Urteil vom 17.11.2009 -
BVerwG 2 WD 18.08ECLI:DE:BVerwG:2009:171109U2WD18.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 17.11.2009 - 2 WD 18.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:171109U2WD18.08.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 18.08

  • Truppendienstgericht Süd 6. Kammer - 16.04.2008 - AZ: TDG S 6 VL 27/07

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 17. November 2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dette,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Hannemann und
ehrenamtlicher Richter Hauptfeldwebel Schneider
sowie
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...
als Verteidiger,
Geschäftsstellenverwalterin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 16. April 2008 dahin geändert, dass die Gewährung des Unterhaltsbeitrags auf einen Zeitraum von zwölf Monaten verlängert wird.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Soldaten auferlegt mit Ausnahme seiner eigenen notwendigen Auslagen, die der Bund trägt.

Gründe

I

1 Die 6. Kammer des Truppendienstgerichts Süd hat mit Urteil vom 16. April 2008 entschieden, dass der jetzt 50-jährige, verheiratete Berufssoldat wegen eines insbesondere durch vorsätzliche Straftaten begangenen sehr schweren inner- und außerdienstlichen Dienstvergehens (Tatzeit Mitte Januar 2002 bis Anfang August 2004) aus dem Dienstverhältnis entfernt wird.

2 Der Soldat hat gegen das Urteil Berufung eingelegt und diese zunächst auf die Disziplinarmaßnahme beschränkt. In der Hauptverhandlung vor dem Senat hat er das Rechtsmittel weiter beschränkt, und zwar auf eine Verlängerung des (gesetzlichen) Unterhaltsbeitrags über sechs Monate hinaus. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, aufgrund seines Lebensalters und gesundheitlicher Probleme (Arthrose der Hand- und Kniegelenke, zwei Bandscheibenvorfälle) werde es für ihn nicht leicht sein, in seinem früheren Ausbildungsberuf als Koch und Konditor alsbald wieder einen Arbeitsplatz zu finden. Die von Gesetzes wegen auf sechs Monate begrenzte Gewährung eines Unterhaltsbeitrags stelle für ihn eine unbillige Härte dar; er bitte deshalb um eine angemessene Verlängerung des Leistungszeitraums.

3 Der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts hat der weiteren Beschränkung der Berufung zugestimmt.

II

4 Die gemäß § 115 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 WDO form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat in dem aus dem Tenor der Entscheidung ersichtlichen Umfang Erfolg.

5 1. Die (nachträgliche) weitere Beschränkung des Rechtsmittels auf die Gewährung eines Unterhaltsbeitrags gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 WDO, das heißt über den als gesetzliche Rechtsfolge für den Regelfall vorgesehenen Bewilligungszeitraum von sechs Monaten hinaus, ist zulässig; der Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts hat der Berufungsbeschränkungserklärung - Teilrücknahme des Rechtsmittels - gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 303 StPO zugestimmt.

6 Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Urteile vom 21. September 2004 - BVerwG 2 WD 11.04 - NZWehrr 2005, 39 und vom 27. Oktober 2005 - BVerwG 2 WD 4.05 - Buchholz 235.01 § 63 WDO 2002 Nr. 1 = NZWehrr 2006, 159) kann die Berufung auf die Gewährung eines Unterhaltsbeitrags beschränkt werden. Der Senat hat dies nach Inkrafttreten der Unterhaltsbeitrags-Neuregelung durch das Zweite Wehrdisziplinarrecht-Neuordnungsgesetz am 1. Januar 2002 bisher allerdings nur für Fälle entschieden, in denen das Truppendienstgericht zuvor gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 WDO die Gewährung des Unterhaltsbeitrags ganz ausgeschlossen hatte. Hier begehrt der Soldat aber nicht überhaupt die Gewährung eines Unterhaltsbeitrags - das Schweigen des erstinstanzlichen Urteilsausspruchs macht konkludent deutlich, dass es das Truppendienstgericht bei der gesetzlichen Rechtsfolge einer sechsmonatigen Unterhaltsgewährung gemäß § 63 Abs. 2 WDO belassen wollte -, sondern erstrebt nach § 63 Abs. 3 Satz 2 WDO eine darüber hinausgehende Verlängerung des Leistungszeitraums. Eine solche gerichtliche Entscheidung kann ebenfalls in einer auf Gewährung des Unterhaltsbeitrags beschränkten Berufung getroffen werden. Denn sowohl die erstinstanzliche Entscheidung, es bei der gesetzlichen Unterhaltsbeitragsfolge (§ 63 Abs. 2 WDO) zu belassen, den Unterhaltsbeitrag für mehr als sechs Monate zu gewähren (§ 63 Abs. 3 Satz 2 WDO) oder eine solche finanzielle Unterstützung ganz oder teilweise zu versagen (§ 63 Abs. 3 Satz 1 WDO), stellt als gerichtliche Nebenentscheidung einen rechtlich abgrenzbaren Teil des erstinstanzlichen Urteilsausspruchs dar, der einer selbstständigen Prüfung und Rechtsmittelentscheidung zugänglich ist.

