Beschluss vom 18.05.2009 -
BVerwG 5 B 22.09ECLI:DE:BVerwG:2009:180509B5B22.09.0

Beschluss

BVerwG 5 B 22.09

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Mai 2009
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Stengelhofen
beschlossen:

  1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Januar 2009 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 48 119,99 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist nicht begründet.

2 1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

3 Die von dem Beklagten aufgeworfenen Fragen
„1.) Unterscheiden sich die Sätze 2 und 3 des § 86a Abs. 4 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) - insb., weil § 86a Abs. 4 Satz 3 SGB VIII die Sätze 1 und 2 dieser Vorschrift lediglich für entsprechend anwendbar erklärt - mit Hinblick auf die Kostenerstattungspflicht gem. § 89a Abs. 1 Satz 2 2. Alternative SGB VIII hinsichtlich der Rechtsfolgen dahingehend, dass im Falle des § 86a Abs. 4 Satz 2 SGB VIII eine gegebene Zuständigkeit erhalten bleibt, während im Falle des § 86a Abs. 4 Satz 3 SGB VIII eine Zuständigkeit neu begründet wird?
2.) Ist der Bestand der Kostenerstattungspflicht gem. § 89a Abs. 1 Satz 2 2. Alternative SGB VIII unterschiedlich zu beurteilen, je nachdem auf welchem der unterschiedlichen Sätze 2 oder 3 des § 86a Abs. 4 SGB VIII die örtliche Zuständigkeit des die Hilfe gewährenden Jugendamtes beruht?
3.) Ist die örtliche Zuständigkeit des örtlichen Trägers der Jugendhilfe gem. § 86a Abs. 4 SGB VIII eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Kostenerstattungspflicht des zuvor zuständigen örtlichen Trägers gem. § 89a Abs. 1 Satz 2 2. Alternative SGB VIII und muss für die Bejahung dieser Kostenerstattungspflicht zusätzlich noch die Tatbestandsvoraussetzung gegeben sein, dass eine Fortsetzung der Leistung gegeben sein muss?
4.) Ist im Fall einer bejahten Zuständigkeit des örtlichen Trägers nach § 86a Abs. 4 Satz 3 SGB VIII (immer) auch eine Fortsetzung der Leistung im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 2 2. Alternative SGB VIII zu bejahen?
5.) Ist eine Fortsetzung der Leistung im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 2 2. Alternative SGB VIII zu verneinen, wenn ein volljähriger Hilfeempfänger die ihm aktuell gewährte Hilfe abbricht (insb. seine Pflegefamilie verlässt), eine weitere Zusammenarbeit mit dem Jugendamt ablehnt und sich an einen anderen Ort außerhalb der örtlichen Zuständigkeit des die Hilfe gewährenden Jugendamtes begibt, wenn dieses Jugendamt darauf die Hilfe mit Bescheid formell einstellt, der Volljährige aber innerhalb von drei Monaten wieder in den örtlichen Zuständigkeitsbereich des Jugendamtes zurückkehrt und erneut eine Hilfe für junge Volljährige bewilligt bekommt?“
rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Sie beantworten sich unmittelbar aus dem Gesetz und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

4 In der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 14. November 2002 - BVerwG 5 C 56.01 - BVerwGE 117, 194-200) ist geklärt, dass eine bei Eintritt der Volljährigkeit nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bestehende Kostenerstattungspflicht bei Fortsetzung der Leistung als Hilfe für junge Volljährige festgeschrieben wird und auch eine Änderung der Hilfeform innerhalb der Hilfe für junge Volljährige nicht zu einer neuen Zuständigkeitsprüfung führt. Aus dieser Rechtsprechung folgt, ohne dass es einer weiteren Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf, dass die Pflicht zur Kostenerstattung im Anschluss an einen Zuständigkeitswechsel nach § 86 Abs. 6 SGB VIII in Fällen, in denen die Leistung über die Volljährigkeit hinaus nach § 41 SGB VIII fortgesetzt wird (§ 89a Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII), auch dann bestehen bleibt, wenn die Hilfe nach § 41 SGB VIII nicht ununterbrochen fortgewährt, sondern bis zu drei Monaten unterbrochen wird. Das gilt auch, wenn sie beendet worden war und dann innerhalb von drei Monaten erneut Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII erforderlich wird und sich die Zuständigkeit für die Leistungen an junge Volljährige nach § 86a Abs. 4 Satz 2 und 3 i.V.m. Satz 1 SGB VIII bestimmt.

