Beschluss vom 17.05.2006 -
BVerwG 1 B 13.06ECLI:DE:BVerwG:2006:170506B1B13.06.0

Beschluss

BVerwG 1 B 13.06

  • Bayerischer VGH München - 28.11.2005 - AZ: VGH 10 B 05.592

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Mai 2006
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts Eckertz-Höfer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Hund und Richter
beschlossen:

  1. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. November 2005 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  5. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist mit der Rüge eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zulässig und begründet. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses an den Verwaltungsgerichtshof zurück.

2 Die Beschwerde rügt zu Recht, dass der Verwaltungsgerichtshof die Berufung des Klägers nicht wegen Fehlens eines bestimmten Antrags in dem Berufungsbegründungsschriftsatz als unzulässig hätte verwerfen dürfen. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass sich der rechtzeitig eingegangenen Berufungsbegründung vom 7. Juni 2005 ein bestimmter Antrag nicht entnehmen lasse und sie deshalb nicht den Erfordernissen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO genüge, überspannt die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung. Dem Erfordernis, dass die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten muss, ist auch Genüge getan, wenn ein solcher Antrag zwar nicht ausdrücklich formuliert worden ist, sich aber das Ziel der Berufung aus dem fristgerecht eingereichten Schriftsatz deutlich ergibt (vgl. Beschluss vom 16. Dezember 2004 - BVerwG 1 B 59.04 - juris unter Hinweis auf Kopp/ Schenke, VwGO, 13. Auflage, § 124a Rn. 30, 32; vgl. ferner allgemein Beschluss vom 2. Oktober 2003 - BVerwG 1 B 33.03 - NVwZ-RR 2004, 220 und Urteil vom 23. April 2001 - BVerwG 1 C 33.00 - BVerwGE 114, 155 = Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 20). Das ist hier der Fall.

3 Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers mit dem Antrag, „den Bescheid der Beklagten vom 21. Mai 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen“, zutreffend und ohne weitere Erörterungen als Anfechtungsklage auf Aufhebung der Ausweisung (Nr. 1 des Bescheids) und Abschiebungsandrohung aus der Haft (Nr. 3 und 4 des Bescheids) sowie als Verpflichtungsklage auf Erteilung der abgelehnten Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung (Nr. 2 des Bescheids) aufgefasst und behandelt. Auf den Berufungszulassungsantrag des Klägers hin hat der Verwaltungsgerichtshof selbst die Berufung gegen das die Klage insgesamt abweisende Urteil des Verwaltungsgerichts ohne Beschränkung zugelassen (GA S. 46 f.), „weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO)“. In der Berufungsbegründung hat der Kläger im Wesentlichen den Vortrag aus der Zulassungsbegründung wiederholt und bereits damit hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er das verwaltungsgerichtliche Urteil weiterhin in gleichem - nach der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs im Zulassungsbeschluss unbeschränkten - Umfang anfechten und mithin seinen in erster Instanz gestellten Antrag auch im Berufungsverfahren weiter verfolgen wollte. Der Kläger hat mit seiner auf den Zulassungsantrag und den Zulassungsbeschluss Bezug nehmenden Berufungsbegründung hinreichend klargestellt, dass er die Berufung (unter Weiterverfolgung seines erstinstanzlichen Begehrens) durchführen will; dies genügt für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung (vgl. Urteil vom 23. April 2001 a.a.O. BVerwGE 114, 155 <158 f.>). Aus der in dem zitierten Urteil des Senats vom 23. April 2001 (a.a.O. BVerwGE 114, 155 <158>) ausdrücklich in Bezug genommenen Entscheidung des früher für das Asylrecht zuständigen 9. Senats vom 30. Juni 1998 (- BVerwG 9 C 6.98 - BVerwGE 107, 117) ergibt sich entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs nichts Abweichendes. Danach war der Kläger weder verpflichtet, nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist auf die Aufklärungsverfügung des Verwaltungsgerichtshofs hin weitere Ausführungen zur Berufungsbegründung zu machen und namentlich einen förmlichen Antrag - wie in erster Instanz - zu formulieren, noch kommt es für die Auslegung der Berufungsbegründung darauf an, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der Beschwerdeschrift als Ziel der Berufung (nur) die Anfechtung bzw. Aufhebung der Ausweisung angegeben hat.

4 Der angefochtene Beschluss beruht auf dem Verfahrensmangel, weil der Verwaltungsgerichtshof die Berufung nicht als unzulässig hätte verwerfen dürfen, sondern in der Sache hätte entscheiden müssen.

5 Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2, § 72 Nr. 1 GKG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).