Beschluss vom 02.07.2008 -
BVerwG 4 A 1025.06ECLI:DE:BVerwG:2008:020708B4A1025.06.0

Leitsätze:

Im Falle einer luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung (hier: Flughafen Berlin-Schönefeld) kann der Anspruch auf eine angemessene Entschädigung in Geld statt realer Schutzvorkehrungen nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG je nach Art und Intensität der Fluglärmimmissionen einen Anspruch auf Übernahme der betroffenen Grund-stücke zum Verkehrswert (gegen Übertragung des Eigentums) begründen.

Der Planfeststellungsbehörde steht bei der Stichtagsregelung für die Ermittlung des Verkehrswertes ein Gestaltungsspielraum zu, bei dessen Ausfüllung sie die schutzwürdigen Interessen der lärmbetroffenen Grundstückseigentümer und des Flughafenbetreibers in einen gerechten Ausgleich zu bringen hat.

Die Planfeststellungsbehörde darf im Planfeststellungsbeschluss festlegen, dass sich die Höhe der Entschädigung nach dem Verkehrswert des Grundstücks zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses bemisst (Bestätigung von Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 Flughafen Berlin-Schönefeld).

Beschluss

BVerwG 4 A 1025.06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Juli 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und Dr. Jannasch
beschlossen:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Kläger tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Klageverfahrens einschließlich der Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Kläger wenden sich gegen Regelungen, die der Planfeststellungsbeschluss (PFB) für den Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld vom 13. August 2004 für Entschädigungen bei der Übernahme eines Grundstücks im Entschädigungsgebiet „Übernahmeanspruch“ trifft.

2 Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Gemarkung Mahlow, Flur ..., Flurstück ... (K. Straße ..., 15831 Mahlow), auf dem sie wohnen. Die DLR-Analyse zur Fluglärmbelastung in der Umgebung des Flughafens Berlin-Schönefeld prognostiziert für das Grundstück der Kläger einen energieäquivalenten Dauerschallpegel von 71,6 dB(A) tags und 65,6 dB(A) nachts sowie eine Überschreitungshäufigkeit des Maximal-Schallpegels von 70 dB(A) während der Nacht von 29,3. Aufgrund dieser Lärmprognose liegt das Grundstück innerhalb des im Planfeststellungsbeschluss festgesetzten Entschädigungsgebietes „Übernahmeanspruch“ (vgl. Teil A II 5.1.6 i.V.m. Anlage 3 PFB). Unter Teil A II 5.1.6 Nr. 1 heißt es:
„Die Träger des Vorhabens haben auf Antrag des Eigentümers eines innerhalb des Entschädigungsgebietes Übernahmeanspruch gelegenen Grundstückes, das am 15.05.2000 mit Wohngebäuden bebaut oder bebaubar war, eine Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes gegen Übereignung des Grundstücks zu leisten. Der Verkehrswert des Grundstücks ist zum Stichtag der Geltendmachung des Anspruchs zu ermitteln.“

3 Die Kläger erhoben im Verwaltungsverfahren u.a. Einwendungen wegen der Wertminderung ihres Grundstücks und haben am 18. Oktober 2004 Klage erhoben. Am 16. November 2004 beantragten sie die Übernahme ihres Grundstücks.

4

5 Gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 13. August 2004 haben nahezu 4 000 Personen Klage erhoben, die in rund 60 Verfahren zusammengefasst waren. Der beschließende Senat hat von der ihm durch § 93a Abs. 1 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, vorab Musterverfahren durchzuführen und die übrigen Verfahren auszusetzen. Die Kläger, deren Klage nicht als Musterverfahren vorgesehen war, haben sich ebenso wie der Beklagte mit diesem prozessualen Vorgehen einverstanden erklärt. Das Verfahren der Kläger wurde gemäß § 93a Abs. 1 VwGO ausgesetzt.

5

6 Über die ausgewählten Musterklagen ist durch Urteile vom 16. März 2006 entschieden worden (vgl. BVerwG 4 A 1001.04 , 4 A 1073.04 , 4 A 1078.04 und das in BVerwGE 125, 116 abgedruckte Urteil in der Rechtssache BVerwG 4 A 1075.04 ). Die Anfechtungsklagen gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 13. August 2004 i.d.F. vom 21. Februar 2006 wurden abgewiesen; die hilfsweise erhobenen Anträge auf Planergänzung hatten, soweit es um besseren Lärmschutz ging, teilweise Erfolg. Nach Zustellung der Musterurteile hat das Gericht die Kläger darauf hingewiesen, dass ihr Verfahren fortzuführen sei, ggf. auch nach Maßgabe des § 93a Abs. 2 VwGO. Die Kläger haben ihre Klage in vollem Umfang aufrechterhalten. Sie sind der Ansicht, in ihrem Fall scheide eine Entscheidung im Beschlussverfahren nach Maßgabe des § 93a Abs. 2 VwGO aus. Sie machen im Wesentlichen geltend:

6 Ihnen stehe aus dem Rechtsgedanken des § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg i.V.m. dem Aufopferungsgewohnheitsrecht ein Anspruch auf angemessene Entschädigung gegen Übernahme ihres Wohngrundstücks durch die Vorhabenträger zu. Die Höhe der Entschädigung sei entgegen der Stichtagsregelung des Planfeststellungsbeschlusses nach dem Verkehrswert ihres Grundstücks zu einem Zeitpunkt vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses am 13. August 2004 zu bemessen und müsse die bereits vor diesem Zeitpunkt eingetretene erhebliche Wertminderung berücksichtigen, die ursächlich auf den geplanten Flughafenausbau zurückzuführen sei. Ihr Grundstück befinde sich unmittelbar außerhalb des Flughafenumgriffs im Zentrum der Einflugschneise der neuen Startbahn Süd. Aufgrund der Flughafennähe habe sich der Verkehrswert ihres Grundstücks zwischen dem Jahr 1996 und dem November des Jahres 2004 um 50 % bis 60 % gemindert. Darin liege eine situationsbedingte Sonderentwicklung, die ihren Fall von den Fällen, die durch die Musterurteile vom 16. März 2006 entschieden worden seien, in tatsächlicher Hinsicht wesentlich unterscheide. Ihr Grundstück werde nach Aufnahme des Flugbetriebs auf der neuen Südbahn in schwerer und unerträglicher Weise von Immissionen betroffen sein, so dass eine Wohnnutzung ausscheide. Ihr Anspruch auf angemessene Entschädigung lasse sich nicht unmittelbar auf § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg stützen. In seinem Musterurteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - (BVerwGE 125, 116 <Rn. 393 ff.>) habe das Bundesverwaltungsgericht zwar den Entschädigungsanspruch und die Entschädigungshöhe bei der Beeinträchtigung des Außenwohnbereichs aus § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg abgeleitet. Dabei habe es der Surrogatfunktion dieses Entschädigungsanspruchs im Verhältnis zum Primäranspruch in § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfGBbg maßgebliche Bedeutung beigemessen und die Stichtagsregelung des Planfeststellungsbeschlusses gebilligt. Danach sei die Höhe der Entschädigung im Entschädigungsgebiet „Außenwohnbereich“ nach dem Stichtag der Geltendmachung des Anspruchs zu bestimmen. Die für dieses Ergebnis ausschlaggebenden Erwägungen seien jedoch nicht auf die Entschädigungshöhe im Entschädigungsgebiet „Übernahmeanspruch“ übertragbar. Darin liege die rechtliche Besonderheit des vorliegenden Verfahrens.

7 Die Kläger beantragen,
den Beklagten unter Aufhebung von Ziff. II 5.1.6 Nr. 1 Teil A des Planfeststellungsbeschlusses des Beklagten vom 13. August 2004 zu verpflichten, die Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

8 Der Beklagte und die Beigeladenen beantragen Klageabweisung. Sie sind der Ansicht, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung im Verfahren nach § 93a Abs. 2 VwGO erfüllt sind, und treten dem Klagevorbringen entgegen.

9 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf das Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - (BVerwGE 125, 116 ff.) und das Protokoll der mündlichen Verhandlung in den Musterverfahren verwiesen.

II

10 Der Senat macht von der ihm durch § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch, über die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zu entscheiden. Die Beteiligten sind zu der gewählten Entscheidungsform angehört worden.

11

13 Die Klage muss erfolglos bleiben. Die Kläger können im Rahmen des ihnen vom Beklagten zuerkannten Übernahmeanspruchs nicht verlangen, dass der für die Ermittlung des Verkehrswerts ihres Wohngrundstücks maßgebliche Zeitpunkt entgegen der Stichtagsregelung des Beklagten vorverlegt wird.

12

14 Über den Antrag der Kläger ist der Sache nach bereits im Rahmen der Musterklagen durch die Urteile vom 16. März 2006 rechtskräftig entschieden worden. Im Verfahren BVerwG 4 A 1073.04 (juris) hatten zahlreiche Kläger u.a. den Antrag gestellt, ihnen jeweils eine Entschädigung in Höhe des Verkehrwertes gegen Übereignung des Grundstücks zu gewähren, wobei der Verkehrswert des Grundstücks zum Stichtag 31. Dezember 1996, hilfsweise zum Stichtag 15. Mai 2000, zu ermitteln ist. Im Verfahren BVerwG 4 A 1078.04 (juris) hatten die Kläger u.a. beantragt, dass der Verkehrswert des zu übernehmenden Grundstücks zum Qualitätsstichtag des Konsensbeschlusses vom 28. Mai 1996, hilfsweise der Stellung des Planfeststellungsantrags (17. Dezember 1999) zu ermitteln ist. Der Senat hat die Stichtagsregelung in Teil A II 5.1.6 Nr. 1 des Planfeststellungsbeschlusses nicht beanstandet und insoweit die vorbezeichneten Klageanträge in seinen Musterurteilen abgewiesen (vgl. Urteile vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1078.04 - UA Rn. 400 bis 408 und - BVerwG 4 A 1073.04 - UA Rn. 412 bis 419; gleichlautend Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 <Rn. 408 bis 415>). Der Bescheidungsantrag der Kläger zielt ebenfalls auf eine Vorverlegung des Stichtags für die Verkehrswertermittlung. Er ist aus den Gründen der Musterurteile zurückzuweisen.

