Beschluss vom 18.05.2004 -
BVerwG 7 B 120.03ECLI:DE:BVerwG:2004:180504B7B120.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.05.2004 - 7 B 120.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:180504B7B120.03.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 120.03

  • VG Dresden - 11.09.2003 - AZ: VG 7 K 2518/99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Mai 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 11. September 2003 wird aufgehoben, soweit die Klage der Klägerinnen zu 1 bis 4 abgewiesen worden ist.
  2. Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Im Übrigen wird die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem genannten Urteil zurückgewiesen.
  4. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  5. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

I


Die Klägerinnen zu 1 bis 4 machen vermögensrechtliche Ansprüche in Bezug auf die Aktiengesellschaft für Industriekredite mit Sitz in Dresden (AGFI; Klägerin zu 5) sowie auf ein Grundstück in Dresden geltend, das von der AGFI als dessen Eigentümerin 1936 an die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1 bis 3 veräußert wurde. Die Aktien der AGFI wurden zu 52 % von der Bondi & Maron OHG (Klägerin zu 1) und zu 48 % von einer niederländischen Tochtergesellschaft der OHG gehalten. Alleinige Gesellschafter der OHG waren die Rechtsvorgänger der Klägerinnen zu 2 bis 4, Dr. Rudolf und Walter Maron, die beide Juden waren. Ebenfalls 1936 veräußerte die OHG ihre Aktien an eine Berliner Tochtergesellschaft der Fa. C.T. Petzoldt & Co. mit Sitz in Wien und Prag; die niederländische Tochtergesellschaft der OHG veräußerte ihre Aktien an die Gesellschafter der Fa. C.T. Petzoldt & Co. Die AGFI wurde 1952 mangels Vermögens im Handelsregister gelöscht.
Das Sächsische Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen lehnte die von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen für die Nachkommen der Familie Maron, die Bondi & Maron OHG und die AGFI angemeldeten vermögensrechtlichen Ansprüche in Bezug auf die AGFI und deren Grundstück durch den Bescheid vom 16. Juli 1999 ab, weil Ansprüche der nicht mehr existenten und nicht wieder aufgelebten AGFI nicht wirksam angemeldet worden seien und die AGFI nicht von einer Schädigung i.S. des § 1 Abs. 6 VermG betroffen gewesen sei.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin zu 1 stattgegeben, soweit sie auf die Feststellung ihrer Berechtigung nach § 1 NS-VEntschG in Bezug auf AGFI-Aktien i.H. von 52 v.H. gerichtet ist. Als unbegründet abgewiesen hat es die Klage, soweit die Klägerinnen zu 2 bis 4 vermögensrechtliche Ansprüche in Bezug auf die AGFI-Aktien geltend gemacht haben, weil insoweit allein die Klägerin zu 1 Berechtigte sei. Ebenfalls als unbegründet abgewiesen hat es die vermögensrechtliche Ansprüche in Bezug auf die das Grundstück betreffende Klage der Klägerinnen zu 1 bis 4, weil insoweit die durch die Anmeldung der Klägerin zu 1 wieder aufgelebte AGFI Berechtigte sei. Die Klage der AGFI hat das Verwaltungsgericht als unzulässig abgewiesen; sie sei erst in der mündlichen Verhandlung vom 11. September 2003 und damit verspätet erhoben worden, weil der dem Vertreter der Klägerin zu 5 am 21. Juli 1999 zugestellte Bescheid den von ihr geltend gemachten Anspruch in Bezug auf das Grundstück abgelehnt habe.
Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Klägerinnen hat mit dem Ergebnis Erfolg, dass das angegriffene Urteil teilweise aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen wird.