5 Der Beschwerde ist allerdings zuzugeben, dass der Senat in seinem Urteil vom 14. November 2002 (a.a.O.) lediglich den Fall zu beurteilen hatte, in dem sich die Zuständigkeit für die Fortgewährung der Hilfe nach § 86a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gerichtet hatte. Der Senat hat nicht ausdrücklich ausgeführt, dass dies auch für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 86a Abs. 4 Satz 2 oder 3 SGB VIII gilt. Tragende Erwägung dieses Urteils war indes, dass § 89a Abs. 1 SGB VIII über den in der Normüberschrift bezeichneten sachlichen Anwendungsbereich (Kostenerstattung bei fortdauernder Vollzeitpflege) hinausgeht. Bei den Kosten für Leistungen an junge Volljährige nach § 41 SGB VIII, die von der Erstattungspflicht aus § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII nach dessen eindeutigem Wortlaut ausdrücklich erfasst werden, handele es sich aber nicht um Kosten, die ein örtlicher Träger im Sinne von Satz 1 „auf Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 aufgewendet“ habe. Solche Kosten seien vielmehr aufgrund der Zuständigkeit nach § 86a Abs. 4 SGB VIII entstanden. Der Senat hat dann weiter, ohne nach den Fallgruppen zu differenzieren, die nach § 86a Abs. 4 SGB VIII zur „Festschreibung“ der Zuständigkeit geführt hatten, ausgeführt:
„Für die Dauer der Fortsetzung der Leistung - gewissermaßen „stichtagsbezogen“ auf den Eintritt der Volljährigkeit - wird die Kostenerstattungspflicht ebenso festgeschrieben wie die nach § 86a Abs. 4 SGB VIII begründete örtliche Zuständigkeit.“

6 Auch nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen ist es ohne weiteren Klärungsbedarf ausgeschlossen, dass in Bezug auf die aus § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII folgende Kostenerstattungspflicht zwischen den Fallgruppen der Zuständigkeitsfixierung nach § 86a Abs. 4 SGB VIII, also dem Fall der ununterbrochenen Weiterführung von Jugendhilfe bzw. der einer Leistung nach § 13, Abs. 3, §§ 19, 21 oder einer Hilfe nach §§ 27 bis 35a SGB VIII nachfolgenden Hilfe für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII (Satz 1), dem Fall einer Unterbrechung der Hilfeleistung von bis zu drei Monaten, die außer Betracht bleibt (Satz 2), und dem Fall der erneuten Hilfegewährung innerhalb von drei Monaten nach Beendigung einer Hilfe für junge Volljährige (Satz 3), Unterschiede zu machen sind. Den Zweck der Regelung hat der Senat in seinem Urteil vom 14. November 2002 (a.a.O.) wie folgt geklärt:
„Diese Auslegung kann sich auf Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen stützen. Da § 86a Abs. 4 SGB VIII die „Kontinuität des Hilfeprozesses“ sichern soll (so z.B. Heilemann in LPK-SGB VIII, § 86a Rn. 8) und zu diesem Zweck - wie es auch die Vorinstanz sieht - die Zuständigkeit des bis zur Volljährigkeit örtlich zuständigen Trägers „festschreibt“ (ähnlich Jans/Happe/Saurbier, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Auflage <1998>, Erl. § 86a Art. 1 KJHG Rn. 11: „Zuständigkeitsbindung zur Fortsetzung der Leistung“), ist ausgeschlossen, dass ein Jugendhilfeträger, der nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII für die Vollzeitpflege zuständig geworden und danach nach § 86a Abs. 4 SGB VIII für die dann in eine Hilfemaßnahme für junge Volljährige überführte Hilfeleistung zuständig geblieben ist, seine Zuständigkeit mit dem Ende des Aufenthalts des jungen Volljährigen bei der Pflegeperson verliert und dass damit - unter Inkaufnahme der Möglichkeit eines Zuständigkeitswechsels - die Zuständigkeit für die dem jungen Volljährigen geleistete Hilfe neu zu bestimmen ist.“

