Beschluss vom 18.04.2011 -
BVerwG 2 WDB 4.11ECLI:DE:BVerwG:2011:180411B2WDB4.11.0

Leitsatz:

Die Bewilligung einer öffentlichen Zustellung durch den Vorsitzenden der Truppendienstkammer ist nur dann zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln.

  • Rechtsquellen

  • Truppendienstgericht Nord 4. Kammer - 21.02.2011 - AZ: TDG N 4 GL 2/11

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.04.2011 - 2 WDB 4.11 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:180411B2WDB4.11.0]

Beschluss

BVerwG 2 WDB 4.11

  • Truppendienstgericht Nord 4. Kammer - 21.02.2011 - AZ: TDG N 4 GL 2/11

In der Disziplinarsache hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Frentz und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Burmeister
am 18. April 2011 beschlossen:

Die Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 4. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 21. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Gründe

1 Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Vorsitzende der Truppendienstkammer hat den Antrag der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich der Stammdienststelle der Bundeswehr, die öffentliche Zustellung der Anhörung vor Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens (§ 93 Abs. 1 Satz 2 WDO) zu bewilligen, zu Recht abgelehnt.

2 1. Während § 93 Abs. 1 Satz 3 WDO ausdrücklich regelt, dass die Einleitungsverfügung dem Soldaten zuzustellen ist, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen, dass auch die vorherige Anhörung nach § 93 Abs. 1 Satz 2 WDO einer förmlichen Zustellung des Anhörungsschreibens bedarf (vgl. auch Dau, WDO, 5. Auflage 2009, § 5 Rn. 3). Richtig ist allerdings, dass die Anhörung vor Erlass der Einleitungsverfügung zu den unverzichtbaren Voraussetzungen eines zulässigen gerichtlichen Disziplinarverfahrens gehört (Urteil vom 16. März 2004 - BVerwG 2 WD 3.04 - BVerwGE 120, 193 <200> = Buchholz 235.01 § 93 WDO 2002 Nr. 1). Aus den Akten muss sich daher nachweisbar ergeben, dass dem Soldaten Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigten Einleitungsverfügung gegeben wurde. Dazu ist aber nicht notwendigerweise eine förmliche Zustellung des Anhörungsschreibens erforderlich. Es genügt auch der sonstige Nachweis, dass der Soldat das Anhörungsschreiben erhalten hat. Da im vorliegenden Fall eine Anschrift des früheren Soldaten im Ausland bekannt ist, an deren Richtigkeit keine ernsthaften Zweifel bestehen, weil der frühere Soldat - wie in dem angefochtenen Beschluss im Einzelnen dargelegt wird - unter dieser Anschrift wiederholt mit Dienststellen der Bundeswehr korrespondiert hat, könnte der Nachweis auch in der Weise geführt werden, dass dem früheren Soldaten das Anhörungsschreiben per Einschreiben oder auch mit einfachem Brief unter Beifügung eines Empfangsbekenntnisses übermittelt wird. Bei Rücksendung des Empfangsbekenntnisses wäre der Nachweis erbracht. Im Übrigen wäre damit auch ein etwaiger Zustellungsmangel geheilt (§ 5 Abs. 3 WDO).

3 2. Sollte die Übersendung des Schreibens gegen Empfangsbekenntnis nicht zum Erfolg führen und deswegen zur Sicherung des Nachweises eine förmliche Zustellung für erforderlich gehalten werden, käme - wie der Vorsitzende der Truppendienstkammer zutreffend ausgeführt hat - jedenfalls derzeit eine öffentliche Zustellung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 WDO in Verbindung mit § 185 Nr. 3 ZPO (noch) nicht in Betracht.

