Beschluss vom 20.01.2004 -
BVerwG 2 VR 3.03ECLI:DE:BVerwG:2004:200104B2VR3.03.0

Beschluss

BVerwG 2 VR 3.03

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Januar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. S i l b e r k u h l und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Prof. D a w i n und Dr. B a y e r
beschlossen:

  1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren untersagt, Oberst T. in die für den Dienstposten des Unterabteilungsleiters 46 vorgesehene Planstelle der Besoldungsgruppe B 3 einzuweisen.
  2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Anordnungsverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für dieses Verfahren auf 4 000 € festgesetzt.

I


Die Antragstellerin ist Leitende Regierungsdirektorin beim Bundesnachrichtendienst. Sie hat sich um den mit der Besoldungsgruppe B 3 bewerteten Dienstposten eines Unterabteilungsleiters beworben und gegen die Ablehnung ihrer Bewerbung nach erfolglosem Widerspruch Klage erhoben, über die noch nicht entschieden worden ist. Auf die Mitteilung der Antragsgegnerin, sie beabsichtige, den Bewerber Oberst T. in die Planstelle B 3 einzuweisen, beantragt die Antragstellerin den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt,
der Antragsgegnerin dies bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu untersagen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.

II


Für die Entscheidung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 123 Abs. 2 Satz 1 VwGO zuständig.
Dem Antrag ist stattzugeben. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO liegen vor. Die Antragstellerin hat hinreichend glaubhaft gemacht, dass die von der Antragsgegnerin beabsichtigte Maßnahme die Verwirklichung eigener Rechte vereiteln könnte (vgl. § 123 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).
Art. 33 Abs. 2 GG gewährt jedem Deutschen ein Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Ein Beförderungsbewerber kann dementsprechend beanspruchen, dass der Dienstherr über seine Bewerbung ermessens- und beurteilungsfehlerfrei entscheidet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. September 2002 - 2 BvR 857/02 - NVwZ 2003, 200 <201>; BVerwG, Urteile vom 2. März 2000 - BVerwG 2 C 7.99 - Buchholz 237.8 § 18 RhPLBG Nr. 1 S. 2 und vom 27. Februar 2003 - BVerwG 2 C 16.02 - ZBR 2003, 420). Dieser Bewerbungsverfahrensanspruch lässt sich nur mittels einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO sichern. Allein auf diese Weise kann ein abgelehnter Bewerber verhindern, dass durch die Ernennung des ausgewählten Konkurrenten vollendete Tatsachen geschaffen werden und sich der Streit um die Beförderungsauswahl erledigt (stRspr; zuletzt Urteil des Senats vom 21. August 2003 - BVerwG 2 C 14.02 - amtl. Umdruck S. 5 f. <zur Veröffentlichung in BVerwGE bestimmt> m.w.N.).
Ein bei der Beförderungsauswahl unterlegener Bewerber muss seinen Anspruch aus Art. 33 Abs. 2 GG durch vorläufigen Rechtsschutz wirksam sichern können. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert eine effektive gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 101, 106 <122 f.> m.w.N.; stRspr). Einstweiliger Rechtsschutz ist deswegen unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Bewerbungsverfahrensanspruchs zu gewähren (vgl. Urteil des Senats vom 21. August 2003 - BVerwG 2 C 14.02 - amtl. Umdruck S. 6). Ein abgelehnter Bewerber, dessen subjektives Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt worden ist, kann eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung zumindest dann beanspruchen, wenn seine Erfolgsaussichten bei einer erneuten Auswahl offen sind, seine Auswahl also möglich erscheint. Dieser Prüfungsmaßstab ist wie im Hauptsacheverfahren auch bei seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung anzulegen. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung dürfen ebenfalls nicht über das hinausgehen, was für ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren genügt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. September 2002, a.a.O.; Senat, Urteil vom 21. August 2003 - BVerwG 2 C 14.02 - amtl. Umdruck S. 6).
