Beschluss vom 18.01.2006 -
BVerwG 2 B 53.05ECLI:DE:BVerwG:2006:180106B2B53.05.0

Beschluss

BVerwG 2 B 53.05

  • Bayerischer VGH München - 12.08.2005 - AZ: VGH 3 B 98.1080

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Januar 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht A l b e r s und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. D a w i n und Dr. B a y e r
beschlossen:

  1. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. August 2005 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
  2. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25 940 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist begründet. Die angefochtene Entscheidung leidet an einem Verfahrensfehler. Das Berufungsgericht hat dadurch, dass es entschieden hat, ohne die angekündigte Stellungnahme der Beklagten abzuwarten, den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.

2 Nach § 130 a VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören, § 130 a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO. Der den Prozessbeteiligten auch in der Situation des § 130 a VwGO zustehende Anspruch auf rechtliches Gehör beinhaltet, dass (1.) sie vom Gericht über die Absicht, durch Beschluss zu entscheiden, informiert werden, (2.) sie Gelegenheit erhalten, sich nicht nur zu dieser Verfahrensweise, sondern auch umfassend zu allen ihrer Auffassung nach entscheidungserheblichen Umständen und Gesichtspunkten zu äußern und (3.) das Gericht diese Äußerung bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Das Recht, sich äußern zu können, ist nicht erst dann verletzt, wenn dem Prozessbeteiligten die Äußerung im Sinne einer objektiven oder subjektiven Unmöglichkeit verwehrt war, sondern bereits, wenn er sich nicht sachgerecht, zweckentsprechend, erschöpfend und unter insgesamt zumutbaren Bedingungen äußern konnte. Daran fehlt es auch dann, wenn ihm vom Gericht keine angemessene Überlegungs- oder Äußerungsfrist eingeräumt worden ist oder eine solche Frist zwar bewilligt worden ist, das Gericht aber vor ihrem Ablauf entscheidet.

3 Das hat im Ergebnis der Verwaltungsgerichtshof getan. Nach Erhalt des Anhörungsschreibens des Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Juni 2005 mit ausführlichen rechtlichen Darlegungen hat der Prozessvertreter der Beklagten den zweitinstanzlichen Berichterstatter angerufen und ihm mitgeteilt, die in der Anhörungsmitteilung gesetzte Äußerungsfrist von drei Wochen sei aus Sicht der Beklagten erheblich zu kurz. Der Berichterstatter hat die Frist telefonisch bis "Mitte August" verlängert und sich darüber hinaus zu einer weiteren Verlängerung bereit erklärt. Nach dem Vermerk, den der Prozessvertreter der Beklagten unmittelbar nach diesem Telefongespräch angefertigt hat, ist zu diesem Punkt vereinbart worden, dass die Frist "notfalls" verlängert werden wird, also wohl dann, wenn es sich als nötig erweisen wird, weil die Zeit bis "Mitte August" nicht ausreicht. Nach dem Vermerk hat der Berichterstatter ferner zugesagt, der Verwaltungsgerichtshof werde nicht ohne vorherige Stellungnahme der Beklagten entscheiden. Im Nichtabhilfebeschluss des Berufungsgerichts vom 25. Oktober 2005 heißt es demgegenüber, eine Verlängerung der Äußerungsfrist über Mitte August hinaus sei "für den Fall des Vorbringens ... triftiger Gründe nicht ausgeschlossen" worden.

4 Selbst wenn die telefonische Absprache diesen Inhalt gehabt haben sollte, hätte der Verwaltungsgerichtshof nicht bereits wenige Tage nach Verstreichen des Termins "Mitte August" - wenn es sich um einen solchen handelt und was auch immer darunter verstanden werden mag - entscheiden bzw. den zuvor gefassten Beschluss zur Geschäftsstelle geben dürfen.

5 Die Beklagte hat ihren bereits in dem Telefongespräch geäußerten Wunsch nach Einräumung einer weiteren Äußerungsfrist in dem Schreiben vom 17. August 2005 wiederholt und in diesem Schreiben auch Umstände genannt, die den Begriff der im Nichtabhilfebeschluss genannten "triftigen Gründe" ausfüllen. In dem Anhörungsschreiben vom 27. Juni 2005 hatte der Berichterstatter des Berufungsgerichts ausführlich dargelegt, dass im Bescheid der Beklagten über die Zurruhesetzung des Klägers wegen dauernder Dienstunfähigkeit und im Widerspruchsbescheid die Feststellung fehlt, dass die damals bestehende Dienstunfähigkeit des Klägers von Dauer sein, also auf unabsehbare Zeit bestehen wird. Darüberhinaus sei auch die Schlussfolgerung des für die Entscheidung der Beklagten maßgebenden Gesundheitszeugnisses vom 20. September 1995, es liege Dienstunfähigkeit im Sinne des Art. 56 Abs. 1 BayBG vor, nicht nachvollziehbar. Denn dieses Zeugnis stütze sich allein auf das Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. vom 2. September 1995. In diesem Gutachten fehle indessen eine eindeutige Aussage, dass die Dienstunfähigkeit des Klägers von Dauer sein werde. Die Aussage des Gutachtens, es sei offen, ob es bei einer adäquaten Therapie Möglichkeiten der Heilung gebe, habe einen anderen Sinn.

6 Vor dem Hintergrund dieser Darlegungen im Anhörungsschreiben, von denen sich das Berufungsgericht bei der bevorstehenden Entscheidung leiten lassen würde, stellen die von der Beklagten im Schreiben vom 17. August 2005 angeführte Notwendigkeit, noch "verschiedene Gespräche", bei denen es sich offenkundig auch um solche mit den als Gutachter tätig gewesenen Ärzten handelt, sowie die Abwesenheit der in Aussicht genommenen Gesprächspartner während der damals noch nicht beendeten Urlaubszeit einen "triftigen Grund" für die Verlängerung der Frist dar. Denn ohne die - bis "Mitte August" nicht erreichbaren - Äußerungen der Ärzte dazu, ob das Berufungsgericht ihre fachlichen Stellungnahmen so verstanden hat, wie sie von ihnen gemeint waren, konnte die Beklagte der im Anhörungsschreiben offenbarten Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht sachgerecht, ggf. durch Stellung eines Beweisantrags, entgegentreten.

7 Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 5 Satz 2 GKG (vgl. Beschluss vom 15. Dezember 1994 - BVerwG 2 B 143.94 - Buchholz 360 § 13 GKG Nr. 83).