7 Die Beschränkung der Berufung auf die Gewährung eines verlängerten Unterhaltsbeitrags hat zur Folge, dass der Senat an die Tat- und Schuldfeststellungen des Truppendienstgerichts ebenso gebunden ist wie an deren disziplinarrechtliche Würdigung als Dienstvergehen und den Ausspruch der dafür angemessenen Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Dienstverhältnis (§ 63 WDO); er hat nur noch über den Unterhaltsbeitrag zu befinden.

8 2. Der Senat ist dem Antragsbegehren des Soldaten gefolgt und hat den Zeitraum für den Bezug des Unterhaltsbeitrags über die in § 63 Abs. 2 WDO als Regelfall vorgesehene Dauer von sechs Monaten hinaus auf insgesamt zwölf Monate verlängert.

9 Nach § 63 Abs. 3 Satz 2 WDO kann die Gewährung des Unterhaltsbeitrags im Urteil über den Zeitraum von sechs Monaten hinaus verlängert werden, soweit dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte notwendig ist; der Verurteilte hat die Voraussetzungen der unbilligen Härte glaubhaft zu machen. Der Unterhaltsbeitrag ist im Wehrdisziplinarrecht - ebenso wie im Beamtendisziplinarrecht - seit jeher Ausdruck der das Dienstverhältnis überdauernden Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Er dient allein dazu, dem aus dem Dienstverhältnis entfernten Soldaten oder Beamten den durch den Wegfall der Dienst- oder Versorgungsbezüge notwendig gewordenen Übergang in einen anderen Beruf oder in eine andere Art der finanziellen Existenzsicherung, zum Beispiel eine gesetzliche Alters- oder Erwerbsminderungsrente, zu erleichtern und ihn ebenso wie seine finanziell von ihm abhängigen Familienangehörigen während dieses - vorübergehenden - Zeitraums nicht in wirtschaftliche Not geraten zu lassen (stRspr, für das Wehrdisziplinarrecht z.B. Urteile vom 21. September 2004 a.a.O. und vom 27. Oktober 2005 a.a.O., für das Beamtendisziplinarrecht z.B. Beschluss vom 29. Mai 1996 - BVerwG 1 DB 25.95 - Buchholz 235 § 110 BDO Nr. 2, jeweils m.w.N.).

10 Unter diesen Voraussetzungen liegt eine „unbillige Härte“ im Sinne des § 63 Abs. 3 Satz 2 WDO insbesondere dann vor, wenn das Auslaufen der gesetzlichen Unterhaltsgewährung nach sechs Monaten angesichts der besonderen persönlichen Situation des Soldaten einschließlich seiner familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse für ihn und seine von ihm abhängigen Familienangehörigen absehbar schwere und kaum wiedergutzumachende Nachteile zur Folge hätte. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der Soldat krankheitsbedingt voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, innerhalb der nächsten sechs Monate eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Für die Frage der Billigkeit ist weiter von Bedeutung, wie sich der Soldat vor seinem schweren Dienstvergehen und in dem Zeitraum danach sonst dienstlich verhalten, insbesondere bewährt hat. Ein Soldat, der sich bis dahin tadelfrei geführt und auch sonst überdurchschnittliche dienstliche Leistungen erbracht hat, hat in höherem Maße Anspruch auf nachwirkende Fürsorge seines früheren Dienstherrn als ein Soldat mit einem nicht so positiven Persönlichkeitsbild (vgl. dazu Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 63 Rn. 21 und auch Urteil vom 4. März 2009 - BVerwG 2 WD 10.08 - PersV 2009, 435).

11 Nach diesen Maßstäben hat der Senat den Zeitraum für den Bezug des Unterhaltsbeitrags über die in § 63 Abs. 2 WDO als Regelfall vorgesehene Dauer von sechs Monaten hinaus auf insgesamt zwölf Monate verlängert; innerhalb eines Jahres dürfte es dem Soldaten voraussichtlich gelingen, beruflich wieder Fuß zu fassen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war vor allem der Umstand, dass es bei der derzeit sehr schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt für den 50-jährigen ehemaligen Berufssoldaten nicht leicht sein wird, in seinem früheren Ausbildungsberuf als Koch und/oder Konditor alsbald wieder einen existenzsichernden Arbeitsplatz zu finden. Eine kurzfristige erfolgreiche Arbeitsplatzsuche dürfte für den Soldaten noch dadurch erschwert sein, dass dieser durch seine Arthrose der Hand- und Kniegelenke sowie seine beiden Bandscheibenvorfälle gesundheitlich eingeschränkt ist. Wegen ihrer sonstigen Einkommens- und Vermögenslage sind die Eheleute aber auf ein regelmäßiges und existenzsicherndes Einkommen angewiesen. Sie wohnen zwar mietfrei im Haus der Ehefrau. Dieses ist jedoch nach den glaubhaften Angaben des Soldaten in der Hauptverhandlung noch mit einer Hypothek von etwa 30 000 € belastet, die monatlich mit 347 € bedient werden muss. Die halbtags als Friseurin tätige Ehefrau des Soldaten kann zum gemeinsamen Haushalt netto lediglich etwa 4 000 € jährlich, das heißt ca. 333 € monatlich beitragen.

