Beschluss vom 19.05.2004 -
BVerwG 7 B 66.04ECLI:DE:BVerwG:2004:190504B7B66.04.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.05.2004 - 7 B 66.04 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:190504B7B66.04.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 66.04

  • Niedersächsisches OVG - 27.11.2003 - AZ: OVG 7 KS 563/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Mai 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und H e r b e r t
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. November 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.

Die Kläger wenden sich gegen die den Beigeladenen erteilte Dritte atomrechtliche Teilgenehmigung zum Betrieb der Pilot-Konditionierungsanlage (PKA) Gorleben (3. TG) vom 19. Dezember 2000. Die PKA dient der Einrichtung abgebrannter Brennelemente, die nicht wiederaufgearbeitet werden, für die Zwischenlagerung und Endlagerung. Gegenstand der 3. TG sind nach Maßgabe zahlreicher Nebenbestimmungen der bestimmungsgemäße Betrieb näher bezeichneter Funktionseinheiten, der Umgang mit Kernbrennstoffen, die Ableitung radioaktiver Stoffe auf dem Luftpfad, die Freigabe von Abfällen und Reststoffen, die Abwasserentsorgung sowie die Bestimmung der verantwortlichen Personen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage als
unzulässig abgewiesen, weil der rund 185 km von der PKA entfernt wohnende Kläger und die bei Genehmigungserteilung rund 500 km von der PKA entfernt wohnende Klägerin durch die genehmigten Strahlenexpositionen der Anlage oder sonstige ihr zuzurechnende Auswirkungen nicht in ihren Rechten betroffen werden könnten. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg.
1. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Verfahrensfehler zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die Kläger rügen als Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, dass das Verwaltungsgericht Verwaltungsakten über den Erörterungstermin nicht beigezogen habe. Die Rüge bleibt schon deshalb ohne Erfolg, weil die Kläger von der ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeit, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, keinen Gebrauch gemacht haben. Sie bemängeln, dass das Oberverwaltungsgericht die Vorlage dieser Akten, in die Einsicht zu nehmen sie mit Schriftsatz vom 28. März 2003 beantragt hätten, am 1. April 2003 zwar verfügt, aber in der Folgezeit nicht durchgesetzt habe. Hierzu hat der Senatsvorsitzende die Kläger in seinem Beschluss vom 6. November 2003 darauf hingewiesen, das Gericht gehe vorbehaltlich neuer Erkenntnisse in der mündlichen Verhandlung davon aus, dass der Beklagte alle die 3. TG betreffenden Akten vorgelegt habe; Gelegenheit zur Einsicht in die bereits vorgelegten Akten hätten die Kläger gehabt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht am 27. November 2003 ist die Prozessbevollmächtigte der Kläger laut Sitzungsprotokoll auf den Antrag auf Gewährung weiterer Akteneinsicht nicht mehr zurückgekommen. Wenn sie die Nichtbeiziehung der Akten für verfahrensfehlerhaft hielt, hätte sie in der mündlichen Verhandlung einen entsprechenden Antrag stellen oder deren Vertagung beantragen müssen, um in die Akten Einsicht nehmen zu können. Das Unterlassen solcher Anträge lässt sich durch eine entsprechende Verfahrensrüge in der Nichtzulassungsbeschwerde nicht wettmachen.
