Beschluss vom 17.04.2008 -
BVerwG 10 B 28.08ECLI:DE:BVerwG:2008:170408B10B28.08.0

Beschluss

BVerwG 10 B 28.08

  • Niedersächsisches OVG - 29.01.2008 - AZ: OVG 11 LB 401/03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 10. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. April 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Mallmann, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dörig und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Beck
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29. Januar 2008 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und das Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Sie genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

2 1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird, die im Interesse der Einheit oder Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher höchstrichterlich noch nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann.

3 Die Beschwerde wendet sich gegen die vom Berufungsgericht bei der Prüfung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 9 EMRK angewandten Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und hinreichenden Sicherheit und vertritt die Auffassung, nach der Qualifikationsrichtlinie (RL 2004/83/EG) sei auf die glaubhaft gemachte Furcht des Antragstellers vor Verfolgung abzustellen. Weiter wendet sie sich dagegen, dass das Berufungsgericht die Gefahr religiöser Verfolgung der Yeziden in der Türkei verneint hat ohne zu prüfen, ob sie allein schon durch die Nichtteilnahme an den Glaubensritualen der moslemischen Umgebung gefährdet seien. Die von ihr aufgeworfene „Frage von grundsätzlicher Bedeutung“ formuliert sie wie folgt:
„Bei der Frage des Schutzes vor Verfolgung eines Yeziden aus einem früheren Yezidendorf ist der von der bisherigen Rechtsprechung zugrunde gelegte Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ebenso irrelevant, wie der herabgestufte Prognosemaßstab; prognoseerhebliche Frage ist vielmehr, ob es vernünftige Gründe für die Annahme gibt, dass der Antragsteller Gefahr läuft, wegen des Verfolgungsgrundes verfolgt zu werden.
Ob diese Gründe stichhaltig sind, ist nicht vorrangig nach objektiven Gesichtspunkten, sondern entsprechend dem völkerrechtlichen Flüchtlingsbegriff unter Berücksichtigung individueller Besonderheiten zu entscheiden. Die Verfolgung wegen der Religion umfasst diese als Glaube, als Identität und als Lebensform, einschließlich der Nichtteilnahme an öffentlichen Glaubenspraxis der Mehrheit und darauf beruhender Diskriminierungen.
Für Yeziden kommt es daher entscheidend auf die Frage an, ob sie aufgrund ihrer Ausübung in der yezidischen Religion - auch wenn diese vorwiegend im privaten Bereich erfolgt - wegen der Nichtteilnahme an den Glaubensritualen der moslemischen Umgebung - insbesondere beten, Besuch von Moscheen und fasten usw. - auffallen und deswegen diskriminiert und unterdrückt werden.“
(Beschwerdebegründung S. 4 f.)

4 Mit diesem und dem weiteren Vorbringen der Beschwerde wird eine Grundsatzbedeutung nicht aufgezeigt.

5 Soweit die Beschwerde mit ihren Ausführungen im dritten zitierten Absatz Fragestellungen tatsächlicher Art über eine drohende Gefährdung bei Rückkehr in die Türkei aufwirft, bezeichnet sie schon keine bestimmte Rechtsfrage, die in dem angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden könnte. Mangels entsprechender Feststellungen im Berufungsurteil würden sich etwa damit zusammenhängende Rechtsfragen im Revisionsverfahren zudem nicht stellen. Soweit die Beschwerde sich mit ihrer zur Überprüfung gestellten Rechtsauffassung auf die Auslegung von „Verfolgung“ und auf den „völkerrechtlichen Flüchtlingsbegriff“ bezieht, macht sie die Entscheidungserheblichkeit der Fragen ebenfalls nicht deutlich. Denn Gegenstand der angefochtenen Entscheidung des Berufungsgerichts ist nur der Antrag auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, nicht hingegen der Antrag auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG, der bereits vom Verwaltungsgericht rechtskräftig abgelehnt worden ist (BA S. 7).

