Beschluss vom 16.12.2004 -
BVerwG 6 B 62.04ECLI:DE:BVerwG:2004:161204B6B62.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 16.12.2004 - 6 B 62.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:161204B6B62.04.0]

Beschluss

BVerwG 6 B 62.04

  • VG Köln - 01.07.2004 - AZ: VG 1 K 11131/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. Dezember 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H a h n und V o r m e i e r
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 1. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

1. Die Beschwerde, die sich zulässigerweise gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts richtet (§ 135 Satz 3 VwGO in Verbindung mit § 137 Abs. 3 Satz 2, §§ 132 und 150 Abs. 13 des Telekommunikationsgesetzes <TKG> vom 22. Juni 2004 <BGBl I S. 1190>), hat keinen Erfolg.
Nach § 135 Satz 3 VwGO i.V.m. § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) oder die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung der Vorinstanz beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Wird - wie hier - die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Entscheidung, von der das vorinstanzliche Urteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Revision weder wegen eines Verfahrensmangels (a) noch wegen grundsätzlicher Bedeutung (b) oder wegen Divergenz (c) zugelassen werden.
a) Eine Revisionszulassung wegen eines Verfahrensmangels kommt nicht in Betracht.
aa) Die Beklagte beanstandet zu Unrecht einen Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Sie meint, der Überzeugungsgrundsatz sei verletzt, weil das Verwaltungsgericht unberücksichtigt gelassen habe, dass diejenigen Leistungen, die Gegenstand des mit der Klage angegriffenen Bescheides der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom 5. November 1999 seien, auch von dem nachträglich ergangenen Bescheid der Regulierungsbehörde vom 3. Februar 2000 erfasst seien. Dies rechtfertigt nicht die Annahme eines Verfahrensmangels.
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es ist Sache des Tatsachengerichts, sich im Wege der freien Beweiswürdigung eine Überzeugung über den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden. Dabei hat es das Gesamtergebnis des Verfahrens zu Grunde zu legen. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO wird nur dann genügt, wenn (auch) der entscheidungserhebliche Sachverhalt richtig und vollständig zu Grunde gelegt wird (vgl. Urteil vom 15. April 1997 - BVerwG 8 C 20.96 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 274 S. 36). Das Gericht darf also nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse nicht zur Kenntnis nimmt und nicht in Erwägung zieht. Danach liegt ein Verstoß gegen dieses Gebot vor, wenn ein Gericht von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, es insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <209>). Die Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem sachlichen Recht zuzuordnen. Mit Angriffen gegen eine solche Würdigung kann deshalb grundsätzlich ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht begründet werden (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 und vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 15).
Daran gemessen scheidet ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz aus dem von der Beklagten genannten Grund schon deshalb aus, weil das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 3. Februar 2000 berücksichtigt hat. In den Urteilsgründen (Umdruck S. 10) wird im Zusammenhang mit der Prüfung der Frage, ob der Stattgabe des Klageantrags zu 2 bereits der Umstand eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot von § 20 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung (GWB) entgegen stehe, auch der Beschluss vom 3. Februar 2000 erörtert, diesem jedoch keine Bedeutung beigemessen, weil der für die gerichtliche Beurteilung des angefochtenen Bescheides vom 5. November 1999 maßgebliche Zeitpunkt derjenige des Erlasses dieses Bescheides sei. Dass das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 3. Februar 2000 nicht in anderer Weise oder auch in anderen Zusammenhängen gewürdigt hat, betrifft die rechtliche Würdigung des Sachverhalts und damit das sachliche Recht. Die angebliche Unrichtigkeit der Sachverhaltswürdigung kann aber im Regelfall - wie hier - die Annahme eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz nicht rechtfertigen.
bb) Ohne Erfolg rügt die Beklagte eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Sie trägt insoweit vor, in dem Bescheid der Regulierungsbehörde vom 3. Februar 2000 sei ein Umwegfaktor von 1,15 für den Inter-Building-Abschnitt in den Varianten mit Zweiwegeführung genehmigt worden. Da der Bescheid von der Klägerin insoweit nicht angefochten worden sei, hätte das Verwaltungsgericht, dem der Bescheid vom 3. Februar 2002 bekannt gewesen sei, der Frage nachgehen müssen, "warum die Klägerin ... den höheren Umwegfaktor im vorliegenden Verfahren weiter verteidigt, während sie in anderen Verfahren keine Bedenken gegen den von der Beklagten festgesetzten Umwegfaktor hat". Bei Aufklärung dieser Gründe hätten sich möglicherweise weitere Erkenntnisse bezüglich des korrekten Umwegfaktors ergeben.