13 Die Voraussetzungen für einen Beschluss nach § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO sind gegeben. Nach einstimmiger Auffassung des Senats ist der entscheidungserhebliche Sachverhalt im vorliegenden Verfahren geklärt. Das Grundstück der Kläger liegt in der Umgebung des geplanten Flughafens in dem durch den Planfeststellungsbeschluss festgesetzten Entschädigungsgebiet „Übernahmeanspruch“. Ferner ist der Senat einstimmig der Auffassung, dass die Sache gegenüber den Musterverfahren keine wesentlichen Besonderheiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Das gilt für die Grundlage des geltend gemachten Anspruchs (1.) wie für die Stichtagsregelung, nach der sich der Verkehrswert des Grundstücks und damit die Höhe der Entschädigung bestimmt (2.).

14 1. Der Beklagte hat das Grundstück der Kläger in Anwendung des § 9 Abs. 2 LuftVG i.V.m. § 74 Abs. 2 Satz 2 und 3 VwVfGBbg in das festgesetzte Entschädigungsgebiet „Übernahmeanspruch“ aufgenommen (PFB S. 664). Ausschlaggebend dafür war, dass der prognostizierte Fluglärm nach Inbetriebnahme des Flughafens Berlin-Schönefeld die verfassungsrechtliche Zumutbarkeitsgrenze überschreiten würde. Die Zumutbarkeitsgrenze hat der Beklagte für die Tagstunden der sechs verkehrsreichsten Monate im Jahr bei einem energieäquivalenten Dauerschallpegel von 70 dB(A) außen gezogen. Der Senat hat in seinem Musterurteil vom 16. März 2006 weder die Ableitung des Übernahmeanspruchs aus § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg noch die festgesetzte Zumutbarkeitsschwelle beanstandet (vgl. Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 <Rn. 374 ff., 409>). Der vorliegende Streitfall weist keine tatsächlichen oder rechtlichen Besonderheiten auf, die es rechtfertigen könnten, diesen Rechtsstandpunkt zu modifizieren oder zu ergänzen.

15 Nach § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfGBbg hat die Planfeststellungsbehörde den Trägern des Vorhabens Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind. Satz 3 dieser Vorschrift bestimmt, dass der Betroffene Anspruch auf angemessene Entschädigung in Geld hat, wenn solche Vorkehrungen oder Anlagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sind. Der Entschädigungsanspruch setzt voraus, dass (weitere) Schutzvorkehrungen nicht vorgenommen werden können, weil sich technisch-reale Maßnahmen als unzureichend oder angesichts der Höhe ihrer Kosten als unverhältnismäßig erweisen oder weil sich die Beeinträchtigungen durch geeignete Maßnahmen überhaupt nicht verhindern lassen. Der Entschädigungsanspruch ist ein Surrogat für nicht realisierbare Schutzmaßnahmen (vgl. auch Urteil vom 23. Februar 2005 - BVerwG 4 A 4.04 - BVerwGE 123, 37 <47> m.w.N.). Nach Ansicht des Beklagten scheiden Schutzvorkehrungen zugunsten der Kläger, welche die Lärmwirkungen auf ein zumutbares Maß beschränken könnten, von vornherein aus. Die Innenräume von Wohngebäuden im Entschädigungsgebiet „Übernahmeanspruch“ könnten durch entsprechende Schallschutzmaßnahmen zwar ausreichend geschützt werden, aber ein Wohnen bei ständig geschlossenen Fenstern und Türen sei unzumutbar; zum Wohnen gehöre auch eine angemessene Nutzung der Außenwohnanlagen (PFB S. 664). Der Beklagte geht damit zutreffend von der Untunlichkeit von Schutzvorkehrungen aus, weil es letztlich keine Vorkehrungen gibt, die den Klägern wirksamen und zumutbaren Fluglärmschutz bieten könnten.

16 Zu § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg vertritt der Beklagte die Ansicht, dass diese Vorschrift nicht nur eine Entschädigung für die Beeinträchtigung der Außenwohnbereiche, sondern je nach Art und Intensität der Fluglärmimmissionen auch einen Anspruch auf Übernahme betroffener Grundstücke zum Verkehrswert gegen Übertragung des Eigentums einschließe. Der Senat teilt diesen Rechtsstandpunkt (vgl. Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 <Rn. 374 ff., 409>). Die Auffassung der Kläger, der von ihnen geltend gemachte Entschädigungsanspruch falle nicht in den unmittelbaren Anwendungsbereich von § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg, er sei vielmehr aus dem Rechtsgedanken dieser Vorschrift i.V.m. dem Aufopferungsgewohnheitsrecht zu entwickeln, wird der rechtlichen Tragweite des Entschädigungsanspruchs aus § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg nicht gerecht. Die von den Klägern befürwortete restriktive Auslegung kann sich weder auf den Wortlaut noch auf den Ausgleichszweck der Norm stützen und widerspricht dem systematischen Zusammenhang zwischen den Sätzen 2 und 3 des § 73 Abs. 2 VwVfGBbg.

