Beschluss vom 18.03.2002 -
BVerwG 8 B 18.02ECLI:DE:BVerwG:2002:180302B8B18.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.03.2002 - 8 B 18.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:180302B8B18.02.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 18.02

  • VG Gera - 01.11.2001 - AZ: VG 3 K 982/98 GE

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. März 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
K r a u ß und P o s t i e r
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des
  2. Verwaltungsgerichts Gera vom 1. November 2001 wird zurückgewiesen.
  3. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 677,51 € (entspricht 60 000 DM) festgesetzt.

Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachte Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist nicht prozessordnungsgemäß dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Soweit man zugunsten der Beschwerde annimmt, sie rüge auch eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 VwGO), kann dahinstehen, ob sie dem Darlegungsgebot genügt; denn jedenfalls liegt ein geltend gemachter Verfahrensmangel nicht vor (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Eine Aufklärungsrüge setzt die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis diese Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte, inwiefern das verwaltungsgerichtliche Urteil unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Gerichts auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann und dass die Nichterhebung der Beweise vor dem Tatsachengericht rechtzeitig gerügt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Beweisaufnahme dem Gericht hätte aufdrängen müssen. Die Beschwerde benennt schon keine ermittlungsbedürftigen Tatsachen. Im Gegenteil geht sie selbst davon aus, dass die für die Beurteilung der Rechtsfragen maßgeblichen Informationen sämtlich in den beigezogenen Akten standen und deshalb die Stellung eines weiteren Beweisantrags nicht notwendig war. Damit räumt die Beschwerde selbst ein, dass eine weitere Beweiserhebung nicht notwendig war.
Das Verwaltungsgericht hat auch den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) nicht verletzt. Es gehört zu der dem Tatsachengericht durch § 108 Abs. 1 VwGO übertragenen Aufgabe, sich im Wege der freien Beweiswürdigung unter Abwägung verschiedener Möglichkeiten seine Überzeugung über den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden (vgl. etwa Beschlüsse vom 18. Februar 1972 - BVerwG 8 B 3.72 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 62 S. 27 <28> und vom 14. März 1988 - BVerwG 5 B 7.88 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 199 S. 31 <32 f.>). Revisionsrechtlich sind die Grundsätze der Beweiswürdigung dem sachlichen Recht zuzurechnen. Mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung kann deswegen ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO regelmäßig nicht bezeichnet werden (stRspr; vgl. etwa Beschlüsse vom 10. Februar 1978 - BVerwG 1 B 13.78 - Buchholz 402.24 § 2 AuslG Nr. 8 S. 10 und vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 S. 1 <4>). Allenfalls könnte eine Verletzung der Denkgesetze im Rahmen der Tatsachenwürdigung der Vorinstanz als Verfahrensmangel in Betracht gezogen werden (vgl. dazu Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 f.>). Ein Tatsachengericht hat aber nicht schon dann gegen die Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung des Beschwerdeführers unrichtige oder fern liegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen; es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (stRspr; Urteil vom 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 147.86 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 37 S. 1 <4>). Davon kann hier keine Rede sein.
Das Verwaltungsgericht geht von dem - vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten - faktischen Enteignungsbegriff aus. Es kommt zu dem Ergebnis, dass die Erbengemeinschaft W. zwar nicht bereits durch die Enteignung des Rechtsvorgängers der Klägerin enteignet worden ist, dass aber die Enteignung noch vor Gründung der DDR abgeschlossen worden ist. Zur Begründung führt das Verwaltungsgericht aus, die Grundstücke seien aus Sicht der deutschen Stellen - laut den Schreiben des Ministeriums des Inneren vom 19. November, 17. und 21. Dezember 1948 Ziff. 2 der Richtlinie 1 der Deutschen Wirtschaftskommission zum SMAD-Befehl Nr. 64 unterfallen. Der abschließende Vollzug der Enteignung der Erbengemeinschaft und die Überführung des Grundstücks in Volkseigentum erschließe sich aus der am 4. Januar 1949 vom Amtsgericht vorgenommenen Eintragung "Eigentum des Volkes" im Grundbuch und der mit dem Schreiben vom 16. Mai 1949 dokumentierten Übernahme durch den Rechtsträger. Diese Überzeugungsbildung des Verwaltungsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht den faktischen Enteignungsbegriff auch materiellrechtlich nicht unzutreffend angewandt. Aus der Eintragung des "Eigentums des Volkes" im Grundbuch und der schriftlich dokumentierten Übernahme eines Grundstücks durch den neuen Rechtsträger, kann durchaus auf eine faktische Enteignung geschlossen werden. Eine faktische Enteignung setzt insbesondere nicht voraus, dass der bisherige Eigentümer hiervon Kenntnis erlangt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus den §§ 13, 14, 73 Abs. 1 GKG.