangung der Berufsreife notwendig sind, aber noch keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne von § 33 SGB IX darstellen" (Berufungsurteil S. 9 f.; so auch S. 13: "Die von der Klägerin derzeit benötigten Leistungen bereiten sie vielmehr erst darauf vor, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX mit Aussicht auf Erfolg in Anspruch nehmen zu können"). Dem herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts lag demgegenüber ein Sachverhalt zu Grunde, in dem die betriebliche und die schulische Ausbildung zu gleichwertigen berufsqualifizierenden Abschlüssen für denselben Beruf führten und auch sonst gleichermaßen geeignet waren, den Bedarf des Hilfebedürftigen angemessen zu decken. Schon in dieser Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht zudem deutlich gemacht, dass von dem Grundsatz, dass sich der Hilfebedürftige grundsätzlich auf die Inanspruchnahme der berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation durch die Arbeitsverwaltung verweisen lassen muss, wenn sie die Ausbildung zu demselben Beruf ermöglichen, Ausnahmen dann in Betracht kommen, "wenn eine betriebliche Ausbildung dem Behinderten mit Blick auf seine Behinderung nicht zumutbar ist, sei es, dass er wegen seiner Behinderung gerade auf eine schulische Ausbildung angewiesen ist oder aber die konkret in Betracht kommenden, von der Arbeitsverwaltung förderbaren betrieblichen oder überbetrieblichen Ausbildungsstätten dem Behinderten nicht unter zumutbaren Bedingungen zugänglich sind oder aber keine behinderungsgerechten Ausbildungsbedingungen aufweisen" (BVerwGE 100, 50 <54>). Lag nach der tatrichterlichen Bewertung der erforderlichen und geleisteten Hilfe gerade noch keine Hilfe zur Teilhabe am Arbeitsleben vor, geht auch der Hinweis des Beklagten auf § 40 Abs. 1 Satz 2 BSHG, wonach die Leistungen der Teilhabe am Arbeitsleben nach diesem Gesetz den Rehabilitationsleistungen der Bundesanstalt für Arbeit entsprechen, ins Leere.
Soweit der Beklagte sinngemäß eine fehlerhafte Anwendung des § 33 SGB IX geltend macht, weil die nach der Auffassung des Berufungsgerichts erforderlichen Leistungen bei aus Sicht des Beklagten zutreffender Betrachtung tatsächlich von § 33 Abs. 6 SGB IX umfasst und daher den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zuzuordnen seien, vermag dies den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (Divergenz) schon deswegen nicht auszufüllen, weil sich das herangezogene Urteil vom 23. November 1995 (BVerwGE 100, 50) nicht zur Auslegung und Anwendung des § 33 SGB IX verhält, der in Anknüpfung an, aber nicht in wortgleicher Übernahme von zuvor geltendem Recht regelt, welche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben die hierfür zuständigen Rehabilitationsträger behinderten und von Behinderung bedrohten Menschen zu erbringen haben.
Soweit der Beklagte eine fehlerhafte Anwendung des § 44 Abs. 1 BSHG geltend macht, lässt dieses Vorbringen schon keinen hinreichenden Bezug zu einem der in §§ 133, 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe für eine Zulassung der Revision erkennen. Im Übrigen richtete sich diese Rüge allein gegen die das Berufungsurteil kumulativ selbständig tragende weitere Begründung, dass der Beklagte den Antrag der Klägerin auch gemäß § 44 Abs. 1 BSHG nicht hätte ablehnen dürfen, wenn man mit dem Beklagten davon ausgehe, "auch die von der Klägerin zunächst benötigten Hilfen zur Stabilisierung ihrer Persönlichkeit und zur Verbesserung ihrer Selbständigkeit habe gemäß § 33 SGB IX vorrangig die Bundesagentur für Arbeit zu erbringen", und berührt nicht die vorrangige, selbständig tragende Begründung, die benötigten Leistungen seien schon keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Sinne von § 33 SGB IX.
Soweit der Beklagte mit dem Vorbringen, "von einem vielleicht nur versäumten Rechtsmittel gegen den Widerspruchsbescheid kann [...] nicht geschlossen werden, dass eine geistige Behinderung vorliegt, die im Übrigen nach § 39 Abs. 1 BSHG wesentlich sein muss", "das Oberverwaltungsgericht hätte hier eindeutigere Feststellungen treffen müssen, um die Klägerin zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 39 BSHG" zählen zu können, sinngemäß eine Verfahrensrüge hätte geltend machen wollen, so ginge diese daran vorbei, dass das Berufungsgericht in Auswertung der beigezogenen Gutachten sowie im Anschluss an die Sacherwägungen des Kreisrechtsausschusses des Beklagten und nicht - allein oder vorrangig - wegen der Bestandskraft eines Widerspruchsbescheides dahin erkannt hat, dass die Klägerin aufgrund ihrer Behinderung unstreitig zu dem Personenkreis, dem nach § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG Eingliederungshilfe zu gewähren ist, gehört, und in Ansehung des § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII von der Zuständigkeit des Beklagten (im Berufungsurteil: des Klägers) als örtlichem Sozialhilfeträger ausgegangen ist (Berufungsurteil S. 8 f.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 188 Satz 2 BSHG nicht erhoben.