6 Aber selbst wenn unabhängig hiervon eine verallgemeinerungsfähige Frage zum Prognosemaßstab bei § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 9 EMRK aufgeworfen sein sollte, wird weder ein Klärungsbedarf noch die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage aufgezeigt. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nämlich bereits geklärt, dass der Begriff der Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG im Ansatz kein anderer ist als der im asylrechtlichen Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ angelegte, dass allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr für diesen Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet (vgl. Beschluss vom 18. Juli 2001 - BVerwG 1 B 71.01 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr 46 - seinerzeit entschieden zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 EMRK - m.w.N.). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass sich aus der von ihr herangezogenen Qualifikationsrichtlinie für den hier allein in Betracht kommenden Anspruch nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 9 EMRK etwas anderes ergeben kann. Subsidiärer Schutz nach der Qualifikationsrichtlinie setzt u.a. voraus, dass der Betreffende bei der Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 zu erleiden (vgl. Art. 2 Buchst. e der Richtlinie). Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nach den von der Beschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht (vgl. § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG n.F.; BA S. 15). Abschiebungsschutz wegen einer drohenden Gefahr für das in Art. 9 EMRK geschützte Rechtsgut der Religionsfreiheit, wie ihn § 60 Abs. 5 AufenthG vorsieht, wird durch die Qualifikationsrichtlinie dagegen nicht gewährt, sodass nicht ersichtlich ist, inwiefern sich aus der Richtlinie neue Vorgaben für den Wahrscheinlichkeitsmaßstab oder den Schutzumfang bezüglich dieses allein im nationalen Recht geregelten Schutztatbestandes ergeben sollen. Im Übrigen legt die Beschwerde auch nicht dar, dass der von ihr bezeichnete Maßstab („vernünftige Gründe für die Annahme, dass der Antragsteller Gefahr läuft, wegen des Verfolgungsgrundes verfolgt zu werden“) im vorliegenden Fall unter Zugrundelegung der vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen zu einem anderen Ergebnis führt als die Anwendung der vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Maßstäbe.

7 2. Soweit die Beschwerde im Übrigen einen Verfahrensmangel durch Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht rügt (§ 86 Abs. 3 VwGO), genügt das Vorbringen ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen. Die Beschwerde beanstandet, dass das Berufungsgericht auf die mit Schriftsatz des Klägervertreters vom 21. November 2007 beantragte Einholung von Sachverständigengutachten nur darauf hingewiesen habe, der Beweiserhebung bedürfe es nicht wegen der zahlreichen dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel zur Lage der Yeziden in der Türkei, nicht aber zugleich darauf hingewiesen habe, dass es die Anträge wegen fehlender Konkretisierung als auf eine bloße Ausforschung gerichtet bewerte.

8 Mit diesem Vorbringen wird eine Verletzung des rechtlichen Gehörs infolge einer Überraschungsentscheidung nicht aufgezeigt. Die Beschwerde verkennt, dass das Gericht grundsätzlich nicht verpflichtet ist, die ihm obliegende abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52). Insbesondere ist das Gericht im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130a VwGO, wie es hier durchgeführt wurde, grundsätzlich nicht gehalten, dem Kläger die Gründe für die Ablehnung seines nach der ersten Anhörungsmitteilung gestellten Beweisantrags mitzuteilen, sondern kann sich auf eine erneute Anhörungsmitteilung über die unveränderte Absicht einer Entscheidung im vereinfachten Berufungsverfahren und auf den damit verbundenen Hinweis beschränken, dass den Beweisanträgen nicht nachgegangen werde (Beschluss vom 1. März 2002 - BVerwG 1 B 358.01 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 57 m.w.N.). Die hier vom Berufungsgericht verfügte erneute Anhörungsmitteilung vom 21. Dezember 2007 ging mit ihrer Begründung für die Ablehnung des Beweisantrags insofern zugunsten des Klägers schon über den rechtlich gebotenen Hinweis hinaus. Dass gleichwohl das Berufungsgericht aufgrund besonderer Umstände des Falles zur Vermeidung einer unzulässigen Überraschungsentscheidung auch zu einem Hinweis auf den in der Berufungsentscheidung angeführten Ablehnungsgrund eines Ausforschungsbeweisantrags verpflichtet gewesen wäre, zeigt die Beschwerde nicht auf. Voraussetzung hierfür wäre, dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 11. Mai 1999 - BVerwG 9 B 1076.98 - juris - m.w.N.). Dass derartige Umstände hier vorliegen, lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Mit dem in den Entscheidungsgründen angeführten neuen (zusätzlichen) Grund für die Ablehnung der Beweiserhebung hat der Rechtsstreit keine Wendung erhalten, mit der der anwaltlich vertretene Kläger angesichts der erneuten Anhörungsmitteilung vom 21. Dezember 2007 nicht ohnehin rechnen musste.

9 Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG.