Beschluss vom 20.02.2003 -
BVerwG 1 B 137.02ECLI:DE:BVerwG:2003:200203B1B137.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 20.02.2003 - 1 B 137.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:200203B1B137.02.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 137.02

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 19.02.2002 - AZ: OVG A 3 S 673/98

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 20. Februar 2003
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r , den Richter am Bundes-
verwaltungsgericht R i c h t e r und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht B e c k
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde der Kläger zu 1 und 3 wird der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 19. Februar 2002, soweit es das Begehren der Kläger zu 1 und 3 auf Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG betrifft, einschließlich der hierauf bezogenen Kostenentscheidung aufgehoben. Insoweit wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  2. Im Übrigen wird die Beschwerde der Kläger zurückgewiesen.
  3. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Kläger zu 1 und 3 fünf Zwölftel und die Kläger zu 2 und 4 die Hälfte. Im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Die Entscheidung über die restlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die Beschwerde ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.
Die Beschwerde beanstandet zunächst, das Berufungsgericht habe das Vorbringen der Kläger, sie seien aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Ashkali im Kosovo gefährdet, zwar zur Kenntnis genommen, bei seiner Entscheidung aber nicht hinreichend erwogen und dadurch das Recht der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Die Beschwerde bezieht sich in diesem Zusammenhang offenbar darauf, dass das Berufungsgericht bei der Prüfung, ob den Klägern bei einer Rückkehr individuelle Gefahren gemäß § 53 Abs. 6 AuslG drohen, nicht hinreichend auf das Verfolgungsschicksal von Familienangehörigen der Kläger eingegangen sei. Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Kläger zur Verfolgung von Familienangehörigen im Tatbestand seiner Entscheidung wiedergegeben (BA S. 4). In den Gründen seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht erkennbar angenommen, dass es sich bei den Gefahren, die mit der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Ashkali zusammenhingen, nicht um individuelle, sondern um allgemeine Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 AuslG handele (BA S. 15). Unter diesen Umständen fehlen, wie es für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erforderlich wäre, deutliche Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsgericht das fragliche Vorbringen der Kläger bei seiner Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt hat.
Die weiteren Rügen der Beschwerde beziehen sich nur auf den Anspruch der Kläger zu 1 und 3 auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG wegen etwaiger krankheitsbedingter Gefahren im Falle einer Rückkehr in den Kosovo. Die hierzu unter III. und V. der Beschwerdebegründung erhobenen Gehörsrügen sind begründet. Die Beschwerde kritisiert insoweit zu Recht, das Berufungsgericht habe bei seiner Entscheidung hinsichtlich der Erkrankungen der Kläger zu 1 und 3 entscheidungserheblich auf tatsächliche Gegebenheiten abgestellt, die sich nicht aus den Akten bzw. dem Vorbringen der Beteiligten ergeben hätten und zu denen die Kläger sich nicht hätten äußern können. Dies gilt zum einen im Hinblick auf die Ausführungen in der Berufungsentscheidung, es dürfte den Klägern keine Schwierigkeiten bereiten, einen größeren Medikamentenbestand aus Deutschland in den Kosovo mitzunehmen, um damit zeitweilige Versorgungsengpässe zu überbrücken (vgl. BA S. 13). Zum anderen gilt dies für die Passage in der Berufungsentscheidung, den Klägern zu 1 und 3 sei, falls sie im Kosovo als Ashkali in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sein sollten, eine gewisse Vorratshaltung der Medikamente zuzumuten (BA S. 13 und 16). Diese Erwägungen waren entscheidungserheblich, weil das Berufungsgericht ausdrücklich davon ausgegangen ist, dass es ohne medikamentöse Behandlung zu einer Verschlimmerung der Erkrankung kommen würde und dass es Engpässe bei der Medikamentenversorgung im Kosovo gibt. Die den zugrunde liegenden tatsächlichen Annahmen des Berufungsgerichts waren nach Aktenlage zuvor nicht Gegenstand des Klage- bzw. Berufungsverfahrens. Die Kläger konnten und mussten nach Lage der Dinge ohne einen entsprechenden Hinweis des Gerichts nicht damit rechnen, dass es auf diese Gesichtspunkte ankommen könnte. Sie hatten deshalb keine Gelegenheit, sich hierzu bereits im Berufungsverfahren zu äußern und die jetzt in der Beschwerdebegründung angeführten Einwände - die fehlenden finanziellen Mittel der Kläger zum Erwerb eines Medikamentenvorrats und die Unzulässigkeit von ärztlichen Verordnungen auf Vorrat - vorzutragen. Es lässt sich nicht ausschließen, dass dieses Vorbringen das Berufungsgericht zu einer anderen Entscheidung oder zumindest zu weiterer Aufklärung veranlasst hätte. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht insoweit auf dieser Gehörsverletzung (§ 138 Nr. 3 VwGO). Auf die weiter erhobenen Verfahrensrügen unter II. und IV. der Beschwerdebegründung kommt es deshalb nicht mehr entscheidend an. Sie hätten allerdings voraussichtlich keinen Erfolg gehabt.
Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO).
Soweit die Beschwerde zurückgewiesen wird, tragen die Kläger zu den aus dem Tenor ersichtlichen Anteilen gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG. Im Übrigen - hinsichtlich der noch offenen Entscheidung über den Anspruch der Kläger zu 1 und 3 auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG, auf den ein Zwölftel der Kosten des Beschwerdeverfahrens entfällt - folgt die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.