Beschluss vom 18.09.2002 -
BVerwG 5 B 7.02ECLI:DE:BVerwG:2002:180902B5B7.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.09.2002 - 5 B 7.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:180902B5B7.02.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 7.02

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 18.10.2001 - AZ: OVG 2 A 4580/96

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. September 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S ä c k e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht S c h m i d t und Dr. F r a n k e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Oktober 2001 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 16 000 € festgesetzt.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vorgetragenen Gründe rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
Das Oberverwaltungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin zu 1 auf Erteilung eines Aufnahmebescheides, in den die anderen Kläger hätten einbezogen werden können, im Wesentlichen mit der Begründung verneint, die Klägerin zu 1 sei nicht deutsche Volkszugehörige, da sie jedenfalls nicht die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG in der maßgeblichen Fassung des Spätaussiedlerstatusgesetzes vom 30. August 2001 (BGBl I S. 2266) erfülle. Im Inlandspass der Klägerin sei ursprünglich die Nationalität Komi eingetragen worden; in der dieser Eintragung vorausgehenden Angabe einer anderen als der deutschen Nationalität gegenüber amtlichen Stellen liege grundsätzlich ein die deutsche Volkszugehörigkeit ausschließendes Gegenbekenntnis zu einem fremden Volkstum, dessen Revidierung nach der Neufassung des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG durch das Spätaussiedlerstatusgesetz ausgeschlossen sei. Der Senat sei überzeugt, dass die Klägerin zu 1, die gemäß sowjetischem Passrecht ein Wahlrecht zwischen den jeweiligen unterschiedlichen Nationalitäten ihrer Eltern gehabt habe, mit der Erklärung im Passantrag eine zurechenbare Erklärung zu einem anderen Volkstum abgegeben habe. Bei verständiger Würdigung rechtfertigten schon der Vortrag der Klägerin und die Bekundungen des erstinstanzlich vernommenen Zeugen R. den Schluss, dass die Klägerin sich auf Bitten bzw. Drängen ihrer nichtdeutschen Mutter dazu entschieden habe, deren nichtdeutsche Nationalität zu wählen. Dies werde bestätigt durch die Angaben der Mutter bei ihrer Zeugenvernehmung durch den Senat. Danach habe die Mutter die Nationalität Komi in die Forma Nr. 1 eingetragen und die Klägerin anschließend dieses Formular unterschrieben; sie habe damit bewusst und gewollt eine nicht deutsche Nationalität gewählt. Das Drängen der Mutter, dem die Klägerin sich nicht widersetzt habe, begründe keine die freie Willensentscheidung der Klägerin ausschließende Zwangslage, vielmehr manifestiere sich in einem Nachgeben gegenüber familiärem psychischem Druck gerade der prägende Eindruck eines Elternteils oder anderer Personen auf den Erklärenden. Das Gegenbekenntnis sei auch gegenüber der zuständigen Passbehörde als amtliche Stelle abgegeben worden, denn die Klägerin habe ihrer Mutter das unterschriebene Formular als Botin zum Zweck der Überbringung an die Passbehörde überlassen. Die Klägerin zu 1 könne die Erteilung eines Aufnahmebescheides auch nicht als "Vertriebene i.S. des § 1 Abs. 1 und Abs. 2 BVFG i.V.m. § 7 BVFG i.d.F. vor dem 01.01.1993" oder als "Abkömmling eines Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit" beanspruchen, denn das Aufnahmeverfahren nach den §§ 26 ff. BVFG erstrecke sich allein auf "Spätaussiedler" im Sinne des § 4 Abs. 1 BVFG. Dies schließe die Erteilung eines Aufnahmebescheides zum Zwecke der Aufnahme als Vertriebene im Sinne des § 7 BVFG a.F. bzw. als Abkömmling eines Vertriebenen nach Maßgabe der §§ 26 ff. BVFG aus. Eine analoge Anwendung der Aufnahmevorschriften auf die vorliegende Fallgestaltung sei mangels Gesetzeslücke nicht möglich. Auch aus Art. 3 Abs. 1 GG oder Art. 116 Abs. 1 GG, der für den Erwerb der Eigenschaft als Deutscher die Aufnahme voraussetze, ergebe sich kein Anspruch der Klägerin auf Aufnahme. Da der Klägerin zu 1 ein Aufnahmebescheid nicht erteilt werden könne, komme auch eine Einbeziehung des Klägers zu 2 als Ehegatte nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG nicht in Betracht. Aus den dargelegten Gründen scheide für die Kläger zu 3 und 4 ein Aufnahmebescheid mangels Abstammung von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen ebenso aus wie eine Einbeziehung in einen Aufnahmebescheid der Klägerin zu 1 und bestehe auch kein Anspruch auf Aufnahme als Vertriebene nach § 7 BVFG a.F. bzw. als Abkömmlinge eines Vertriebenen.