4 a) Nach § 185 Nr. 3 ZPO kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, wenn eine Zustellung im Ausland nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht. Die Vorschrift ist eng auszulegen und setzt voraus, dass zuvor alle zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft sind, das Schriftstück in anderer Weise zuzustellen (vgl. Dau, a.a.O. Rn. 20). Bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung ist zu berücksichtigen, dass die Zustellungsvorschriften insoweit der Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dienen, als sie gewährleisten sollen, dass der Adressat Kenntnis von dem zuzustellenden Schriftstück nehmen und seine Rechtsverteidigung oder Rechtsverfolgung darauf einrichten kann. Die Erfüllung der Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung gewinnt besondere Bedeutung, weil das öffentlich ausgehängte Schriftstück nach dem Ablauf einer bestimmten Frist als zugestellt „gilt“ (§ 188 Satz 1 ZPO), dem Empfänger also nicht übergeben und regelmäßig auch inhaltlich nicht bekannt wird. Diese Zustellungsfiktion ist verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Oktober 1987 - 1 BvR 198/87 - NJW 1988, 2361; BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - BVerwG 8 C 43.95 - BVerwGE 104, 301 <306> = Buchholz 401.0 § 191 AO Nr. 7). Sie ist daher „als letztes Mittel“ der Bekanntgabe nur dann zulässig, wenn alle Möglichkeiten erschöpft sind, das Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (Urteil vom 18. April 1997 - BVerwG 8 C 43.95 - a.a.O. m.w.N.).

5 b) Vor einer öffentlichen Zustellung muss daher im vorliegenden Fall zunächst versucht werden, das Schriftstück nach § 183 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch die diplomatische oder konsularische Vertretung des Bundes zuzustellen. Ein solcher Versuch ist hier vor der Beantragung der öffentlichen Zustellung nicht gemacht worden. Entgegen der Ansicht der Beschwerde bedürfte es dazu auch nicht des Ersuchens des Vorsitzenden des Prozessgerichts, hier also des Vorsitzenden der Truppendienstkammer. Nach dem Wortlaut des § 183 ZPO in der seit dem 13. November 2008 geltenden Fassung des Gesetzes vom 30. Oktober 2008 (BGBl I S. 2122) ist ein solches Ersuchen nur in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Halbsatz 2 und des Absatzes 3, nicht aber bei einer Zustellung nach Absatz 2 erforderlich. Im Übrigen dürfte, wie ein Vergleich des § 183 Abs. 1 Satz 2 ZPO mit § 9 Abs. 1 Nr. 2 VwZG ergibt, die Einschaltung des Vorsitzenden des Prozessgerichts auch bei Zustellungen außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens in der Zivilprozessordnung nur deswegen vorgesehen sein, weil die Zustellung durch ausländische Behörden nicht auf Ersuchen einer Privatperson erfolgen soll. Bei Zustellungen durch Behörden gilt diese Einschränkung, wie § 9 Abs. 1 Nr. 2 VwZG deutlich macht, dagegen nicht. Dementsprechend ist das nach Erlass des angefochtenen Beschlusses zeitgleich mit der Einlegung der Beschwerde von der Wehrdisziplinaranwaltschaft an die diplomatische Vertretung der Bundesrepublik Deutschland gerichtete Ersuchen auf Zustellung des Schriftstücks auch nicht etwa aus formellen Gründen zurückgewiesen worden. Selbst wenn dies erfolgt wäre, hätte immer noch die Möglichkeit bestanden, bei dem Vorsitzenden der zuständigen Truppendienstkammer zu beantragen, ein entsprechendes Ersuchen an die diplomatische oder konsularische Vertretung des Bundes zu richten.

6 Schließlich gilt auch bei Zustellungen im Ausland nach § 183 ZPO die Bestimmung des § 5 Abs. 3 WDO. Auch eine mit formellen Mängeln behaftete Zustellung, die nach § 5 Abs. 3 WDO geheilt sind, weil der Empfänger das Schriftstück nachweislich erhalten hat, ist im Ergebnis einer öffentlichen Zustellung vorzuziehen.

7 Nach alledem lagen die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nicht vor, sodass der angefochtene Beschluss des Vorsitzenden der Truppendienstkammer nicht zu beanstanden ist.