Beschluss vom 18.06.2004 -
BVerwG 1 B 229.03ECLI:DE:BVerwG:2004:180604B1B229.03.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.06.2004 - 1 B 229.03 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:180604B1B229.03.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 229.03

  • Hessischer VGH - 30.06.2003 - AZ: VGH 3 UE 290/02.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Juni 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r ,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht B e c k und den Richter am
Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Der Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 30. Juni 2003 wird verworfen.
  3. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Den Klägern kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
Die Beschwerde ist unzulässig. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO) sind nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargetan.
1. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige R e c h t s frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird. Eine solche lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen.
Die Beschwerde meint, es bedürfe grundsätzlicher Klärung, ob die vom Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätze zum Ausschluss des Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG durch eine sog. inländische Fluchtalternative auf aserbaidschanische Staatsangehörige armenischer bzw. gemischt armenisch-aserbaidschanischer Volkszugehörigkeit, die vorverfolgt aus Aserbaidschan ausgereist seien, nicht aus Berg-Karabach stammten oder dort Verwandte hätten, Anwendung fänden. In diesem Zusammenhang wirft sie zunächst die Frage auf, ob Flüchtlinge aserbaidschanischer Staatsangehörigkeit generell auf eine Fluchtalternative in Berg-Karabach verwiesen werden können, obwohl die Republik Aserbaidschan in dieser Region ihre Gebietsgewalt nicht nur vorübergehend verloren habe, weil sie seit über zehn Jahren dort keinerlei Gebietsherrschaft mehr ausübe und auch nicht annähernd absehbar sei, dass dies wieder der Fall sein könne. Es sei klärungsbedürftig, ob nach einem so langen Zeitraum faktischer Gebietsaufgabe und nicht absehbarer völkerrechtlicher Regelung faktisch nicht mehr von einer "inländischen Fluchtalternative", sondern von einer "ausländischen Fluchtalternative" auszugehen sei.
Mit dieser Frage zielt die Beschwerde nicht auf eine vom Revisionsgericht zu klärende rechtsgrundsätzliche Frage, sondern auf die den Tatsachengerichten vorbehaltene Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse in Aserbaidschan, insbesondere in Berg-Karabach. Im Übrigen ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits geklärt, dass als Ort einer inländischen Fluchtalternative auch ein Teilgebiet eines Staates in Betracht kommt, in dem dieser seine Gebietsgewalt vorübergehend faktisch nicht mehr ausüben kann, und dass es insoweit nicht darauf ankommt, ob in diesem Teilgebiet eine andere staatliche oder staatsähnliche Friedensordnung besteht (vgl. Urteil vom 8. Dezember 1998 - BVerwG 9 C 17.98 - BVerwGE 108, 84 <88 bis 90>). Ferner ist geklärt, dass dann, wenn der Staat in einer Region die Gebietsherrschaft - etwa durch Annexion oder Sezession - endgültig verliert, diese asylrechtlich nicht mehr als inländische Fluchtalternative anzusehen ist (BVerwG, a.a.O., S. 88). Hiervon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Die Frage, ob und wann im Einzelfall der endgültige Verlust der Gebietsherrschaft eines (Verfolger)Staates in einer Region eingetreten ist, ist von den Tatsachengerichten nach den jeweiligen tatsächlichen Umständen im Einzelfall zu ermitteln und zu würdigen und entzieht sich einer weitergehenden abstrakten rechtsgrundsätzlichen Klärung. Soweit die Beschwerde mit dem Schriftsatz vom 23. Februar 2004 neu geltend macht, Berg-Karabach habe durch die Volksabstimmung am 10. Dezember 1991 sowohl nach damaligem Recht der UdSSR als auch nach dem Völkerrecht eine wirksame Sezession von Aserbaidschan vollzogen, und sich hierfür auf Vorträge von Prof. Dr. Otto Luchterhand und Dr. Dittmar Schorkowitz beruft, kann dies schon deshalb im Revisionszulassungsverfahren nicht berücksichtigt werden, weil es sich um neuen Tatsachenvortrag handelt. Denn auch die Ermittlung und Auslegung ausländischen Rechts - wie etwa des Rechts der damaligen UdSSR - ist den Tatsachengerichten vorbehalten (§ 173 VwGO i.V.m. § 293 ZPO) und keine Frage des revisiblen Rechts. Die Beschwerde greift mit ihrer Rüge in Wahrheit die ihrer Ansicht nach unzutreffende Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts an, das einen dauerhaften Verlust der Gebietsherrschaft der Republik Aserbaidschan über das Territorium von Berg-Karabach angesichts der noch offenen Verhandlungssituation verneint hat (BA S. 15 f.). Hierauf kann die Zulassung einer Grundsatzrevision aber nicht gestützt werden.