II


1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob "ein Unternehmen, dessen Fortbestehen gemäß § 6 Abs. 1 a VermG vom zuständigen Landesamt nicht festgestellt wurde, klageberechtigt" ist, bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, weil sie sich unmittelbar aus dem Gesetz und der dazu ergangenen Rechtsprechung beantwortet. Gemäß § 6 Abs. 1 a Satz 1 und 2 VermG ist Berechtigter bei der Rückgabe eines Unternehmens derjenige, dessen Vermögenswerte von Maßnahmen gemäß § 1 VermG betroffen sind; der Berechtigte besteht als in Auflösung befindlich fort, wenn die im Zeitpunkt der Schädigung vorhandenen Gesellschafter oder Mitglieder oder Rechtsnachfolger dieser Personen, die mehr als 50 v.H. der Anteile oder Mitgliedschaftsrechte auf sich vereinen und namentlich bekannt sind, einen Antrag auf Rückgabe des Unternehmens oder von Anteilen oder Mitgliedschaftsrechten des Berechtigten angemeldet haben; die Regelung gilt desgleichen für die Rückübertragung von Vermögensgegenständen eines nach der schädigenden Maßnahme stillgelegten Unternehmens (§ 6 Abs. 6 a Satz 1 VermG). Diese Voraussetzungen sind auf die Einzelrestitution übertragbar, wenn ein von einer schädigenden Maßnahme betroffener einzelner Vermögenswert im Eigentum eines Unternehmensträgers mit Sitz im Beitrittsgebiet stand, der nachträglich untergegangen ist; der als Zuordnungssubjekt allein in Betracht kommende Unternehmensträger muss hiernach wiederaufleben, um den Restitutionsanspruch geltend machen zu können (Urteil vom 19. September 2002 - BVerwG 7 C 21.01 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 51; Urteil vom 11. März 2004 - BVerwG 7 C 61.02 -, zur Veröffentlichung bestimmt).
Sind die genannten Voraussetzungen erfüllt, tritt die Fiktion des Fortbestehens kraft Gesetzes ein. Einer entsprechenden Feststellung der Behörde bedarf es nicht. Das folgt ohne weiteres aus dem Gesetzeswortlaut und dem Zweck des Gesetzes, die Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche durch denjenigen zu ermöglichen, der behauptet, Geschädigter oder dessen Rechtsnachfolger zu sein (Urteil vom 17. April 1997 - BVerwG 7 C 15.96 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 26 S. 50 <53>). Da das Antragsrecht der Gesellschafter oder Mitglieder gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 VermG das Recht einschließt, den gestellten Antrag im Fall seiner Ablehnung mit der Klage weiterzuverfolgen, können diese bei Erfüllung des Quorums vermögensrechtliche Ansprüche für die durch ihre Anmeldung entstandene Liquidationsgesellschaft im Klageweg geltend machen (vgl. Urteil vom 30. Juni 1994 - BVerwG 7 C 58.93 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 26 S. 46 <47>; Urteil vom 29. Mai 2002 - BVerwG 8 C 16.01 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 47 S. 63 <70>). Dem entspricht umgekehrt, dass die Bestandskraft eines die Liquidationsgesellschaft betreffenden Bescheids eintritt, wenn gegen ihn nicht zulässigerweise ein Rechtsmittel eingelegt wurde. Da die Gesellschafter, Mitglieder oder Rechtsnachfolger dieser Personen nur anmelde- und klageberechtigt, nicht aber selbst rückgabeberechtigt sind, können Unternehmen oder Unternehmensreste allerdings nur auf den geschädigten Rechtsträger des Unternehmens als Berechtigten und nicht auf dessen Gesellschafter oder Mitglieder zurückübertragen werden (Urteil vom 17. Dezember 1993 - BVerwG 7 C 5.93 - Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 4 S. 10 <13 f.>).
2. Die Revision ist auch nicht wegen Divergenz zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Beschwerde sieht die Abweichung in der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der geschädigte Unternehmensträger und nicht dessen Gesellschafter oder Mitglieder rückgabeberechtigt seien. Diese Annahme steht, wie sich aus dem unter 1 Ausgeführten ergibt, im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
3. Das angegriffene Urteil ist jedoch, wie die Beschwerde der Sache nach zu Recht rügt, verfahrensfehlerhaft zustande gekommen.
Soweit das in Rede stehende Grundstück betroffen ist, beruht das Urteil auf dem von der Beschwerde sinngemäß geltend gemachten Verfahrensfehler, dass das Verwaltungsgericht über den prozessualen Anspruch auf Feststellung der Berechtigung der AGFI nicht durch Sachurteil, sondern durch Prozessurteil entschieden hat (vgl. Beschluss vom 4. Juli 1968 - BVerwG 8 B 110.67 - BVerwGE 30, 111 <113>). Die Klägerin zu 1, die mehr als 50 v.H. der AGFI-Aktien innehatte, bewirkte mit ihrer auf Rückgabe von Anteilen an der AGFI und deren Grundstücks gerichteten Anmeldung vom 28. Dezember 1992 das Wiederaufleben der AGFI. Sie konnte damit, wie oben dargelegt, die Ansprüche nach Ablehnung durch den angefochtenen Bescheid mit der Klage weiterverfolgen, allerdings mit der Maßgabe der Rückgabe des Grundstücks an die AGFI. Einer Klageerhebung namens der AGFI bedurfte es hierzu nicht. Da die Klägerinnen die Verpflichtung des Rechtsvorgängers der Beklagten zur Feststellung der Berechtigung der AGFI hinsichtlich des Grundstücks beantragt hatten, durfte das Verwaltungsgericht diesen Antrag nicht deshalb hinsichtlich der Klägerinnen zu 1 bis 4 unbehandelt lassen, weil nach seiner Auffassung das Grundstück nicht diesen, sondern nur der wiederaufgelebten Gesellschaft zustand. Diesem Versäumnis liegt ein Verfahrensfehler zugrunde, weil das Verwaltungsgericht ausgehend von einer ausschließlichen Berechtigung der Klägerin zu 5 die Klagebefugnis der übrigen Klägerinnen stillschweigend verneint hat, obwohl zumindest die Klägerin zu 1 als Anmeldeberechtigte auch die Rückgabeberechtigung der Klägerin zu 5 durch das Verwaltungsgericht feststellen lassen durfte.
Hinsichtlich des von den Klägerinnen geltend gemachten Anspruchs einer Entschädigung wegen verfolgungsbedingten Verlusts der 48 % AGFI-Aktien, die von der niederländischen Tochtergesellschaft der Klägerin zu 1 gehalten wurden, beruht das angegriffene Urteil auf der gerügten Verletzung der Begründungspflicht (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Den Entscheidungsgründen ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen dieser prozessuale Anspruch abgewiesen worden ist. Die Klägerinnen haben zur Klagebegründung vorgetragen, dass das niederländische Tochterunternehmen im Eigentum der Klägerin zu 1 und der Rechtsvorgänger der Klägerinnen zu 2 bis 4 gestanden habe. Sie haben sich damit der Sache nach darauf berufen, dass eine mittelbare Beteiligung der Klägerin zu 1 an einem Unternehmen Gegenstand der Schädigung nach § 1 Abs. 6 VermG und das Unternehmen zum Zeitpunkt der Schädigung nicht von Maßnahmen nach § 1 VermG betroffen war (§ 3 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 VermG). Erwägungen dazu, weshalb dieser Anspruch unbegründet sein könnte, hat das Verwaltungsgericht verfahrensfehlerhaft unterlassen.
Der Senat nimmt die dem Verwaltungsgericht unterlaufenen Verfahrensfehler zum Anlass, gemäß § 133 Abs. 6 VwGO durch Beschluss zu entscheiden. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG.