Beschluss vom 19.02.2003 -
BVerwG 7 B 42.02ECLI:DE:BVerwG:2003:190203B7B42.02.0

Beschluss

BVerwG 7 B 42.02

  • VG Dresden - 08.11.2001 - AZ: VG 3 K 996/98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Februar 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
S a i l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
G ö d e l und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 8. November 2001 wird zurückgewiesen.
  2. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 3 tragen jeweils die Klägerin zu 1 52/480 und die Klägerin zu 2 106/480
  3. sowie die Klägerinnen als Gesamtschuldner 322/480. Die außergerichtlichen Kosten
  4. der anderen Beigeladenen tragen diese selbst.
  5. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 465 275,61 € festgesetzt.

Die Klägerinnen streben die Feststellung ihrer Berechtigung an, dass sie nach dem Vermögensgesetz (VermG) die Rückübertragung der Miteigentumsanteile an dem Grundstück W.-Straße 2 in D. beanspruchen können. Das Grundstück stand im Eigentum einer Bruchteilsgemeinschaft, deren ursprüngliche Mitglieder verstorben sind. Mit Erbschein vom 22. August 1989 stellte das Staatliche Notariat Dresden fest, dass gesetzlicher Erbe des verstorbenen Miteigentümers E. F. H. die DDR sei, nachdem die Erben die Erbschaft ausgeschlagen hatten. Zuvor hatte der Rat der Stadt Dresden am 13. Juli 1989 beschlossen, dass das Grundstück nach § 14 Abs. 1 des Baulandgesetzes mit Wirkung vom 1. August 1989 in Volkseigentum überführt wird. Die Klägerinnen machen geltend, dass der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG erfüllt sei; das Grundstück sei infolge seiner Überschuldung durch Erbausschlagung in Volkseigentum übergegangen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und dies unter anderem damit begründet, dass maßgeblich die Enteignung nach dem Baulandgesetz sei, die keinen Schädigungstatbestand im Sinne des § 1 VermG erfülle; die Revision hat es nicht zugelassen.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist nicht begründet. Weder liegt der in erster Linie geltend gemachte Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor (1), noch weicht das Urteil des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ab (2). Auch kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu (3).
1. Die Klägerinnen rügen als Verfahrensfehler einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Rüge hat keinen Erfolg:
a) Nach Auffassung der Klägerinnen ist das Verwaltungsgericht aktenwidrig von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen, da es nicht berücksichtigt habe, dass der Beschluss des Rates der Stadt Dresden das Eigentum an dem Grundstück nach § 14 Abs. 1 des Baulandgesetzes erst mit Wirkung vom 1. August 1989 entzogen habe. Zuvor sei aber am 25. Juli 1989 die letzte Erbausschlagung erfolgt. Hätte das Verwaltungsgericht die zeitlichen Abläufe erkannt, hätte es notwendigerweise den Schluss gezogen, dass die Enteignung nach dem Baulandgesetz rechtlich ins Leere gegangen sei, weil bereits durch Erbausschlagung Volkseigentum entstanden sei. Insoweit komme der Schädigungstatbestand des § 1 Abs. 2 VermG zur Anwendung.
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Diese Bestimmung verpflichtet das Gericht, seiner Entscheidung den ermittelten Sachverhalt vollständig und richtig zugrunde zu legen (stRspr, z.B. Beschluss vom 23. August 1995 - BVerwG 1 B 46.95 - Buchholz 451.20 § 33 a GewO Nr. 8 S. 3 f. m.w.N.). Hiergegen hat das Verwaltungsgericht nicht verstoßen. Im Tatbestand des Urteils hat es ausdrücklich erwähnt, dass das Grundstück mit Beschluss des Rates der Stadt Dresden "zum 1.8.1989 in Volkseigentum überführt" worden sei. Auch die Entscheidungsgründe bieten keine Anhaltspunkte dafür, dass die entsprechende Passage in dem Beschluss des Rates der Stadt Dresden übersehen worden ist. Die Ausführungen auf Seite 8 des Urteils des Verwaltungsgerichts sind dahin zu verstehen, dass die letzte Erbausschlagung erst erfolgt sei, als die Enteignung nach dem Baulandgesetz bereits wirksam gewesen und die zur Erbmasse gehörenden Anteile am Grundstück aus der Erbmasse ausgeschieden seien. Auf der Grundlage dieser Feststellung hat das Verwaltungsgericht nicht das Datum des 1. August 1989 ausgeblendet, sondern als nicht erheblich angesehen, weil nach seiner materiellrechtlichen Auffassung die bisherigen Miteigentümer bereits mit dem Beschluss vom 13. Juli 1989 aus ihrem Eigentum verdrängt worden seien. Es hat dabei, wie insbesondere der Hinweis auf die Wirksamkeit der Enteignung mit dem Beschluss vom 13. Juli 1989 zeigt, eine faktische Betrachtungsweise zugrunde gelegt (zum faktischen Enteignungsbegriff im Vermögensrecht vgl. z.B. Urteil vom 20. März 1997 - BVerwG 7 C 23.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 108 S. 328). Ob diese Auffassung des Verwaltungsgerichts zutreffend ist, ist für die Frage, ob der Vorinstanz ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, nicht maßgeblich. Für diese Beurteilung ist die materiellrechtliche Auffassung des Verwaltungsgerichts selbst dann zugrunde zu legen, wenn sie sich als unzutreffend erweisen sollte (stRspr, z.B. Urteil vom 4. November 1994 - BVerwG 8 C 28.93 - Buchholz 454.71 § 7 WoGG Nr. 1 S. 2).
