Beschluss vom 18.08.2003 -
BVerwG 1 B 306.02ECLI:DE:BVerwG:2003:180803B1B306.02.0

Beschluss

BVerwG 1 B 306.02

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 08.05.2002 - AZ: OVG 3 L 95/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. August 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und R i c h t e r
beschlossen:

  1. Dem Kläger wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. H., in K., beigeordnet.
  2. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 8. Mai 2002 wird aufgehoben.
  3. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  4. Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Entscheidung über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beruht auf § 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 115, 121 Abs. 1 ZPO.
Die Beschwerde hat mit einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Der Kläger rügt zu Recht eine Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung ohne ausreichende Erfüllung seiner Hinweispflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO getroffen. Wegen dieses Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruht, weist der Senat die Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurück.
Das Berufungsgericht hat den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Bevollmächtigten des Klägers, durch Vernehmung von Frau I. als Zeugin Beweis darüber zu erheben, dass der Kläger die PKK unterstützt hat und die türkischen Sicherheitskräfte ihn deswegen nach der Verhaftung eines Kontaktmannes der PKK suchen, abgelehnt, da er unsubstantiiert sei; das Beweisthema werde nicht hinreichend konkretisiert.
Die Beschwerde macht demgegenüber u.a. geltend, der entsprechende Beweis sei bereits erstinstanzlich und in der Berufungsbegründung vom 5. Dezember 2001 angeboten worden. Da die Berufung zudem wegen der - vom Kläger gerügten - Verletzung des rechtlichen Gehörs zugelassen worden sei, habe alles darauf hingedeutet, dass das Berufungsgericht die unterlassene Beweiserhebung in erster Instanz für rechtswidrig gehalten habe und von einer hinreichenden Substantiierung des Beweisantrags ausgegangen sei. In der Berufungsbegründung hatte der Kläger u.a. dargelegt, Frau I. könne bestätigen, dass der Kläger wegen PKK-Unterstützung von den Sicherheitskräften gesucht werde. Dies habe sie anlässlich ihrer Besuchsaufenthalte in der Türkei erfahren. Sie selbst sei von den Sicherheitskräften nach dem Kläger gefragt worden.
Die Beschwerde ist jedenfalls insoweit gerechtfertigt, als es unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles zur Vermeidung einer "Überraschungsentscheidung" eines Hinweises des Berufungsgerichts nach § 86 Abs. 3 VwGO bedurft hätte. Zwar folgt aus dem Recht auf rechtliches Gehör keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Gerichts (vgl. BVerfGE 84, 188, 190). Auch in der Ausprägung, die dieses Recht in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, wird dem Gericht keine umfassende Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte abverlangt. Musste aber - wie hier - ein verständiger Prozessbeteiligter nicht mit der Ablehnung des Beweisantrags rechnen, so war das Berufungsgericht verpflichtet, einen entsprechenden Hinweis zu geben. Dies ist nicht geschehen. Weder dem Berufungsurteil und der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 2002 noch der Nichtabhilfeentscheidung vom 30. August 2002 ist zu entnehmen, dass ein derartiger Hinweis gegeben wurde.
Die Entscheidung beruht auch auf dem unterlassenen Hinweis. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach einem entsprechenden Hinweis und ergänzendem Vorbringen des Klägers die Beweisaufnahme durchgeführt hätte und zu einem für den Kläger günstigen Ergebnis gekommen wäre. Es kann deshalb offen bleiben, ob sich dem Berufungsgericht durch die im Zusammenhang mit dem Beweisantrag und seiner Begründung vorgetragenen Umstände die bezeichneten Ermittlungen von sich aus hätten aufdrängen müssen.