Die von der Beschwerde hiergegen erhobenen Einwände können nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) führen.
Soweit mit der Grundsatzrüge die Fragen aufgeworfen werden, "ob ein von den Eltern abgegebener Passeintrag, in dem die Nationalität von den Eltern eingetragen worden ist und der Jugendliche zur Unterschrift kraft elterlicher Gewalt genötigt worden ist, ein Bekenntnis ... oder eine Bekenntniserklärung ... ist", "ob ... es sich bei der Unterschriftsleistung der Klägerin um eine 'Äußerung gegenüber anderen Stellen oder privaten Stellen, etwa den Eltern, Mitschülern oder Lehrern im Vorfeld der Formularabgabe' handelt" bzw. "unter welchen Umständen die Abgabe der Erklärung gegenüber den Eltern doch Wirksamkeit entfalten kann und ob die Erklärung, die unter Zwangsumständen unterzeichnet worden ist, wenn sie von einer anderen Person übergeben wird, Wirksamkeit entfalten kann", werden damit der Sache nach - in teilweise unzutreffender Wiedergabe der Feststellungen in dem angefochtenen Urteil - die Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung durch das Oberverwaltungsgericht angegriffen, ohne dass dabei eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung erkennbar würde. Die von der Klägerin zu 1 unterschriebene Forma Nr. 1 enthielt die nach dem Passrecht der früheren Sowjetunion gegenüber der Passbehörde abzugebende Nationalitätenerklärung und lag damit nicht "im Vorfeld der Formularabgabe", sondern war notwendiger Bestandteil des Erklärungsvorganges selbst, der mit der Abgabe des unterschriebenen Formularantrages bei der Behörde abgeschlossen war (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. März 2000 - BVerwG 5 C 25.99 - <Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 92>; Beschluss vom 10. September 2001 - BVerwG 5 B 17.01 -). Von einem nicht freiwilligen Bekenntnis zu einem nichtdeutschen Volkstum kann dabei - wie das Oberverwaltungsgericht zutreffend angenommen hat - nur bei völligem Ausschluss der Freiheit der Willensentschließung ausgegangen werden (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 10. September 2001 - BVerwG 5 B 17.01 - m.w.N.), was nach den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil zu verneinen ist. Die Frage, ob ein von einem Elternteil in Richtung auf die Abgabe einer bestimmten Erklärung ausgeübter Druck eine die freie Willensbestimmung ausschließende Zwangslage darstellt, betrifft die Sachverhalts- und Beweiswürdigung im Einzelfall und ist nicht von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung. Der vom Oberverwaltungsgericht bejahten rechtlichen Möglichkeit der Übermittlung der Erklärung durch die Mutter der Klägerin als Botin steht nicht entgegen, dass ein Volkstumsbekenntnis höchstpersönlicher Natur ist und in aller Regel eine eigene, persönliche Erklärung voraussetzt (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Juni 1997 - BVerwG 9 C 10.96 - BVerwGE 105, 60 <65 f.>); denn der Bote vertritt nicht den Erklärenden in der Erklärung, sondern übermittelt lediglich dessen Erklärung. Eine persönliche Abgabe des Formularantrages durch den Erklärenden selbst ist nicht zwingende Voraussetzung der Wirksamkeit der Erklärung selbst; notwendig ist lediglich, dass eine zurechenbare, auf dem freien Willen des Erklärenden beruhende Erklärung vorliegt. Dies ist nach den Feststellungen der Vorinstanz der Fall.
