Beschluss vom 16.01.2003 -
BVerwG 1 B 468.02ECLI:DE:BVerwG:2003:160103B1B468.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 16.01.2003 - 1 B 468.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:160103B1B468.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 468.02

  • OVG Mecklenburg-Vorpommern - 16.09.2002 - AZ: OVG 3 L 126/00

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Januar 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht H u n d und Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. September 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die auf einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Die Beschwerde beanstandet, das Oberverwaltungsgericht habe es in dem angefochtenen Beschluss zu Unrecht abgelehnt, dem Beigeladenen Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Hierin liege ein Verfahrensmangel. Unstreitig sei die Frist zur Begründung der Berufung versäumt worden. Dieses Fristversäumnis beruhe auf einer fehlerhaften Fristeintragung durch die mit dem Bevollmächtigten des Beigeladenen in Bürogemeinschaft tätige Rechtsanwältin W. Deren Verschulden müsse sich der Beigeladene nicht zurechnen lassen, da sie weder als seine Bevollmächtigte noch als Unterbevollmächtigte tätig geworden sei. Rechtsanwalt Sp. als Bevollmächtigten des Beigeladenen treffe kein eigenes Verschulden. Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts habe Rechtsanwalt Sp. keine Pflicht zur Fristenkontrolle gehabt. Die von der Rechtsprechung für die Überwachung von Büropersonal entwickelten Grundsätze ließen sich auf Rechtsanwälte nicht übertragen. Auch spiele die vom Gericht unterstellte Unerfahrenheit der Anwältin W. in Verwaltungsstreitverfahren keine Rolle, da die Fristberechnung aus der Rechtsmittelbelehrung im Beschluss vom 18. Februar 2002 mit einer Deutlichkeit zu ersehen gewesen sei, die keine Wünsche offen gelassen habe.
Die Ablehnung der Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO ist nicht verfahrensfehlerhaft. Das ergibt sich bereits aus dem vom Oberverwaltungsgericht - zwar nicht entscheidungstragend, aber unstreitig - angeführten Umstand, dass der Beigeladenenvertreter am 2. April 2002 (nach Ablauf der einmonatigen Frist zur Begründung der Berufung am 21. März 2002) gegenüber dem Berichterstatter zunächst erklärt hatte, "er habe entsprechend einer Hamburger Praxis nach der Berufungszulassung auf einen eigenen Begründungsschriftsatz verzichtet, da er im Zulassungsantrag bereits alles vorgetragen habe" (BA S. 3 und Aktenvermerk Bl. 116 d.A.). Damit unvereinbar und deshalb nicht hinreichend glaubhaft ist der spätere Vortrag im Wiedereinsetzungsgesuch, die Fristversäumung beruhe auf einer falschen Fristberechnung durch Rechtsanwältin W. Außerdem ist das Oberverwaltungsgericht zutreffend von einem Organisationsmangel des Bevollmächtigten des Beigeladenen ausgegangen, den sich der Beigeladene als eigenes Verschulden zurechnen lassen muss (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
Wenn ein Rechtsanwalt die Prozessvertretung übernimmt, ist die Wahrung der prozessualen Fristen eine seiner Aufgaben, der er besondere Aufmerksamkeit widmen muss. Diese besondere Sorgfaltspflicht macht es erforderlich, dass er die Wahrung der Frist eigenverantwortlich überwacht (vgl. Beschluss vom 15. August 1994 - BVerwG 11 B 68.94 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 189 m.w.N.). Der Beigeladene hat nicht dargelegt, dass Rechtsanwalt Sp. dieser Überwachungspflicht in dem gebotenen Umfang entsprochen hat. Hierzu reicht der Verweis auf die Übertragung dieser Aufgabe auf die in Bürogemeinschaft mit dem Bevollmächtigten tätige Rechtsanwältin W. nicht aus. Zwar darf ein Rechtsanwalt die Berechnung der üblichen Fristen in Rechtsmittelsachen, die in seiner Praxis häufig vorkommen und deren Berechnung keine rechtlichen Schwierigkeiten macht, gut ausgebildetem und sorgfältig überwachtem Büropersonal überlassen (stRspr, z.B. Beschluss vom 28. Februar 2002 - BVerwG 6 C 23.01 -; Beschluss vom 14. Februar 1992 - BVerwG 8 B 121.91 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 176). Er muss aber auch bei Übertragung der Fristwahrung an einen mit ihm in Bürogemeinschaft tätigen Kollegen für eine Anleitung und Überwachung dieses Anwalts Sorge tragen, um seinen Sorgfaltspflichten bei der Organisation der Fristenkontrolle zu genügen (Beschluss vom 15. August 1994 a.a.O.; ähnlich BGH, Beschluss vom 30. März 1993 - X ZB 2/93 - LS 3 - <juris>). Die Beschwerdebegründung legt nicht dar, ob und gegebenenfalls in welcher Form Rechtsanwalt Sp. Rechtsanwältin W. hinsichtlich der Wahrung verwaltungsgerichtlicher Berufungsfristen angeleitet und überwacht hat. Hierzu hätte im vorliegenden Fall insbesondere deshalb Veranlassung bestanden, weil Rechtsanwältin W. - wie sich aus den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt (BA S. 4) - über keine hinreichenden verwaltungsprozessualen Erfahrungen verfügte und es Rechtsanwalt Sp. für möglich hielt, dass sie die Berufungsbegründungsfrist fehlerhaft nach den Regeln des Zivilprozessrechts berechnete. Dass die Rechtsmittelbelehrung eindeutig eine andere Frist als die eingetragene angab, entbindet nicht vom Erfordernis der Anleitung und Überwachung des mit der Fristwahrung Beauftragten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 a Abs. 2 AsylVfG n.F.