17 Die Vorschriften, die den in der Folge einer luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung auf einem Wohngrundstück hinzunehmenden Fluglärm regeln, sind Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2008 - 1 BvR 2722/06 - BA S. 25 - in dem Verfahren der Verfassungsbeschwerde gegen das Senatsurteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 - und den Planfeststellungsbeschluss vom 13. August 2004). Als solche müssen diese Vorschriften der verfassungsrechtlich garantierten Eigentumsstellung und dem Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung in gleicher Weise Rechnung tragen. Die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten sind dabei in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen (vgl. BVerfG a.a.O., S. 25 mit Hinweis auf BVerfGE 79, 174 <191 ff., 198> zum Straßenverkehrslärm). Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht die Einbeziehung von Übernahmeansprüchen bei unzumutbaren Fluglärmimmissionen in den Anwendungsbereich von § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg. Die Kläger bewegen sich im Anwendungsbereich dieser Norm, weil sie in Gestalt eines Übernahmeanspruchs einen Anspruch auf angemessene Entschädigung im Hinblick auf schlechthin unzumutbare Fluglärmimmissionen geltend machen, die durch Schutzvorkehrungen i.S.v. § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfGBbg nicht auf das verfassungsrechtlich zumutbare Maß abgesenkt werden können. Bei dieser Sach- und Rechtslage ist für einen Entschädigungsanspruch aus dem Rechtsgedanken des § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg i.V.m. dem Aufopferungsgewohnheitsrecht kein Raum.

18 2. Der den Klägern nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg eingeräumte Anspruch auf eine „angemessene Entschädigung“ bemisst sich nach der Höhe des Verkehrswertes ihres Grundstücks zum Stichtag der Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs (Teil A II 5.1.6 Nr. 1 des PFB). Der Senat hat diese Stichtagsregelung als rechtlich einwandfrei angesehen (Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 <Rn. 408 bis 415>). Die dagegen erhobenen Einwände der Kläger lassen keine tatsächlichen oder rechtlichen Besonderheiten erkennen, die ein anderes Ergebnis rechtfertigen könnten.

19 Die Kläger missverstehen die Entscheidungsgründe der Musterurteile, soweit sie darauf hinweisen, dass der Senat seine Ausführungen zur Stichtagsregelung (Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 <Rn. 408 ff.>) systematisch in den Kontext seiner Ausführungen zur Entschädigungshöhe bei der Beeinträchtigung des Außenwohnbereichs (a.a.O. Rn. 393 ff.) und zur Minderung der Grundstücksverkehrswerte (a.a.O. Rn. 400 ff.) gestellt und damit den Übernahmeanspruch aus dem unmittelbaren Anwendungsbereich von § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg herausgelöst habe. Die Ausführungen des Senats zum Zeitpunkt der Wertermittlung (a.a.O. Rn. 408 ff.) gelten für alle Entschädigungsleistungen, die der Planfeststellungsbeschluss den Trägern des Vorhabens auferlegt. Darunter fallen Entschädigungen für die Beeinträchtigung der Außenwohnbereiche (Teil A II 5.1.5 des PFB) und Entschädigungen in dem Fall, in dem die Kosten für passive Schallschutzeinrichtungen 30 % des Verkehrswertes von Grundstück und Gebäuden mit zu schützenden Räumen überschreiten (Teil A II 5.1.7 Nr. 2 des PFB), ebenso wie Entschädigungen in Gestalt eines Übernahmeanspruchs. Aus Rn. 409 des Musterurteils vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A1075.04 - (BVerwGE 125, 116) ergibt sich nichts anderes. Die von den Klägern angeführten Urteilsgründe zur Minderung der Grundstücksverkehrswerte (a.a.O. Rn. 400 ff., insbesondere Rn. 403 bis 407) beziehen sich auf die abwägungsfehlerfreie Bewältigung vorhabenbedingter Minderungen des Verkehrswertes in Fallkonstellationen, in denen ein finanzieller Ausgleich nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg nicht zwingend geboten ist (vgl. a.a.O. Rn. 404). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, da der Beklagte das Grundstück der Kläger gerade wegen unzumutbarer Lärmimmissionen auf der Grundlage von § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg in das festgesetzte Entschädigungsgebiet „Übernahmeanspruch“ aufgenommen hat.

20 Die Kläger machen unter Beweisantritt geltend, dass ein „sonderentwicklungsbedingter“ Rückgang des Bodenwertes ihres Grundstücks um mehr als 60 % zwischen dem Jahr 1996 und dem 16. November 2004 (dem Tag der Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs) zu einer Minderung des Verkehrswertes um 50 % (60 %) in diesem Zeitraum geführt habe. Diese extreme Belastung bedeute eine tatsächliche Besonderheit i.S.v. § 93a Abs. 2 VwGO, die eine Entscheidung im Beschlusswege unzulässig mache. Das trifft nicht zu.

21 In seinem Musterurteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - (BVerwGE 125, 116 <Rn. 408 bis 415>) hat der Senat den Einwand zahlreicher Musterkläger zurückgewiesen, der Beklagte hätte den Stichtag für die Ermittlung des Grundstücksverkehrswertes auf einen Zeitpunkt vor Geltendmachung des Übernahmeanspruchs festsetzen müssen. Der Senat hat eine derartige Vorverlegung als nicht gerechtfertigt angesehen und dies im Wesentlichen mit systematischen und teleologischen Erwägungen zur Schutzfunktion des § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg begründet. In diesem Zusammenhang hat er es auch abgelehnt, die Entschädigungsrechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den möglichen Vorwirkungen einer Enteignung auf den Anwendungsbereich des § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg zu übertragen (a.a.O. Rn. 411 bis 414). Daran ist auch im vorliegenden Fall festzuhalten.

