Beschluss vom 18.07.2006 -
BVerwG 1 DB 4.06ECLI:DE:BVerwG:2006:180706B1DB4.06.0

Beschluss

BVerwG 1 DB 4.06

  • VG Düsseldorf - 08.03.2006 - AZ: VG 38 K 3451/05.BDG

In dem Beschwerdeverfahren hat der Disziplinarsenat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. Juli 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Albers
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und Dr. Heitz
beschlossen:

Die Sache wird an das Verwaltungsgericht ... zurückgegeben, damit dieses der Beschwerde des Ruhestandsbeamten gegen den Beschluss vom 8. März 2006 abhelfen kann, soweit die Nachzahlung der einbehaltenen Bezüge abgelehnt worden ist.

Gründe

I

1 Nach Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens gegen den Ruhestandsbeamten wurde in der Zeit vom 21. April 1995 bis 24. November 2003 durchgängig ein Teil seiner Dienst- und Versorgungsbezüge einbehalten. Der Disziplinarsenat stellte das Disziplinarverfahren durch Beschluss vom 4. November 2003 - BVerwG 1 D 8.02 - ein, weil er es für nicht ausgeschlossen hielt, dass der Ruhestandsbeamte bei der Zustellung der Einleitungsverfügung verhandlungsunfähig war. Daraufhin leitete das Bundesministerium des Innern wegen desselben Disziplinarvorwurfs im Februar 2004 ein behördliches Disziplinarverfahren nach Maßgabe des Bundesdisziplinargesetzes ein, das noch im Gange ist.

2 Den Antrag des Ruhestandsbeamten, ihm die während des förmlichen Disziplinarverfahrens einbehaltenen Bezüge nachzuzahlen, lehnte das Bundesministerium des Innern durch Bescheid vom 14. April 2005 ab. Das von dem Ruhestandsbeamten angerufene Verwaltungsgericht hat dessen Rechtsschutzbegehren als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 122 Abs. 1 BDO gewertet und durch Beschluss vom 8. März 2006 abgelehnt; es ist der Ansicht, seine Entscheidung sei unanfechtbar. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Ruhestandsbeamten, der das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat.

II

3 Der Disziplinarsenat gibt die Sache an das Verwaltungsgericht zurück, damit dieses von der gemäß § 148 Abs. 1 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch machen kann, der Beschwerde des Ruhestandsbeamten abzuhelfen.

4 Soweit der Ruhestandsbeamte mit der Antragsschrift vom 1. August 2005 die Nachzahlung der während des förmlichen Disziplinarverfahrens einbehaltenen Bezüge fordert, durfte das Verwaltungsgericht das Rechtsschutzbegehren nicht als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 122 Abs. 1 BDO gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesministeriums des Innern vom 14. April 2005 behandeln und darüber auf der Grundlage dieser Vorschrift durch Beschluss entscheiden. Denn für das Nachzahlungsbegehren ist gemäß § 40 Abs. 1 VwGO der allgemeine Verwaltungsrechtsweg gegeben. Der Ruhestandsbeamte muss es durch eine Klage gegen das Bundesministerium des Innern nach Maßgabe der VwGO geltend machen (vgl. Urteil vom 27. Januar 1966 - BVerwG 2 C 221.62 - BVerwGE 23, 176 <183> und Beschluss vom 18. September 2002 - BVerwG 1 DB 13.02 - NVwZ-RR 2003, 289 jeweils zur Geltendmachung von Ansprüchen auf Nachzahlung der nach § 9 BBesG einbehaltenen Dienstbezüge). Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

5 Die Bundesdisziplinarordnung ist am 1. Januar 2002 außer Kraft getreten; an ihre Stelle ist das Bundesdisziplinargesetz getreten (Art. 1, 27 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 des Neuordnungsgesetzes vom 9. Juli 2001 (BGBl I 1510). Gemäß § 85 Abs. 1 Satz 1 BDG werden die nach bisherigem Recht eingeleiteten Disziplinarverfahren in der Lage, in der sie sich bei Inkrafttreten dieses Gesetzes befinden, nach diesem Gesetz fortgeführt, soweit in den Absätzen 2 bis 10 nichts Abweichendes bestimmt ist. Demnach finden die Verfahrensregeln und -grundsätze der BDO auch hinsichtlich des gerichtlichen Rechtsschutzes seit 1. Januar 2002 nur noch Anwendung, wenn sich dies aus § 85 Abs. 2 bis 10 BDG ergibt. Dies ist hinsichtlich des Nachzahlungsbegehrens des Ruhestandsbeamten nicht der Fall. Insoweit sind weder die Voraussetzungen des § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG noch des § 85 Abs. 5 Satz 1 BDG für eine Fortgeltung des Verfahrensrechts der BDO erfüllt.