12 Der Senat hält eine Verlängerung der Gewährung des Unterhaltsbeitrags zur Vermeidung einer „unbilligen Härte“ letztlich auch deshalb für angemessen, weil der weder disziplinar- noch strafrechtlich vorbelastete und nicht vorläufig vom Dienst suspendierte Soldat ungeachtet seines sehr schweren Dienstvergehens sonst durchgängig überdurchschnittliche dienstliche Leistungen erbracht hat. In seiner letzten planmäßigen Beurteilung zum 30. September 2002 erhielt er die Durchschnittsbewertung „6,25“ („Leistungen übertreffen sehr deutlich die Anforderungen“). Die Durchschnittsbewertung in der Sonderbeurteilung gemäß ZDv 20/6 Nr. 406b vom 14. November 2006 betrug „6,31“. In der Sonderbeurteilung vom 17. Juli 2008 - nach dem neuen Beurteilungssystem - wird die „Aufgabenerfüllung des Soldaten auf dem Dienstposten“ im Durchschnitt mit „7,78“ bewertet („Die Leistungserwartungen wurden ständig, teilweise auch erheblich übertroffen“). Für treue Pflichterfüllung und überdurchschnittliche Leistungen wurde dem Soldaten am 25. Mai 1987 das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Bronze, am 18. Februar 1993 in Silber und am 19. Mai 2004 in Gold verliehen. Am 5. Juni 1989, am 20. März 2000 sowie am 26. Juni 2003 erhielt er jeweils eine förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung. Am 22. Juli 1999 wurde dem Soldaten in Anerkennung seiner über einen Zeitraum von mehr als drei Monaten erbrachten besonderen Leistungen als Versorgungsfeldwebel eine widerrufliche monatliche Leistungszulage in Höhe von 150 DM für die Dauer von neun Monaten bewilligt. Später wurden ihm folgende Leistungsprämien als Einmalzahlung gewährt:
8. Mai 2001 3 000 DM,
13. Juni 2002 1 700 €,
19. August 2003 1 000 € und
17. September 2006 1 500 €.

13 Ein solches überaus positives Leistungsbild des Soldaten, der nicht zuletzt dadurch „Einsicht“ in sein sehr schweres Fehlverhalten gezeigt hat, dass er sein aussichtsloses ursprüngliches Berufungsbegehren auf Ausspruch einer milderen Disziplinarmaßnahme nicht weiterverfolgt, rechtfertigt in besonderem Maße eine ihm günstige Entscheidung im Rahmen nachwirkender Fürsorge seines früheren Dienstherrn.

14 3. Die Kostenentscheidung folgt dem Grunde nach aus § 139 Abs. 2 WDO. Danach hat der Soldat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Er hat das Rechtsmittel nachträglich beschränkt und damit überwiegend zurückgenommen. Eine Kostenquotelung wegen der antragsgemäßen Stattgabe des Berufungsbegehrens scheidet aus, weil es sich insoweit - im Hinblick auf den Umfang der zunächst eingelegten Berufung - nur um einen unbedeutenden Teilerfolg handelt.

15 Allerdings kommt dem Soldaten die Sonderregelung des § 140 Abs. 4 WDO zugute. Danach sind die notwendigen Auslagen des Soldaten dem Bund aufzuerlegen, wenn der Soldat das Rechtsmittel beschränkt und dieses Erfolg hat. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die genannte Sondervorschrift erfasst gerade die nachträglich erfolgreiche Beschränkung der Berufung des Soldaten (vgl. dazu auch Dau, a.a.O. § 140 Rn. 12). Dies ergibt sich im Umkehrschluss zu § 139 Abs. 1 Satz 1 WDO, wonach die Kosten eines erfolgreichen Rechtsmittels des Soldaten ohnehin dem Bund aufzuerlegen sind. Diese Kostentragungsvorschrift gilt gleichermaßen für unbeschränkte wie - von vornherein - beschränkte Berufungen eines Soldaten. Der Anwendungsbereich der Sonderregelung des § 140 Abs. 4 WDO zielt demnach gerade - wie hier - auf den Fall der nachträglich beschränkten und (insoweit) erfolgreichen Berufung eines Soldaten.