22 Entgegen dem Klagevorbringen verletzt die vom Beklagten gewählte und vom Senat gebilligte Stichtagsregelung für die Verkehrswertermittlung die Kläger nicht in ihrem Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Zurückzuweisen ist zunächst die Kritik der Kläger, der Senat habe in seinem Urteil vom 16. März 2006 (a.a.O. Rn. 413, 414) zur Auslegung von § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg den Standpunkt vertreten, der Verkehrswert eines Übernahmegrundstücks sei zum Stichtag der Aufnahme des Betriebes des Flughafens zu ermitteln. Der Senat hat aus dem Regelungszweck (Surrogatfunktion) des Entschädigungsanspruchs aus § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg abgeleitet, dass als Stichtag für die Ermittlung des Verkehrswertes frühestens der Erlass des (nach § 10 Abs. 6 Satz 1 LuftVG sofort vollziehbaren) Planfeststellungsbeschlusses und spätestens der Zeitpunkt in Betracht komme, zu dem der Flughafen in seiner planfestgestellten Form in Betrieb genommen werde (vgl. a.a.O. Rn. 413 bis 415).

23 Danach steht der Planfeststellungsbehörde bei der Stichtagsregelung ein Ge-staltungsspielraum zu. Bei seiner Ausfüllung hat sie die schutzwürdigen Interessen der lärmbetroffenen Grundstückseigentümer und Anwohner einerseits und die der Vorhabenträger andererseits in einen gerechten Ausgleich und ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Das sind verfassungsrechtliche Vorgaben, welche die Planfeststellungsbehörde bei der Auslegung und Anwendung eigentumsbestimmender Normen (hier: § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg) nicht außer Acht lassen darf (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2008 - 1 BvR 2722/06 - mit Hinweis auf BVerfGE 53, 352 <357 f.>; 68, 361 <372>; Jarass in: Jarass/Pieroth <Hrsg.>, GG, 9. Aufl. 2007, Art. 14 Rn. 51). Die Stichtagsregelung des Beklagten genügt diesen Anforderungen. Sie knüpft nicht an die Inbetriebnahme des Flughafens an, sondern zugunsten der betroffenen Grundeigentümer an den Zeitpunkt der Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses. Die Betroffenen erleiden hierdurch keine Nachteile. Sie werden im Gegenteil begünstigt, da sie es in der Hand haben, für ihren Entschädigungsantrag den Zeitpunkt zu wählen, der ihnen unter Berücksichtigung der Verhältnisse auf dem Grundstücksmarkt günstig erscheint (Urteil vom 16. März 2006 - BVerwG 4 A 1075.04 - BVerwGE 125, 116 <Rn. 415>). Eine Vorverlegung des Stichtags in der von den Klägern geforderten Weise ist aus Gründen des Eigentumsschutzes (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) nicht geboten. Vor Abschluss des Planfeststellungsverfahrens lässt sich noch nicht sicher abschätzen, ob das Vorhaben überhaupt so wie geplant und mit allen Konsequenzen, die sich aus der planerischen Konzeption ergeben, in die Tat umgesetzt werden kann und soll (Urteil vom 16. März 2006 a.a.O. Rn. 414).

24 Dem Beweisantrag der Kläger, zu ihrer Behauptung einer 50%igen Minderung des Verkehrswertes des streitbefangenen Grundstücks zwischen 1996 und dem 16. November 2004 Beweis durch Einholung eines Verkehrswertgutachtens eines Sachverständigen einzuholen, kann nicht stattgegeben werden. Nach der aus den vorstehenden Gründen nicht zu beanstandenden Stichtagsregelung des Beklagten ist der Verkehrswert des Grundstücks (bzw. das Ausmaß der Verkehrswertminderung) vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses vom 13. August 2004 für die Höhe der nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfGBbg zu leistenden Entschädigung nicht maßgeblich. Tatsachen, die nach der materiellrechtlichen Auffassung des Tatrichters nicht entscheidungserheblich sind, bedürfen keines Sachverständigenbeweises.

25 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Beschluss vom 19.08.2008 -
BVerwG 4 A 1001.08ECLI:DE:BVerwG:2008:190808B4A1001.08.0

Beschluss

BVerwG 4 A 1001.08

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. August 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und Dr. Jannasch
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Kläger gegen den Beschluss des Senats vom 2. Juli 2008 - BVerwG 4 A 1025.06 - wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge bleibt ohne Erfolg. Das Gericht hat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör nicht verletzt.

2 1. Der Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist nicht dadurch verletzt worden, dass das Gericht über die Klage der Kläger durch Beschluss nach § 93a Abs. 2 VwGO, und nicht aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil entschieden hat. Ist über vom Gericht vorab durchgeführte Musterverfahren (vgl. § 93a Abs. 1 VwGO) rechtskräftig entschieden worden, kann das Gericht gemäß § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO nach Anhörung der Beteiligten über die ausgesetzten Verfahren durch Beschluss entscheiden, wenn es einstimmig der Auffassung ist, dass die Sachen gegenüber den rechtskräftig entschiedenen Musterverfahren keine wesentlichen Besonderheiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweisen und der Sachverhalt geklärt ist. Das Gericht hat den Klägern mit Schreiben vom 29. Juni 2006 die Gelegenheit eingeräumt, zu dieser Verfahrensweise Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 4. Juni 2008 hat der beschließende Senat den Klägern mitgeteilt, dass er beabsichtige, die Rechtssache nunmehr abschließend zur Entscheidung vorzubereiten, und auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 93a VwGO hingewiesen.

3 Mit dem Beschluss vom 2. Juli 2008 hat der Senat von der ihm in § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, weil er einstimmig der Auffassung war, dass der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist und die Sache gegenüber den Musterverfahren keine wesentlichen tatsächlichen oder rechtlichen Besonderheiten aufweist. Dies wird in den Rn. 14 bis 17 des Beschlusses hinsichtlich der Rechtsgrundlage des von den Klägern geltend gemachten Entschädigungsanspruchs und in Rn. 18 bis 24 hinsichtlich der von ihnen angegriffenen Stichtagsregelung im Einzelnen näher begründet. Dabei hat der Senat das Vorbringen der Kläger zur Kenntnis genommen und erwogen. Die von den Klägern gegen die eingeschlagene Verfahrensweise des Senats erhobenen Rügen beschränken sich auf den Vorwurf, der Senat habe zu Unrecht angenommen, dass ihr Fall gegenüber den entschiedenen Musterverfahren keine wesentlichen Besonderheiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweise und der Sachverhalt nicht geklärt sei. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wird aber nicht verletzt, wenn das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen eines Beteiligten nicht folgt, sondern aus Gründen des materiellen Rechts oder des Prozessrechts zu einem anderen Ergebnis gelangt, als die Beteiligten es für richtig halten.

4 2. Die Kläger sind in ihrem Anspruch auf Wahrung des rechtlichen Gehörs auch nicht deshalb verletzt, weil der erkennende Senat einen Beweisantrag der Kläger „übergangen“ hat. Der Senat hat den Beweisantrag in den Gründen seines Beschlusses vom 2. Juli 2008 inhaltlich wiedergegeben und dargelegt, dass er dem Antrag auf der Grundlage seiner materiellrechtlichen Auffassung mangels Entscheidungserheblichkeit nicht stattgegeben habe (Rn. 20, 24).

5 Der Senat war entgegen der Anhörungsrüge nicht gehalten, entsprechend § 86 Abs. 2 VwGO über den Beweisantrag der Kläger vorab durch Beschluss zu befinden. Vor einem Beschluss nach § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO bedarf es grundsätzlich keiner Vorabentscheidung über einen Beweisantrag. Das Gericht muss allerdings die Erheblichkeit einer Beweiserhebung vor der Entscheidung prüfen und in seiner Sachentscheidung nach § 93a Abs. 2 Satz 1 VwGO die Gründe darlegen, die es zum Verzicht auf die Erhebung des beantragten Beweises veranlasst haben. Das ist hier geschehen. Diese Verfahrensweise rechtfertigt sich aus der besonderen Zielsetzung des § 93a Abs. 1 und 2 VwGO. Die Vorschrift dient der Beschleunigung und Vereinfachung von gerichtlichen Massenverfahren. Er berechtigt das Gericht zur Auswahl eines oder mehrerer Musterverfahren und zur Entscheidung der übrigen (zunächst ausgesetzten) Verfahren unter Berücksichtigung der in den Musterverfahren gewonnenen Erkenntnisse unter vereinfachten Bedingungen. § 86 Abs. 2 VwGO regelt das Verfahren nach Stellung eines Beweisantrages für den Regelfall der mündlichen Verhandlung und ist nicht auf die Bewältigung von Massenverfahren im Beschlusswege zugeschnitten, denen aufgrund mündlicher Verhandlung rechtskräftig entschiedene Musterprozesse vorangegangen sind.

6 Im Übrigen hat der Senat die Kläger in seinem Schreiben vom 4. Juni 2008 auf seine Absicht, die Rechtssache nunmehr abschließend zur Entscheidung vorzubereiten, und (erneut) auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 93a VwGO hingewiesen. Die Kläger mussten deshalb damit rechnen, dass der Senat ohne die beantragte Beweiserhebung durch Beschluss zur Sache entscheiden werde. Ihnen blieb nach dieser Mitteilung ausreichend Zeit, sich in jeder Hinsicht auf diese Verfahrenssituation einzustellen, abschließend vorzutragen und ggf. neue Anträge - auch Beweisanträge - zu stellen. Das ist nicht geschehen.

7 3. Der Senat hat sich auch nicht „mit der Argumentation der Kläger in einem zentralen Punkt auf eine evident unsachliche und willkürliche Weise“ auseinander gesetzt und dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Der auf S. 17 der Anhörungsrüge erhobene Vorwurf, der Senat habe das „zentrale Argument“ der Kläger „verdreht“ wiedergegeben, trifft nicht zu. Der in Rn. 22 des Beschlusses vom 2. Juli 2008 (BA S. 11) zurückgewiesene Standpunkt der Kläger findet sich in deren Schriftsatz vom 15. August 2006 (S. 8). Entscheidungstragend für die Abweisung der Klage sind im Übrigen die in Rn. 19 und 23 des Beschlusses dargelegten Gründe, die sich ebenfalls mit dem Vortrag der Kläger auseinandersetzen. Soweit die Kläger diese Anhörungsrüge mit einer inhaltlichen Kritik an der Sachverhaltswürdigung und der Rechtsanwendung durch das Gericht verbinden, sind weitere Ausführungen nicht veranlasst.