Entsprechendes gilt für die von der Beschwerde weiter aufgeworfene Frage, ob es einem aserbaidschanischen Staatsangehörigen armenischer Volkszugehörigkeit, der nicht aus Berg-Karabach stamme und der dort auch keine Verwandten habe, möglich bzw. zumutbar sei, von der Bundesrepublik Deutschland nach Armenien zu gelangen, dort bei einer karabachischen Behörde ein Einreisevisum für Karabach zu erhalten und anschließend über aserbaidschanisches Gebiet nach Karabach einzureisen sowie dort ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erhalten. Auch diese Frage betrifft die Feststellung und Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse der Einreise und des Aufenthalts der fraglichen Personengruppe in Berg-Karabach und ist als solche einer Klärung im Revisionsverfahren nicht zugänglich.
2. Die von der Beschwerde erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) genügt ebenfalls nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Beschwerde macht insoweit geltend, das Berufungsgericht hätte nicht ohne weitere Sachaufklärung die Erreichbarkeit der Region Berg-Karabach für die Kläger von der Bundesrepublik Deutschland aus bejahen dürfen. Es hätte angesichts der Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Augsburg vom 17. August 2000 vielmehr überprüfen müssen, ob aserbaidschanischen Staatsangehörigen von einer deutschen Behörde ein entsprechender Passersatz erteilt werde und die zuständigen armenischen Auslandsvertretungen daraufhin ein Visum erteilten, damit die Betroffenen überhaupt den Transit erreichen könnten. Das Berufungsgericht hätte sodann aufgrund noch einzuholender Auskünfte Feststellungen dazu treffen müssen, ob tatsächlich dem Personenkreis nicht aus Karabach stammender aserbaidschanischer Staatsangehöriger armenischer bzw. gemischt armenisch-aserischer Volkszugehörigkeit ein Einreisevisum in Armenien erteilt und ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in Berg-Karabach gewährt werde.
Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht nicht dargetan. Hierzu bedarf es der Darlegung hinsichtlich welcher entscheidungserheblicher Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen, die zu einem für die Kläger günstigeren Ergebnis geführt hätten, voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen. Daran fehlt es hier. Die Beschwerde legt bereits nicht dar, welche konkreten weiteren Aufklärungsmaßnahmen ihrer Ansicht nach in Betracht gekommen wären und zu welchem Ergebnis sie geführt hätten. Sie macht ferner nicht geltend, dass die Kläger bereits im Berufungsverfahren auf die jetzt vermisste Sachaufklärung hingewirkt haben, sondern räumt selbst ein, dass ein entsprechender Beweisantrag nicht gestellt worden ist. Dass sich bei dieser Sachlage dem Gericht - ausgehend von seiner materiellen Rechtsauffassung - eine weitere Aufklärung zur Erreichbarkeit des Gebiets von Berg-Karabach hätte aufdrängen müssen, zeigt die Beschwerde nicht auf. Das Berufungsgericht hat sich mit der Frage der Erreichbarkeit des Gebiets der inländischen Fluchtalternative entgegen dem von der Beschwerde erweckten Eindruck durchaus im Einzelnen auseinander gesetzt, indem es die entsprechenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Schleswig-Holstein in dessen Urteil vom 12. Dezember 2002 (BA S. 17 f.) zitiert und sich zu Eigen gemacht hat. Damit ist es auch auf die Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 17. August 2000 an das Verwaltungsgericht Augsburg eingegangen und hat im Einzelnen dargelegt, warum nach seiner Auffassung aus dieser Auskunft nicht geschlossen werden könne, dass nicht aus Berg-Karabach stammenden armenischen Volkszugehörigen die Einreise oder der Aufenthalt in diesem Gebiet verwehrt werde. Es hat sich in diesem Zusammenhang auch auf mehrere neue Auskünfte und Gutachten bezogen, aus denen sich nach seiner Auffassung keine Einschränkungen für eine Zuzugsmöglichkeit in das Gebiet von Berg-Karabach für den betroffenen Personenkreis ergeben. Warum sich dem Gericht bei dieser Sachlage noch weitere Aufklärungsmaßnahmen hätten aufdrängen müssen, obwohl die Kläger selbst die ihnen bekannte Auskunftslage im Berufungsverfahren nicht als unzureichend gerügt haben, legt die Beschwerde nicht dar. Sie wendet sich auch mit diesem Vorbringen in Wahrheit gegen die ihrer Ansicht nach nicht zutreffende Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht, ohne insoweit einen Revisionszulassungsgrund aufzuzeigen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.