Ein Verfahrensmangel im Sinne eines Verstoßes gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs bzw. der Amtsaufklärung ist nicht mit der Begründung dargetan, das Berufungsgericht habe nicht darauf hingewiesen, dass es "von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichen möchte und die Erklärung auch über eine Drittperson zulässt", andernfalls die Klägerin dargelegt hätte, dass die Mutter das Formular ohne ihr Wissen abgegeben habe; dies ergebe sich auch aus der Zeugenaussage der Mutter, der das Oberverwaltungsgericht fälschlich das Gegenteil entnommen habe. Die Beschwerde übersieht dabei zunächst, dass mit Angriffen gegen die Beweiswürdigung grundsätzlich ein Verfahrensmangel i.S. des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht bezeichnet werden kann (vgl. dazu den von der Beschwerde mit unzutreffendem Datum vom 22. November 2000 angeführten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. September 2001 - BVerwG 5 B 17.01 -, S. 5). Mit dem Vorbringen, die Klägerin habe die Abgabe der von ihr unterschriebenen Forma Nr. 1 nicht gewollt, weist die Beschwerde auf einen Gesichtspunkt hin, den die Vorinstanz gewürdigt hat, ohne dabei allerdings die von der Beschwerde für richtig gehaltene rechtliche Schlussfolgerung zu ziehen, die Mutter sei bei der Abgabe nicht mehr mit Willen der Klägerin als Botin tätig gewesen (vgl. S. 15 des angefochtenen Urteils). Zu einem Hinweis auf die rechtliche Möglichkeit einer Wertung der Weiterleitung der von der Klägerin zu 1 unterschriebenen Erklärung durch die Mutter als Botin war das Oberverwaltungsgericht umso weniger verpflichtet, als das Beweisthema ("die Behauptung der Kläger, die Mutter der Klägerin zu 1) habe den ersten Inlandspass der Klägerin zu 1) besorgt", vgl. S. 298 der Gerichtsakte) auch die Modalitäten der Weiterleitung der Erklärung an die Passbehörde umfasste.
Eine Divergenz zu den beiden von der Beschwerde angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 10. September 2001 - BVerwG 5 B 17.01 - sowie Urteil vom 23. März 2000 - BVerwG 5 C 25.99 , a.a.O. -) liegt nicht vor, denn die Vorinstanz ist bei der Bewertung des Erklärungsverhaltens der Klägerin zu 1 nicht von einer Äußerung "im Vorfeld" der Erklärung ausgegangen, sondern hat die Unterschrift der Klägerin unter der von der Mutter ausgefüllten Forma Nr. 1 in Verbindung mit der Überlassung des Dokuments an die Mutter als Botin als maßgebliche Bekenntniserklärung angesehen und einen möglichen Willen der Klägerin, die Erklärung nicht mehr gelten zu lassen, mangels einer auf die Verhinderung der Übergabe der unterschriebenen Forma an die Passbehörde als unerheblich angesehen. Zu der Frage, ob und unter welchen Umständen eine an einen Boten übergebene Erklärung dem Erklärenden zugerechnet werden kann, verhalten die genannten Entscheidungen sich nicht.
Eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung ergibt sich schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des von der Klägerin zu 1 und den Klägern zu 3 und 4 hilfsweise gestellten Antrages auf Aufnahme als Vertriebene i.S. des § 1 Abs. 1 und 2 BVFG sowie § 7 BVFG a.F.; insoweit macht die Beschwerde geltend, für Abkömmlinge von Vertriebenen müsse auch weiterhin die alte Rechtslage vor In-Kraft-Treten des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes gelten, jedenfalls sei zur Gewährleistung ihres Aufnahmeanspruchs von Verfassungs wegen (Art. 3 Abs. 1, Art. 116 GG) eine analoge Anwendung der §§ 26 f. BVFG geboten. Die Prozessbevollmächtigen der Kläger sind bereits mehrfach in Beschlüssen des Senats darauf hingewiesen worden (vgl. z.B. Beschluss vom 26. Juni 2002 - BVerwG 5 B 19.02 -), dass die Frage nach der Anwendbarkeit des Bundesvertriebenengesetzes in seiner alten oder neuen Fassung bereits grundsätzlich geklärt ist (vgl. Urteil vom 29. August 1995 - BVerwG 9 C 391.94 - BVerwGE 99, 133 ff.); die von der Beschwerde angeführten Umstände begründen auch keinen weiterreichenden Vertrauensschutz im Sinne einer verfassungsrechtlichen Notwendigkeit einer Beibehaltung der bei Antragstellung oder im Ablehnungszeitpunkt bestehenden Rechtslage (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14. August 2002 - BVerwG 5 B 136.00 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 GKG.