8 4. Der Vorwurf, der beschließende Senat habe den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör „durch unfaire Verfahrensgestaltung“ verletzt, ist zurückzuweisen. Auf die vorstehenden Ausführungen (1. bis 3.) wird verwiesen. Ergänzend ist auszuführen:

9 Die Vorlage des von den Klägern angesprochenen Verkehrswertgutachtens betreffend das streitbefangene Grundstück durch die Beigeladene zu 1 war auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des beschließenden Senats nicht erforderlich, da die Höhe des Verkehrswerts dieses Grundstücks im Zeitpunkt des von den Klägern gestellten Übernahmeantrags vom November 2004 oder zu einem früheren Zeitpunkt nicht entscheidungserheblich war. Der Verkehrswert des Grundstücks zum maßgeblichen Zeitpunkt ist ggf. in einem Entschädigungsverfahren nach rechtskräftigem Abschluss des anhängigen Klageverfahrens zu bestimmen. Das stellen auch die Kläger nicht in Abrede (vgl. S. 3 ihres Schriftsatzes vom 20. Oktober 2006). Der Senat hat deshalb davon abgesehen, die Beigeladene zu 1 zur Vorlage dieses Verkehrswertgutachtens aufzufordern und mit einer Entscheidung in der Sache bis zur Vorlage des Gutachtens zuzuwarten. Er hat deshalb auch seine in einem frühen Verfahrensstadium (23. Oktober 2006, 6. Dezember 2006) auf Anregung der Kläger an die Beigeladene zu 1 gerichtete Anfrage, ob das Verkehrswertgutachten vorgelegt werden könne, nicht weiter verfolgt.

10 Die weitere Rüge, die Kläger hätten davon ausgehen müssen, dass die vom Senat getroffene Auswahl der Musterverfahren nicht willkürfrei gewesen sei, geht fehl. Das Gericht entscheidet nach Ermessen darüber, welche Verfahren es als Musterverfahren für geeignet hält. Die Auswahl muss nach sachlichen Kriterien erfolgen und hat sich daran zu orientieren, ob in den ausgewählten Verfahren voraussichtlich alle Rechtsfragen, die mit der behördlichen Maßnahme verbunden sind, geklärt werden können (vgl. auch Rudisile, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Januar 2000, Rn. 11 zu § 93a VwGO m.w.N.). Dem entspricht die vom Senat getroffene Auswahl.

11 Dem Prozessbevollmächtigten der Kläger ist mit Schreiben des Gerichts vom 28. April 2005 u.a. mitgeteilt worden, welche Gesichtspunkte den Senat bei der Auswahl der Musterverfahren geleitet haben. Hierzu gehörte der Gesichtspunkt, dass zur effektiven Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung angesichts der sehr umfangreichen und schwierigen Tatsachen- und Rechtsfragen, die der Rechtsstreit um den Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld vom 13. August 2004 aufgeworfen hat, eine Konzentration auf einige wenige Verfahren geboten war. Die Musterverfahren mussten gewährleisten, dass alle die Gesichtspunkte geprüft werden konnten, die für die - in nahezu allen Klagen - geltend gemachten Ansprüche auf Planaufhebung oder Planergänzung wesentlich waren. Der Senat hat deshalb nicht nur Verfahren ausgewählt, in denen Kläger beteiligt waren, die von dem planfestgestellten Ausbauvorhaben mit enteignungsrechtlicher Vorwirkung betroffen waren und deshalb eine umfassendere Klagebefugnis als lärmbetroffene Grundstückseigentümer besitzen, deren Grundstücke nicht für Zwecke des Ausbauvorhabens benötigt wurden. Für die Auswahl der Verfahren nicht enteignungsbetroffener Kläger war der Gesichtspunkt maßgeblich, nur über solche Verfahren mündlich zu verhandeln, in denen die Kläger das Lärmschutzkonzept des Beklagten und die planfestgestellten Entschädigungsregelungen umfassend angegriffen hatten. Dazu zählte das Verfahren der Kläger im Verfahren BVerwG 4 A 1025.06 (vormals BVerwG 4 A 1010.04 ) nicht. Die Befürchtung der Kläger, der Senat habe „bewusst“ solche Klagen als Musterverfahren ausgewählt, in denen Grundstücke streitbefangen gewesen seien, für die (nur) eine sonderentwicklungsbedingte Minderung des Verkehrswertes von (bis zu) 20 % zu beobachten gewesen sei, ist abwegig.

12 5. Soweit die Kläger mit ihrer Anhörungsrüge geltend machen, der Senatsbeschluss vom 2. Juli 2008 verletze ihr Grundrecht auf Eigentum (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) und den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG), rügen sie die fehlerhafte Anwendung von Normen des materiellen Verfassungsrechts, die nicht Gegenstand einer Anhörungsrüge nach § 152a VwGO sein kann.

13 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht.

Beschluss vom 19.08.2008 -
BVerwG 4 A 1025.06ECLI:DE:BVerwG:2008:190808B4A1025.06.0

Beschluss

BVerwG 4 A 1025.06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 19. August 2008
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und Dr. Jannasch
beschlossen:

  1. Der Tatbestand des Beschlusses vom 2. Juli 2008 wird dahin berichtigt, dass die Kläger ihre Zustimmung zu einer Anwendung von § 93a Abs. 1 Satz 1 VwGO, insbesondere auch zu einer Aussetzung des eigenen Verfahrens, nicht erklärt haben.
  2. Im Übrigen wird der Berichtigungsantrag abgelehnt.