Mit diesem Vorbringen ist kein Aufklärungsmangel dargetan, weil es nach der materiellrechtlichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, die den Umfang der ihm obliegenden Sachverhaltsaufklärung bestimmte, auf die von der Beklagten angesprochenen Umstände nicht ankam. Das Verwaltungsgericht hat ersichtlich - und dies zu Recht - angenommen, dass die Ermittlung des richtigen Umwegfaktors nicht von dem Verhalten der Klägerin in anderen Verfahren und den hierfür maßgeblichen Gründen, sondern von objektiven Gegebenheiten abhängt. Dementsprechend hat es in seinem Urteil unter Bezugnahme auf ein früheres einschlägiges Urteil diejenigen (objektiven) Gründe darlegt, die nach seiner Ansicht zur Annahme eines Umwegfaktors von 1,4 führen. Unter diesen Umständen bestand für das Verwaltungsgericht kein Anlass, die Klägerin zu den Gründen zu befragen, aus denen sie sich in anderen Verfahren mit der Annahme eines Umwegfaktors von nur 1,15 zufrieden gab. Zwar hat die Beklagte auch im vorliegenden Verfahren diesen von ihr für richtig gehaltenen Umwegfaktor mit ausführlichen Berechnungen untermauert. Das Verwaltungsgericht hat jedoch ausdrücklich auch unter Berücksichtigung dieses Vorbringens der Beklagten an der Annahme eines höheren Umwegfaktors festgehalten. Die Frage, ob diese Annahme zutrifft, kann nicht Gegenstand einer Verfahrensrüge gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 86 Abs. 1 VwGO sein.
cc) Die Revision ist auch nicht wegen Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs zuzulassen.
Die Beklagte meint, das Verwaltungsgericht habe den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs dadurch verletzt, dass es "den Vortrag der Parteien zum Nachfolgebeschluss" der Regulierungsbehörde vom 3. Februar 2000 nicht berücksichtigt habe. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Wie im Zusammenhang mit der Rüge der Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes dargelegt wurde, hat das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 3. Februar 2000 berücksichtigt. Es ist keine Frage der Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs, ob das Verwaltungsgericht den Bescheid in rechtlicher Hinsicht erschöpfend und zutreffend gewürdigt hat, was die Beklagte in Zweifel zieht. Soweit der Rüge entnommen werden könnte, dass die Beklagte die Nichtberücksichtigung des inhaltlichen Vorbringens der Beteiligten zu dem Bescheid vom 3. Februar 2000 beanstandet, hat diese Rüge schon deshalb keinen Erfolg, weil nicht dargelegt ist, was die Parteien insoweit im Einzelnen vorgetragen haben.
b) Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen.
Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden
abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannte Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt nicht den Zulässigkeitsanforderungen (vgl. Beschluss vom 19. August 1997, a.a.O., Seite 14). Dem genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Die Beklagte meint, das Verwaltungsgericht sei von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juli 1985 - BVerwG 7 C 44.83 - (BVerwGE 72, 8) abgewichen, nach dem Gerichte an bestandskräftige Feststellungen einer Behörde gebunden seien. Die Rüge ist schon deshalb nicht ausreichend begründet, weil die Beklagte keinen konkreten Rechtssatz benennt, der in dem Urteil des Verwaltungsgerichts aufgestellt ist und mit dem das Gericht von einem sich angeblich in der herangezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts befindenden Rechtssatz abgewichen ist. Davon abgesehen betrifft das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Juli 1985 (a.a.O. S. 9 ff.) die von § 3 Abs. 4 des Schwerbehindertengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 1979 (BGBl I S. 1649) bewirkte Bindung der bestandskräftigen Feststellung des Versorgungsamtes, der Schwerbehinderte erfülle die Voraussetzung der Rundfunkgebührenfreiheit nicht, für den Schwerbehinderten, die Rundfunkanstalt sowie für Behörden und Gerichte. Die behauptete Abweichung bezieht sich mithin auf die Rechtsprechung zu einer Bestimmung, die im vorliegenden Verfahren keine Rolle spielt.
c) Schließlich kann die Revision auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen werden.
Der Kläger hält es für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, "ob das Gericht entgegen einem bereits bestandskräftigen Verwaltungsakt die Beklagte verpflichten kann, für denselben Zeitraum und denselben Gegenstand eine andere als die bestandskräftige Entgeltgenehmigung und damit einer dieser widersprechende zu ertei-
len, und sich damit über eine Entscheidung, gegen die auch der Adressat nicht vorgeht, hinwegsetzen darf". Damit ist der Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung nicht ausreichend dargelegt.
Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. Beschluss vom 19. August 1997, a.a.O., S. 14). Dem trägt die Beschwerde nicht ausreichend Rechnung.
Die grundsätzliche Bedeutung ist jedenfalls nicht in einer dem § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt, weil sich die von der Beklagten aufgeworfene Frage dem Verwaltungsgericht nicht gestellt hat. Das Verwaltungsgericht ist, wie in den bereits zitierten Erwägungen auf Seite 10 des Urteils zu entnehmen ist, davon ausgegangen, die Genehmigung vom 3. Februar 2000 sei deshalb nicht zu berücksichtigen, weil maßgeblicher Zeitpunkt für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens der Zeitpunkt des Ergehens des streitigen Bescheides vom 5. November 1999 sei. Davon ausgehend kam es auf den später ergangenen Bescheid vom 3. Februar 2000 für das Verwaltungsgericht nicht an. Mit dieser Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts setzt sich die Beklagte nicht auseinander. Eine für die Entscheidung der Vorinstanz nicht maßgebliche Rechtsfrage vermag die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung regelmäßig - und so auch hier - nicht zu rechtfertigen (vgl. Beschluss vom 7. November 2001 - BVerwG 6 B 55.01 -
Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziffer 1 VwGO Nr. 23 S. 6).
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 und § 72 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in der Fassung von Art. 1 des
Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Kostenrechtsmodernisierungsgesetz - KostRMoG) vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. August 2004 (BGBl I S. 2198).