Beschluss vom 16.03.2005 -
BVerwG 4 BN 17.05ECLI:DE:BVerwG:2005:160305B4BN17.05.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 16.03.2005 - 4 BN 17.05 - [ECLI:DE:BVerwG:2005:160305B4BN17.05.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 17.05

  • Bayerischer VGH München - 10.11.2004 - AZ: VGH 26 N 00.187

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. März 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R o j a h n und
Dr. J a n n a s c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. November 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25 000 € festgesetzt.

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
1. Die Beschwerde rügt, das angegriffene Urteil stehe mit seinen Ausführungen zu § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F. in Widerspruch zum Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Januar 1992 - BVerwG 4 NB 22.90 - (NVwZ 1992, 662).
Nach diesem Beschluss liegt ein offensichtlicher Mangel im Abwägungsvorgang im Sinne von § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F. nicht schon dann vor, wenn Planbegründung und Aufstellungsvorgänge keinen ausdrücklichen Hinweis darauf enthalten, dass der Plangeber sich mit bestimmten Umständen abwägend befasst hat. Die Divergenzrüge zielt auf die Ansicht des Normenkontrollgerichts, der Antragsgegner hätte im Bebauungsplanverfahren prüfen müssen, ob der mit der Festsetzung verfolgte Zweck nicht unter einer weitgehenden Schonung des Grundbesitzes der Antragstellerin zu verwirklichen gewesen wäre. Die Beschwerde greift die Auffassung der Vorinstanz an, der festgestellte Mangel sei offensichtlich im Sinne von § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB a.F., weil sich auf der Grundlage der Aufstellungsunterlagen, der Niederschriften über die Gemeinderatssitzungen und der Begründung zum Bebauungsplan nicht ausreichend nachvollziehen lasse, ob der Gemeinderat des Antragsgegners die öffentlichen Belange mit den privaten Belangen der Antragstellerin fundiert abgewogen habe. Die Beschwerde ist der Ansicht, nach dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Januar 1992 (a.a.O.) hätte das Normenkontrollgericht einen offensichtlichen Mangel im Abwägungsvorgang nur annehmen dürfen, wenn konkrete Umstände positiv und klar auf einen solchen Mangel hindeuteten.
Diese Rüge verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Das Normenkontrollgericht gelangt aus zwei Gründen zu dem Ergebnis, dass der Bebauungsplan des Antragsgegners unwirksam ist: Der Antragsgegner habe ein Verkehrsgutachten zu der Frage einholen müssen, in welcher Größenordnung Verkehrsbelastungen und Verkehrsentlastungen bei der Verwirklichung der Straßenplanung für die Anlieger konkret zu erwarten seien. Die Aufstellungsunterlagen ließen nicht erkennen, dass Fachbehörden oder externe Sachverständige zu dieser Frage Stellung genommen hätten. Darin liege insbesondere deshalb ein relevantes Ermittlungsdefizit, weil das Landratsamt
in seiner Stellungnahme die fragliche Straßenverbindung als Übererschließung bezeichnet habe. Außerdem sei der Bebauungsplan unwirksam, weil der Antragsgegner Alternativen, die das Eigentum der Antragstellerin weniger stark belasteten, nicht geprüft habe.
Ist eine Entscheidung - wie hier - auf mehrere, jeweils für sich selbstständig tragfähige Gründe gestützt worden, kann eine Beschwerde nach § 132 Abs. 2 VwGO nur Erfolg haben, wenn der Zulassungsgrund bei jedem der Urteilsgründe zulässig vorgetragen und gegeben ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26; stRspr). Die Auffassung der Vorinstanz, der Bebauungsplan sei unwirksam, weil er mangels Einholung eines Verkehrsgutachtens an einem Ermittlungsdefizit leide, greift die Beschwerde nicht mit der Divergenzrüge an. Sie macht auch nicht geltend, dass ein Verkehrsgutachten eingeholt worden ist. Die Annahme des Ermittlungsdefizits trägt bereits für sich genommen das Verdikt der Unwirksamkeit des Bebauungsplans. Auf die Divergenzrüge, welche die Beschwerde zur Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Eigentum der Antragstellerin (nicht hinreichende Alternativenprüfung) erhebt, ist deshalb nicht näher einzugehen. Diese Divergenzrüge könnte der Beschwerde selbst dann nicht zum Erfolg verhelfen, wenn sie begründet wäre; denn sie betrifft nur einen der jeweils für sich selbstständig tragfähigen Unwirksamkeitsgründe, auf die das Normenkontrollgericht seine Entscheidung stützt.
2. Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob "im Rahmen der Abwägung bei Aufstellung eines Bebauungsplanes in einer arrondierten Gemeinde mit rund 8 000 Einwohnern in einem kleinräumigen Bereich die Einholung eines behördlichen oder privaten verkehrstechnischen Gutachtens zur Beurteilung der Frage erforderlich (ist), ob eine Erschließungsstraße (Wohnstraße von 5,5 m Breite) zur schnelleren Verbindung zur Ortsmitte geplant werden soll bzw. welche Alternativen dafür in Betracht kommen". Mit anderen Worten: "Ist es bei Aufplanung eines überschaubaren Wohnquartiers unabdingbar, zur Planung einer Erschließungsanlage ein verkehrstechnisches Gutachten zu erholen?" Diese Fragen wären in einem Revisionsverfahren nicht in grundsätzlicher und in verallgemeinerungsfähiger Weise für eine Vielzahl von Fällen klärungsfähig. Die Antwort auf die Fragen hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die Grundsatzrüge stellt der Sache nach einen Angriff auf die tatrichterliche Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung dar. Derartige Angriffe können die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nicht begründen.
3. Die Beschwerde rügt, das Normenkontrollgericht habe den Spielraum, der dem Antragsgegner als Normgeber im Rahmen seiner Planungshoheit zustehe, verkannt und sei damit von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 1969 - BVerwG 4 C 105.66 - (BVerwGE 34, 301 <309>) und vom 5. Juli 1974 - BVerwG 4 C 50.72 - (BVerwGE 45, 309 <314> = DÖV 1975, 92 ff.) sowie von dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Dezember 1987 - 2 BvL 16/84 - (NVwZ 1988, 619) abgewichen. Die Rüge ist unzulässig, weil sie den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht genügt. Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit der die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 1995 - BVerwG 6 B 35.95 - NVwZ-RR 1996, 712). Einen derartigen Widerspruch im abstrakten Rechtssatz zeigt die Beschwerde nicht auf. Keine Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn lediglich die unrichtige Anwendung eines vom Bundesverwaltungsgericht oder Bundesverfassungsgericht entwickelten und von der Vorinstanz nicht in Frage gestellten Rechtsgrundsatzes auf den zu entscheidenden Einzelfall geltend gemacht wird.
4. Die zur Frage der Teilnichtigkeit des Bebauungsplans erhobene Divergenzrüge ist ebenfalls unzulässig (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Eine Divergenz zum Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Januar 1994 - BVerwG 4 NB 30.93 - (NVwZ 1994, 684) legt die Beschwerde nicht dar. Sie erschöpft sich in einer Kritik der vorin-stanzlichen Sachverhaltswürdigung, die eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht zu begründen vermag.
5. Erfolglos bleiben schließlich auch die Divergenzrügen, die einen Widerspruch zwischen dem angegriffenen Urteil und den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Februar 1999 - 1 BvR 565/91 - (DVBl 1999, 704 = NVwZ 1999, 979) und vom 19. Dezember 2002 - 1 BvR 1402/01 - NVwZ 2003, 727) geltend machen. Dahinstehen kann, ob diese Rügen angesichts der doppelten Begründung des Normenkontrollurteils (vgl. oben 1.) der Beschwerde zum Erfolg verhelfen könnten. Auch diese Divergenzrügen genügen jedenfalls nicht den Darlegungserfordernissen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, weil sie sich ohne Darlegung eines Widerspruchs im abstrakten Rechtssatz in dem Vorwurf unrichtiger Rechtsanwendung erschöpfen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.