Gründe

1 Der Tatbestand des Beschlusses vom 2. Juli 2008 ist gemäß § 122 Abs. 1, § 118 Abs. 1 VwGO dahin zu berichtigen, dass die Kläger sich nicht mit dem prozessualen Vorgehen des Gerichts nach § 93a Abs. 1 Satz 1 VwGO einverstanden erklärt haben. Die Kläger haben die durch das gerichtliche Schreiben vom 28. April 2005 eröffnete Gelegenheit, sich zur Ankündigung des beschließenden Senats, nach § 93a Abs. 1 Satz 1 VwGO vorzugehen und ihr Klageverfahren auszusetzen, schriftsätzlich zu äußern, nicht genutzt. Die Kläger, deren Klage nicht als Musterverfahren vorgesehen war, haben weder ihr Einverständnis mit dem Verfahren nach § 93a Abs. 1 Satz 1 VwGO erklärt, noch haben sie Einwendungen dagegen erhoben. Ihr Einverständnis mit der Bildung von Musterverfahren und der Aussetzung ihres Verfahrens war auch nicht erforderlich; eine Anhörungsmitteilung ist ausreichend (vgl. § 93a Abs. 1 Satz 2 VwGO).

2 Der Antrag der Kläger,
den Tatbestand des Beschlusses vom 2. Juli 2008 dahin zu berichtigen, im Rahmen der Prozessgeschichte zu berichten, dass die Kläger den förmlichen Antrag gestellt haben, über ihre Behauptung einer sonderentwicklungsbedingten Minderung des Verkehrswertes des streitbefangenen Grundstücks zwischen 1996 und dem 16. Novem-ber 2004 um 50 % durch Einholung eines Verkehrswertgutachtens eines Sachverständigen Beweis zu erheben,
ist abzulehnen. Der vorgenannte Beweisantrag wird in Rn. 20 und 24 des Beschlusses vom 2. Juli 2008 seinem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben. Der Hinweis der Kläger auf § 117 Abs. 3 VwGO geht fehl. Abgesehen davon, dass § 122 Abs. 1 VwGO für Beschlüsse nicht ausdrücklich auf § 117 VwGO verweist und das Gericht deshalb in der äußeren Gestaltung der Entscheidung durch Beschluss freier ist, verlangt weder § 117 Abs. 2 Nr. 4 noch § 117 Abs. 3 Satz 1 VwGO eine strikte äußere Trennung von Tatbestand und Entscheidungsgründen (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, Rn. 4, 12 zu § 117 VwGO m.w.N.) Das gilt auch für die Wiedergabe förmlicher Beweisanträge. Von der Beurkundungsfunktion des Tatbestands erfasst werden kann auch solcher Prozessstoff, der als solcher erkennbar in den Entscheidungsgründen wiedergegeben ist (vgl. Clausing, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: September 2007, Rn. 15 zu § 117 VwGO m.w.N.).

Beschluss vom 01.06.2011 -
BVerwG 4 A 1001.11ECLI:DE:BVerwG:2011:010611B4A1001.11.1

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.06.2011 - 4 A 1001.11 - [ECLI:DE:BVerwG:2011:010611B4A1001.11.1]

Beschluss

BVerwG 4 A 1001.11

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Juni 2011
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Jannasch
als Berichterstatter gemäß § 87a Abs. 1 und 3 VwGO
beschlossen:

  1. Das Verfahren wird eingestellt.
  2. Die Beigeladene zu 1 trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Kläger und der Beigeladenen zu 2 und 3.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Nachdem die Kläger, der Beklagte und die Beigeladene zu 1 den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Verfahrenskosten zu entscheiden. Eine Beweiserhebung - wie sie von den Klägern im Ausgangsverfahren beantragt worden war - oder eine sonstige weitere Ermittlung des Sachverhalts hat in diesem Stadium des Verfahrens zu unterbleiben.

2 Nach Aufhebung des Beschlusses des Senats vom 2. Juli 2008 - BVerwG 4 A 1025.06 (4 A 1010.04) durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Februar 2010 - 1 BvR 2736/08 - und Zurückverweisung der Sache haben die Beteiligten auf Anregung des Senats am 22. Dezember 2010 eine vertragliche Vereinbarung geschlossen. Mit diesem Vertrag haben die Kläger ihr im Entschädigungsgebiet „Übernahmeanspruch“ liegendes Grundstück an die Beigeladene zu 1 - die Betreiberin des Flughafens - veräußert. Dabei hat sich die Beigeladene zu 1 „im Vergleichswege“ verpflichtet, die Gerichtskosten des vorliegenden Verfahrens sowie die eigenen außergerichtlichen Kosten und die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu tragen. Die Kläger tragen nach dieser Vereinbarung die eigenen außergerichtlichen Kosten (VII 2.).

3 Es entspricht billigem Ermessen, die Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO in der Weise zu treffen, wie sie in VII 2. des Kaufvertrags vereinbart und dem Gericht mitgeteilt worden ist. Anhaltspunkte dafür, dass diese Aufteilung der Kosten unbillig wäre, vermag der Senat nicht zu erkennen.

4 Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG; sie entspricht der Festsetzung im Beschluss vom 2. Juli 2008.