Das bei der Beförderung zu beachtende Gebot der Bestenauslese (Art. 33 Abs. 2 GG) fordert, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen (vgl. Urteil vom 18. Juli 2001 - BVerwG 2 C 41.00 - Buchholz 232.1 § 40 BLV Nr. 22, S. 4). Regelmäßig sind dies die - bezogen auf den Zeitpunkt der Auswahlentscheidung - aktuellsten dienstlichen Beurteilungen (vgl. Urteile vom 19. Dezember 2002 - BVerwG 2 C 31.01 - Buchholz 237.9 § 20 SaarLBG Nr. 1 S. 2, vom 27. Februar 2003, a.a.O. und vom 21. August 2003 - BVerwG 2 C 14.02 - amtl. Umdruck S. 9). Von diesen ist auch die Antragsgegnerin bei ihrer streitigen Auswahlentscheidung ausgegangen.
Im Streit über die Auswahl für ein Beförderungsamt hat das Gericht auch die der Auswahl zugrunde liegenden dienstlichen Beurteilungen zu überprüfen. Einwendungen gegen eine dienstliche Beurteilung, die als solche kein Verwaltungsakt und deshalb auch nicht der Bestandskraft fähig ist (stRspr; vgl. Urteile vom 9. November 1967 - BVerwG 2 C 107.64 - BVerwGE 28, 191 <192 f.> und vom 13. November 1975 - BVerwG 2 C 16.72 - BVerwGE 49, 351 <353 ff.>), können unmittelbar in einem Bewerbungsverfahren wie auch in einem anschließenden verwaltungsgerichtlichen "Konkurrentenstreit" geltend gemacht werden. Der Beamte braucht nicht den Ausgang des isolierten Streites um die Fehlerhaftigkeit einer dienstlichen Beurteilung abzuwarten (vgl. Urteil vom 18. April 2002 - BVerwG 2 C 19.01 - Buchholz 237.95 § 20 SHLBG Nr. 2 S. 2 f.).
Erweist sich eine dienstliche Beurteilung, die Grundlage eines Vergleichs zwischen den Bewerbern um ein Beförderungsamt ist, als fehlerhaft, hat das Gericht den Dienstherrn zur Neubescheidung zu verpflichten, wenn das Ergebnis des Auswahlverfahrens auf der fehlerhaften Grundlage beruhen kann. Dementsprechend ist die - mögliche - Fehlerhaftigkeit einer dienstlichen Beurteilung bereits im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu beachten, wenn sie Einfluss auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens haben kann (vgl. Urteil vom 18. April 2002, a.a.O. S. 3).
Eine dienstliche Beurteilung ist rechtsfehlerhaft, wenn der Dienstherr gegen seine Pflicht verstoßen hat, den Beamten gerecht, unvoreingenommen und möglichst objektiv zu beurteilen (stRspr; vgl. Urteil vom 23. April 1998 - BVerwG 2 C 16.97 - BVerwGE 106, 318 <319> m.w.N.). Ein solcher Verstoß wegen tatsächlicher Voreingenommenheit des Beurteilers liegt vor, wenn dieser nicht willens oder nicht in der Lage war, den Beamten sachlich und gerecht zu beurteilen (vgl. Urteil vom 23. April 1998, a.a.O. S. 321). Dies kann sich aus der Beurteilung selbst und aus dem Verhalten des Beurteilers in Angelegenheiten des Beurteilten oder diesem gegenüber während des Beurteilungszeitraums und des Beurteilungsverfahrens ergeben. Auch Vorgänge aus der Zeit vor dem jeweiligen Beurteilungszeitraum können die Feststellung einer tatsächlichen Voreingenommenheit stützen (vgl. Urteil vom 23. April 1998, a.a.O. S. 320). Im Fall der Antragstellerin bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der sie beurteilende Vorgesetzte ihr gegenüber voreingenommen gewesen sein kann. Das ergibt sich aus dem Untersuchungsbericht des Qualitätsbeauftragten und Inspekteurs vom 5. September 2001, der im Auftrag der Behördenleitung die Frage der Voreingenommenheit des Beurteilers der Antragstellerin geprüft und dabei die in der Rechtsprechung des beschließenden Senats (Urteil vom 23. April 1998, a.a.O.) entwickelten Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Ob der die Klägerin beurteilende Vorgesetzte tatsächlich voreingenommen war, kann der Senat ohne weitere Sachaufklärung nicht abschließend entscheiden. Gleiches gilt für die Frage, ob und inwieweit eine festzustellende Voreingenommenheit die dienstliche Beurteilung beeinflusst haben kann und für die weitere Frage, welche Bedeutung eine Fehlerhaftigkeit der Beurteilung für die streitige Auswahlentscheidung gehabt haben kann. Die erforderliche Sachaufklärung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Da sich derzeit aber jedenfalls nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt, dass die dienstliche Beurteilung der Antragstellerin wegen tatsächlicher Voreingenommenheit des Beurteilers fehlerhaft ist und sich dies auf die streitige Auswahlentscheidung im Ergebnis ausgewirkt haben kann, muss die begehrte einstweilige Anordnung erlassen werden, um den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin zu sichern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.