b) Soweit die Klägerinnen beanstanden, das Verwaltungsgericht hätte anhand der Beweismittel nach dem Gesetz der Logik zu dem Schluss kommen müssen, dass zumindest die aus der Erbschaft des E. F. H. stammenden Miteigentumsanteile durch die Erbausschlagung und nicht durch die Enteignung in Volkseigentum überführt worden seien, greifen sie die materiellrechtliche Auffassung des Verwaltungsgerichts an, nach der der faktische Zugriff auf das Eigentum mit dem Beschluss über die Inanspruchnahme des Grundstücks abgeschlossen war. Sollte das Verwaltungsgericht - wie die Klägerinnen meinen - diese Auffassung unter Verstoß gegen die Denkgesetze gewonnen haben, läge darin ein materiellrechtlicher Mangel, aber kein Verfahrensfehler (Beschluss vom 10. Oktober 2001 - BVerwG 9 BN 2.01 - Buchholz 401.65 Nr. 7 S. 11 f.).
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist ebenfalls nicht gegeben. Nach Auffassung der Klägerinnen weicht das Urteil des Verwaltungsgerichts von dem in dem Urteil des Senats vom 27. Januar 1994 -BVerwG 7 C 3.93 und 8.93 - (BVerwGE 95, 106 <107>) aufgestellten Rechtssatz ab, dass mit der Ausschlagung des letztberufenen Erben der Staat kraft Gesetzes Erbe unmittelbar nach dem Erblasser werde. Einen hiervon abweichenden Rechtssatz hat das Verwaltungsgericht jedoch nicht aufgestellt. Ausgehend von seiner Annahme, dass die letzte Erbausschlagung erst zu einem Zeitpunkt erfolgt sei, als die Enteignung nach dem Baulandgesetz bereits wirksam gewesen sei, hat es vielmehr die Auffassung vertreten, dass "zwar der Erbanfall bei dem nach Ausschlagung jeweils nächstberufenen Erben stets auf den Anfallszeitpunkt zurück(wirke), jedoch ... wirksame Verfügungen oder auch Hoheitsakte über Teile der Erbmasse, die zwischen Anfall und Ausschlagung und einer letztlich rechtsbeständigen Feststellung der Erbberechtigung zugunsten oder zulasten der Erbmasse ... erfolgt sind, dadurch (nicht) wirkungslos" würden. Mit der Frage, wie sich eine zeitlich vor der letzten Ausschlagung bewirkte Enteignung eines Teils der Erbmasse auswirkt, hat sich der Senat in der genannten Entscheidung nicht befasst.
3. Die Klägerinnen sehen als rechtsgrundsätzlich bedeutsam die Frage an, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Überschuldung im Fall einer Enteignung nach dem Baulandgesetz der DDR § 1 Abs. 2 oder § 1 Abs. 3 VermG oder möglicherweise beide Schädigungstatbestände erfüllt. Diese Frage lässt sich anhand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten, ohne dass es zu ihrer Klärung der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
Die Klägerinnen weisen zutreffend auf die Rechtsprechung des Senats hin, dass eine Enteignung nach den Vorschriften des Baulandgesetzes die Anwendung des § 1 Abs. 2 VermG nicht von vornherein ausschließt (Beschluss vom 2. Juni 1995 - BVerwG 7 B 210.95 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 46). Voraussetzung für die Anwendung des § 1 Abs. 2 VermG ist allerdings, dass die Überschuldung die wesentliche Ursache dafür gewesen ist, dass das Grundstück durch einen der in § 1 Abs. 2 VermG genannten Vorgänge in Volkseigentum überführt worden ist (stRspr, z.B. Urteil vom 24. Juni 1993 - BVerwG 7 C 27.92 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 4 S. 8; Urteil vom 11. Februar 1999 - BVerwG 7 C 4.98 - BVerwGE 108, 281 <282>). Dementsprechend kommt es im Fall einer Enteignung nach dem Baulandgesetz darauf an, ob die Verwirklichung eines vom Baulandgesetz gedeckten Zwecks oder die Überschuldung des Grundstücks der wesentliche Grund für dessen Überführung in Volkseigentum war. Dass das Grundstück überschuldet war, führt danach noch nicht zur Anwendung des § 1 Abs. 2 VermG. Dessen Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn die Überschuldung des Grundstücks zwar zur Gesamtsituation beigetragen hat, aber für die Enteignung nicht wesentlich, sondern nur ein Begleitumstand war (vgl. Beschluss vom 1. September 1998 - BVerwG 7 B 167.98 - juris -). Der rechtliche Ansatz, von dem das Verwaltungsgericht ausgegangen ist, entspricht dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
Ebenso ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass eine Enteignung - hier: nach dem Baulandgesetz - nur dann die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 VermG erfüllt, wenn im Einzelfall in manipulativer, sittlich vorwerfbarer Weise unter Verstoß gegen die Rechtsordnung der DDR auf den Vermögenswert zugegriffen wurde (stRspr, vgl. z.B. Urteil vom 28. Oktober 1999 - BVerwG 7 C 38.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 6 S. 27 zu einer Enteignung nach dem Aufbaugesetz). Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigen die Klägerinnen nicht auf.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Aufteilung der von den Klägerinnen zu tragenden Kosten orientiert sich an den in der Vorinstanz gestellten Klageanträgen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.