Beschluss vom 19.06.2003 -
BVerwG 3 B 168.02ECLI:DE:BVerwG:2003:190603B3B168.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 19.06.2003 - 3 B 168.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:190603B3B168.02.0]

Beschluss

BVerwG 3 B 168.02

  • OVG Rheinland-Pfalz - 29.08.2002 - AZ: OVG 12 A 10773/02.OVG

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. Juni 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. D r i e h au s
sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht van S c h e w i c k und Dr. B r u n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. August 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO liegen nicht vor.
1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beigeladenen beigelegte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen bedürfen nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren, weil die darauf zu gebenden Antworten auf der Hand liegen und das Bestehen vermeintlicher Unklarheiten ganz überwiegend durch die Vorgabe offenkundig falscher Prämissen seitens der Beigeladenen suggeriert wird.
1.1 In erster Linie hält die Beigeladene die Frage für klärungsbedürftig, ob durch die über den Wortlaut eines Landesgesetzes hinausgehende gerichtliche Auslegung das Rechtsinstitut der Bestandskraft sowie das Rechtsinstitut der Rechtskraft durchbrochen werden darf. Mit dieser Fragestellung vermengt die Beschwerde zum einen die Frage der richtigen Auslegung des hier maßgeblichen landesrechtlichen Gebührengesetzes mit den Rechtsinstituten von Bestandskraft und Rechtskraft, obwohl beides ersichtlich nichts miteinander zu tun hat. Zum anderen liegt die von der Beschwerde angenommene Durchbrechung von Bestandskraft und Rechtskraft ohne Zweifel nicht vor. Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße hat den Gebührenbescheid des Beklagten vom 18. Dezember 1995, mit dem zunächst die Gebühren für die im November 1995 durchgeführten Fleischhygieneuntersuchungen festgesetzt worden waren, durch Urteil vom 11. Februar 1998 teilweise aufgehoben, weil in dem für seine Entscheidung maßgebenden Zeitpunkt keine Rechtsgrundlage für die Erhebung von Gebühren bestand, die über die gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Pauschalgebühren hinausgingen. Eine solche Entscheidung enthält keinerlei Aussage darüber, ob eine später geschaffene rückwirkend in Kraft gesetzte Rechtsnorm nachträglich eine Rechtsgrundlage für die Erhebung zusätzlicher Gebühren im Hinblick auf den alten Untersuchungstatbestand bilden kann und bildet. Die Rechtskraft einer Entscheidung hindert den Gesetzgeber nicht, die zunächst fehlende Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme eines Gebührenschuldners nachträglich zu schaffen. Ist dies geschehen, so haben Behörden und Gerichte auf der Basis der neuen Rechtslage neu zu entscheiden.
1.2. Fehl gehen auch die Ausführungen, die der Rechtssache im Hinblick auf ein gemeinschaftsrechtliches Rückwirkungsverbot grundsätzliche Bedeutung beilegen wollen. Alle diesbezüglichen Darlegungen, Verweise und Bezugnahmen kranken daran, dass sie unterstellen, die Beigeladene habe durch die verspätete Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinienvorgaben ein gesichertes Recht darauf erhalten, nicht mit höheren Gebühren als den gemeinschaftsrechtlichen Pauschalsätzen belastet zu werden. Bezeichnend ist insoweit die wiederholte Bezugnahme auf Textziffer 20 des Urteils des EUGH vom 29. Januar 1985 in der Rechtssache 234/83 (EUGHE 1985 S. 333, 341). Dort wird die Zulässigkeit einer rückwirkenden Anwendung gemeinschaftsrechtlicher Verordnungen erörtert. Vorliegend geht es dagegen um eine Richtlinie, die, wie der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 9. September 1999 - Rs C-374/97 - "Feyrer" unmissverständlich ausgesprochen hat, bei nicht rechtzeitiger Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber keine unbedingte Verpflichtung begründete, auf die sich der Einzelne vor den nationalen Gerichten berufen kann (Tz. 28). Die ständige Wiederholung, nach Ablauf der Umsetzungsfrist habe es sich um unmittelbar anwendbares Recht gehandelt, verschließt vor dieser Rechtsprechung die Augen.
