Beschluss vom 17.12.2004 -
BVerwG 1 B 93.04ECLI:DE:BVerwG:2004:171204B1B93.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 17.12.2004 - 1 B 93.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:171204B1B93.04.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 93.04

  • Hessischer VGH - 15.03.2004 - AZ: VGH 12 UE 3216/01.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 17. Dezember 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und H u n d
beschlossen:

  1. Der Klägerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ... beigeordnet.
  2. Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. März 2004 aufgehoben.
  3. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  4. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe folgt aus § 166 VwGO, §§ 114 ff. ZPO.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG). Denn das Berufungsgericht hat entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin nicht in der gebotenen Weise zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen.
Zwar ist im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Nicht jedes Vorbringen der Beteiligten braucht in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich beschieden zu werden. Eine
Gehörsverletzung kann aber festgestellt werden, wenn sich ausnahmsweise deutlich ergibt, dass das Gericht ein bestimmtes Vorbringen nicht oder nicht ausreichend in Erwägung gezogen hat. So liegt der Fall hier.
Die Klägerin hatte mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2000 (Bl. 146 der VGH-Akte) dargelegt, der in der Türkei tätige Rechtsanwalt K. bestätige in einem - als Anlage beigefügten - Schreiben vom 27. Januar 1999, dass gegen sie belastende Aussagen des Inhalts, dass sie Mitglied des PKK-Komitees in B. gewesen sei, in verschiedenen Ermittlungsverfahren vorlägen und ihr im Falle ihrer Habhaftwerdung durch die türkischen Sicherheitskräfte aus diesem Grund die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens drohe, das im Falle einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zwischen fünf und fünfzehn Jahren führen würde. Auch sei davon auszugehen, dass ihr im Rahmen der Untersuchungshaft asylerhebliche Misshandlungen drohten. In dem erwähnten Schreiben des Rechtsanwalts K. wird u.a. sinngemäß dargelegt, der Name der Klägerin werde in dem in der Anlage in Kopie beigefügten Protokoll der Aussage des Angeklagten S. vom 14. Februar 1993 im Zusammenhang mit einem von Frauen in B. gegründeten PKK-Komitee erwähnt.
Auf die Beschwerde der Klägerin hat der Senat das Urteil des Berufungsgerichts vom 4. Dezember 2000 durch Beschluss vom 16. November 2001 - BVerwG 1 B 211.01 - aufgehoben und an dieses zurückverwiesen. Zur Begründung war u.a. ausgeführt, dass das Berufungsgericht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt hat, indem es sich nicht ausreichend mit dem im Schriftsatz vom 31. Oktober 2000 enthaltenen konkreten Vorbringen der Klägerin auseinander gesetzt hat.
Auch das nunmehr mit der Beschwerde angegriffene Urteil des Berufungsgerichts vom 15. März 2004 verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör. Zwar erwähnt das Berufungsgericht den Inhalt des Schriftsatzes vom 31. Oktober 2000 in den Entscheidungsgründen dieses Urteils (UA S. 38). Es sei aber, wie das Berufungsgericht weiter ausführt (UA S. 39), zu berücksichtigen, dass die Klägerin selbst erst anlässlich der Vernehmung vor dem Berufungsgericht ausdrücklich von ihrer
Mitwirkung in einem PKK-Komitee berichtet habe, obwohl dies doch von entscheidungserheblicher Bedeutung sein könnte. Trotz hinreichender Gelegenheit habe die Klägerin zu ihrer Mitwirkung in dem PKK-Komitee keine substantiierten Ausführungen gemacht. Entscheidend sei aber letztlich, dass sie vor ihrer Ausreise noch fast zwei Jahre unbehelligt in Istanbul habe leben können. Sie sei somit nicht mehr unter dem Druck einer erlittenen politischen Verfolgung nach Deutschland ausgereist.
Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht damit den Schriftsatz vom 31. Oktober 2000 und seine Anlagen erneut nicht ausreichend zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Das Berufungsgericht setzt sich namentlich nicht mit der Frage auseinander, weshalb sich aus diesem Schriftsatz und seinen Anlagen, deren Beweiswert das Berufungsgericht wiederum nicht anspricht, kein Hinweis auf eine asylrelevante Verfolgung der Klägerin ergeben sollte. Dass eine solche ausscheidet, ergibt sich insbesondere nicht aus der Würdigung des Vorbringens der "Klägerin selbst" als unsubstantiiert.
Die Beschwerde legt auch zutreffend dar, dass das Vorbringen der Klägerin in dem Schriftsatz vom 31. Oktober 2000 entscheidungserheblich gewesen ist. Auf den vom Berufungsgericht angeführten unbehelligten Aufenthalt in Istanbul hätte es nicht abstellen können, wenn es aufgrund der gebotenen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen im Schriftsatz vom 31. Oktober 2000 und der Behauptung der Klägerin, sie habe in Istanbul unerkannt gelebt, zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass der Klägerin im Zeitpunkt der Ausreise asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen auch im Westen der Türkei gedroht haben bzw. ihr nunmehr im Falle einer Rückkehr drohen. Insofern wird wegen weiterer Einzelheiten auf den zurückverweisenden Beschluss vom 16. November 2001 (S. 4 f.) Bezug genommen.
Hat bereits diese Gehörsrüge Erfolg, kommt es auf die weiteren von der Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen nicht an. Offen bleiben kann weiter, ob, wie die Beschwerde der Sache nach rügt, auch ein Verfahrensverstoß in Gestalt der nicht hinreichenden Beachtung des zurückverweisenden Beschlusses gegeben ist (vgl. § 144 Abs. 6 VwGO).
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.