Soweit die Beschwerde einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör darin sieht, dass das Oberverwaltungsgericht die Möglichkeit einer Rechtsverletzung der Kläger mit Blick auf ihre weit entfernten Wohnorte verneint habe, ist die Rüge unbegründet, weil der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht durch eine korrekte Anwendung von Ver-
fahrensvorschriften verletzt wird. Ein Kläger, der geltend macht, durch den Betrieb eines Kernkraftwerks einem unzumutbaren Risiko ausgesetzt zu sein, muss nachvollziehbar vortragen, dass die Einhaltung der drittschützenden Dosisgrenzwerte, durch die die gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG gebotene Schadensvorsorge konkretisiert wird, im Normalbetrieb an einem für ihn bedeutsamen Standort nicht gewährleistet ist (Urteil vom 22. Dezember 1980 - BVerwG 7 C 84.78 - BVerwGE 61, 256 <268 f.>). Die Betriebsgenehmigung kann nicht mehr mit materiellrechtlichen Einwendungen bekämpft werden, die thematisch zum Regelungsgehalt einer früheren Teilerrichtungsgenehmigung gehören (Urteil vom 22. Januar 1997 - BVerwG 11 C 7.95 - BVerwGE 104, 36 <40>). Nach der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts liegt eine Überschreitung der Dosisgrenzwerte zu Lasten der Kläger nicht im Bereich des Möglichen, weil nach der bestandskräftigen 1. TG die nach § 45 Abs. 1 StrlSchV a.F. maßgeblichen Grenzwerte für den Normalbetrieb sowie die nach § 28 Abs. 3 StrlSchV a.F. maßgeblichen Grenzwerte für Störfälle schon an den ungünstigsten Einwirkungsstellen, von denen die Wohn- oder Aufenthaltsorte der Kläger rund 185 km bzw. rund 500 km entfernt seien, zu weniger als 10 % bzw. 5 % ausgeschöpft würden; die Abgaberaten nach der angefochtenen 3. TG lägen noch einmal deutlich unterhalb der durch die 1. TG genehmigten Werte, weil mit der 3. TG das ursprünglich vorgesehene Zerschneiden von Brennstäben zurückgestellt worden sei. Das Oberverwaltungsgericht hat weiter angenommen, dass der Einwand der Kläger, die Anlage sei nicht gegen Flugzeugabstürze oder terroristische Angriffe wie diejenigen vom 11. September 2001 ausgelegt, im Rahmen der Anfechtung der 3. TG ausgeschlossen sei, weil der Schutz gegen Einwirkungen Dritter i.S. des § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG bereits Gegenstand der bestandskräftigen 1. und 2. TG sei. Angesichts dessen verletzt die Abweisung der Klage als unzulässig die Kläger nicht in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör.
Mit ihrem Vorbringen zur angeblich fehlerhaften Erörterungsverhandlung machen die Kläger einen materiellrechtlichen Fehler gelten. Auf einen solchen Fehler kann die Verfahrensrüge nicht gestützt werden.
2. Die Revision ist nicht wegen der behaupteten Abweichung zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Nach Ansicht der Kläger weicht das angegriffene Urteil vom
Kalkar-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 49, 89) ab, weil ein "letztlich willkürlicher weil gewillkürter Entfernungsmaßstab" zur Abweisung der Klage als unzulässig geführt habe und nicht berücksichtigt worden sei, dass die Kläger in unmittelbarer Nachbarschaft zu der Anlage einen Zweitwohnsitz unterhielten. Die Rüge ist unzulässig, weil nicht dargelegt ist, dass das Oberverwaltungsgericht einen abstrakten Rechtssatz aufgestellt hat, der einem ebensolchen in der Divergenzentscheidung aufgestellten Rechtssatz widerspricht. Davon abgesehen schließt es die Kalkar-Entscheidung nicht aus, eine Klage gegen die Genehmigung einer Anlage i.S. des § 7 Abs. 1 AtG als unzulässig abzuweisen, wenn das Klagevorbringen ergibt, dass die Möglichkeit einer Verletzung des Klägers in seinen Rechten von vornherein ausgeschlossen ist. Auf das Vorbringen der Kläger zur Begründung eines Zweitwohnsitzes nach Erteilung der 3. TG brauchte das Verwaltungsgericht nicht einzugehen, weil für die gerichtliche Prüfung atomrechtlicher Genehmigungen grundsätzlich die Sachlage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung maßgebend ist (vgl. Beschluss vom 24. Juli 1998 - BVerwG 11 B 46.97 - Buchholz 451.171 § 7 AtG Nr. 7 m.w.N.) und die nachträgliche Begründung eines Wohnsitzes in der Nachbarschaft der Anlage eine Durchbrechung dieses Grundsatzes nicht rechtfertigt.
Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO); denn die Rüge ist unzulässig, weil das Beschwerdevorbringen sich darin erschöpft, die grundsätzliche Bedeutung zu behaupten, und es unterlässt, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Beschwerde begnügt sich mit Angriffen gegen die Richtigkeit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Erkenntnisse aus dem Terroranschlag vom 11. September 2001 im Rahmen der von den Klägern erhobenen Nichtigkeitsklage nicht zu berücksichtigen sind. Mit solchem Vorbringen lässt sich die Grundsatzrevision nicht erreichen. Daran führt die Berufung der Kläger auf ihr Recht auf Familie, auf ihren Anspruch auf Unterlassen staatlicher Vorbereitung eines Völkermords, auf Achtung ihrer Menschenwürde, ungestörte Religionsausübung und Unverletzlichkeit der Wohnung nicht vorbei.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG und § 5 ZPO.