Gegenüber der Ansicht, jedenfalls nach Außer-Kraft-Treten der Richtlinie habe der nationale Gesetzgeber von den darin vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten keinen Gebrauch mehr machen können, hat der erkennende Senat bereits im Urteil vom 18. Oktober 2001 - BVerwG 3 C 1.01 (Buchholz 316 § 60 VwVfG Nr. 6, S. 11 = NVwZ 2002, 486 <489> = DVBl 2002, 843 <848>) darauf hingewiesen, dass die jeweilige Fassung der Richtlinie nicht mit Wirkung ex tunc, sondern ex nunc außer Kraft getreten ist. Für den jeweiligen Geltungszeitraum behielt sie folglich ihre Geltung, so dass der nationale Gesetzgeber insoweit an der Wahrnehmung der in ihr vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten nicht gehindert war.
1.3. Soweit die Beschwerde verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Gültigkeit der hier maßgebenden landesrechtlichen Vorschriften daraus herleitet, dass diese sich eine Rückwirkungszeit von mehr als sieben Jahren beilegten, kann offen bleiben, ob diese Prämisse überhaupt stimmt. Vorliegend geht es jedenfalls nur um einen Zeitraum von drei Jahren zwischen der Verwirklichung des Gebührentatbestandes und der rückwirkenden In-Kraft-Setzung des Landesgesetzes.
Dass in dieser Zeit die Voraussetzungen vorlagen, unter denen das Bundesverfassungsgericht in Ansehung des rechtsstaatlichen Gebotes des Vertrauensschutzes eine Rückwirkung für zulässig erachtet, ist offensichtlich. Durch die Verschränkung von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht war eine unklare Rechtslage eingetreten, die durch wiederholte gravierende Änderungen des Gemeinschaftsrechts noch zusätzlich kompliziert wurde. Dabei konnte auch dem Rechtsunterworfenen nicht verborgen bleiben, dass jedenfalls unter der Geltung der Richtlinie 93/118/EG der Gesichtspunkt der kostendeckenden Gebühren gemeinschaftsrechtlich von großer Bedeutung war. Er musste daher davon ausgehen, dass der nationale Normgeber versuchen würde, seine Rechtsordnung dieser Vorgabe notfalls auch rückwirkend Geltung zu verschaffen, wenn die zunächst sich Geltung beimessenden Normen aus irgendeinem Grund für unwirksam erachtet wurden.
2. Fehl geht auch die Rüge, das angefochtene Urteil weiche vom Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233, 341/81 - BVerfGE 69, 315, 371 f. ab. Die Auffassung der Beschwerde, das Berufungsgericht habe die in dieser Entscheidung aufgezeigten Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten, indem es contra legem den Anwendungsbereich von § 7 Satz 2 AGFlHG ausgeweitet habe, ist unhaltbar. Der Satz "Die bestandskräftigen Gebührenbescheide bleiben wirksam." ist keineswegs seinem Wortlaut nach nicht auslegungsfähig. Die Aussage des Berufungsgerichts, zur Klärung der Frage, welche Bescheide hier gemeint seien, müsse der unmittelbar vorausgehende Satz in den Blick genommen werden, entspricht den allgemein anerkannten Auslegungsregeln, die insbesondere dem systematischen Zusammenhang einer Norm großes Gewicht beimessen. Darüber hinaus stützt sich das Berufungsgericht auf den Sinn und Zweck des Gesetzes sowie auf die Gesetzesmaterialien. Auf dieser Grundlage kommt es nicht zu einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs sondern zu einer einschränkenden Auslegung. Von einer Rechtsfortbildung contra legem kann daher keine Rede sein.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2, § 14 GKG.