7 Die Kostenerstattungspflicht des § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII umfasst mithin auch nach seinem Sinn und Zweck alle Fälle, in denen eine nach § 86 Abs. 6 SGB VIII begründete örtliche Zuständigkeit nach § 86a Abs. 4 SGB VIII „festgeschrieben“ worden ist.

8 Die von dem Beklagten als möglich und notwendig erachtete Unterscheidung für den Fortbestand der Kostenerstattungspflicht zwischen den einzelnen Fallgruppen des § 86a Abs. 4 SGB VIII folgt auch nicht, dass nach § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII erforderlich ist, dass die Leistung über die Volljährigkeit hinaus nach § 41 SGB VIII „fortgesetzt“ wird (a.A. noch VG Bayreuth, Urteil vom 2. Juni 2003 - B 3 K 02.544 -). Für die „sachliche“ Fortsetzung hat der Senat in seinem Urteil vom 14. November 2002 (a.a.O.) klargestellt, dass der Begriff „Leistung“ in § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII nicht auf Fälle unveränderter Weitergewährung der bereits vor Volljährigkeit gewährten Leistungen beschränkt ist, sondern sich auf die Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII unabhängig von der Hilfeform bezieht und dass deshalb eine Änderung der Hilfeform innerhalb der Hilfe für junge Volljährige nicht zu einer neuen Zuständigkeitsprüfung führt. In zeitlicher Hinsicht liegt eine „Fortsetzung“ dann vor, wenn eine Unterbrechung oder zwischenzeitliche Beendigung der Hilfe für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach § 86a Abs. 4 SGB VIII keine Wirkungen hat. Dies ergibt sich hier aus dem systematischen Zusammenhang der Zuständigkeits- und der Kostenerstattungsnorm unmittelbar aus dem Gesetz und wird bekräftigt durch das in dem Urteil vom 14. November 2002 (a.a.O.) betonte, an einer „Gesamtbetrachtung“ der Hilfe für junge Volljährige orientierte Verständnis des § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII, das an die Deckung eines (fortbestehenden) jugendhilferechtlichen Bedarfs anknüpft. Es fehlt jeder überzeugende, in einem Revisionsverfahren klärungsbedürftige Anhalt dafür, dass eine für die Zuständigkeitsbegründung nach § 86a Abs. 4 SGB VIII unbeachtliche Unterbrechung bzw. zeitweise Beendigung der Hilfegewährung für den hierauf bezogenen Kostenerstattungsanspruch beachtlich sein sollte. Dies gilt um so mehr, als § 86a Abs. 4 Satz 3 SGB VIII eine entsprechende Geltung nicht nur des Satzes 1 anordnet, sondern auch des Satzes 2 und damit die kurzzeitige Beendigung der Hilfe für junge Volljährige der Unterbrechung gleichstellt, die „außer Betracht“ zu bleiben hat. Auch aus diesem Grund fällt eine nach kurzeitiger Einstellung erfolgte neuerliche Bewilligung, bei der für die Zuständigkeitsbestimmung von einem fortbestehenden Hilfebedarf ausgegangen wird, durch den weiterhin nach § 86a Abs. 4 Satz 3 SGB VIII zuständigen Träger nicht aus dem Begriff der „Fortsetzung“ i.S.d. § 89a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII heraus.

9 2. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

10 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.