6 Gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG werden die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahren nach bisherigem Recht fortgeführt. Die Geltung dieser Fortführungsklausel ist bezogen und beschränkt auf die am 1. Januar 2002 laufenden förmlichen Disziplinarverfahren. Diese Verfahren sollen nach den Verfahrensregeln und -grundsätzen der BDO zu Ende geführt werden. Nach ihrer Beendigung ist für die Anwendung der BDO auch in Bezug auf solche Folgemaßnahmen und -entscheidungen kein Raum mehr, die in einem sachlichen Zusammenhang mit dem abgeschlossenen förmlichen Disziplinarverfahren stehen (Beschluss vom 17. Februar 2003 - BVerwG 1 DB 2.03 - Buchholz 235.1 § 85 BDG Nr. 3). Eine Ausnahme hat der Senat nur für Verfahren über die Neubewilligung eines Unterhaltsbeitrags anerkannt, wenn die Erstbewilligung auf § 77 BDO beruhte. Diese Verfahren gelten als Annex zu dem abgeschlossenen förmlichen Disziplinarverfahren, weil sie an den Ausspruch des Disziplinarurteils zum Unterhaltsbeitrag anknüpfen (Beschluss vom 15. Januar 2002 - BVerwG 1 DB 34.01 - Buchholz 235 § 110 BDO Nr. 10).

7 Danach greift die Fortführungsklausel gemäß § 85 Abs. 3 Satz 1 BDG hinsichtlich des Nachzahlungsbegehrens des Ruhestandsbeamten nicht ein, weil das vor dem 1. Januar 2002 eingeleitete förmliche Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller mit dem Einstellungsbeschluss des Disziplinarsenats vom 4. November 2003 - BVerwG 1 D 8.02 - sein Ende gefunden hat (§ 76 Abs. 3 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 1 Nr. 1 BDO). Folgerichtig hat das Bundesministerium des Innern hinsichtlich desselben Disziplinarvorwurfs ein neues Disziplinarverfahren nach Maßgabe des BDG eingeleitet.

8 Nichts anderes ergibt sich für das vorliegende Verfahren aus § 85 Abs. 5 Satz 1 BDG. Nach dieser Vorschrift bestimmen sich Statthaftigkeit, Frist und Form eines Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels gegen eine Entscheidung, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ergangen ist, nach bisherigem Recht. Der gesetzliche Begriff „Entscheidung“ umfasst Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen über das konkrete Rechtsschutzbegehren (Beschluss vom 31. Januar 2002 - BVerwG 1 DB 33.01 - Buchholz 240 § 9 BBesG Nr. 21). Danach greift § 85 Abs. 5 Satz 1 BDG im vorliegenden Fall nicht ein, weil der die Nachzahlung ablehnende Bescheid vom 14. April 2005 nach Inkrafttreten des BDG ergangen ist.

9 Kann hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Nachzahlung der während des förmlichen Disziplinarverfahrens einbehaltenen Bezüge gerichtlicher Rechtsschutz nicht nach der BDO gewährt werden, so ist der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8. März 2006 insoweit schon deshalb rechtswidrig, weil er auf der Grundlage des § 122 Abs. 1 BDO ergangen ist. Demzufolge kommt auch der Grundsatz nicht zur Anwendung, dass gegen gerichtliche Sachentscheidungen in Verfahren nach § 122 BDO die Beschwerde ausgeschlossen ist (vgl. Beschluss vom 9. April 1991 - BVerwG 1 DB 3.91 - BVerwGE 93, 61 <63>). Vielmehr gelten für die Beschwerde des Ruhestandsbeamten die Regelungen gemäß §§ 146 ff. VwGO.

10 Das Verwaltungsgericht muss der fristgerecht eingelegten Beschwerde gemäß § 148 Abs. 1 VwGO abhelfen, weil es das gerichtlich geltend gemachte Nachzahlungsbegehren als Klage behandeln und darüber grundsätzlich gemäß § 107 VwGO durch Urteil entscheiden muss. Die Antragsschrift vom 1. August 2005 kann insoweit ohne weiteres als Klageschrift verstanden werden (vgl. Beschluss vom 13. März 2006 - BVerwG 1 D 3.06 - juris Rn. 8). Ein vorheriges Widerspruchsverfahren ist entbehrlich geworden, weil sich das Bundesministerium des Innern in dem Schriftsatz vom 4. Oktober 2005 in der Sache eingelassen hat (vgl. Urteil vom 22. Juli 1999 - BVerwG 2 C 14.98 - Buchholz 237.2 § 12 BlnLBG Nr. 3 S. 3 m.w.N.).

11 In materiellrechtlicher Hinsicht weist der Disziplinarsenat darauf hin, dass eine Beurteilung des Nachzahlungsbegehrens nach den Grundsätzen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs in Betracht gezogen werden muss, wenn das für die Klage zuständige Verwaltungsgericht sowohl § 96 BDO als auch § 40 BDG (entsprechend) für unanwendbar halten sollte.