Beschluss vom 21.01.2005 -
BVerwG 4 B 1.05ECLI:DE:BVerwG:2005:210105B4B1.05.0

Beschluss

BVerwG 4 B 1.05

  • OVG Rheinland-Pfalz - 14.09.2004 - AZ: OVG 6 A 10530/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Januar 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. P a e t o w ,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. R o j a h n und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. P h i l i p p
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 14. September 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 653 € festgesetzt.

Die auf die § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen sind unzulässig. Sie genügen nicht den sich aus § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ergebenden Begründungsanforderungen.
a) Die Beschwerde rügt zunächst, dass das Oberverwaltungsgericht gegen den
Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen habe, indem es ohne Beweiserhebung unterstellt habe, die nach seiner Ansicht unzutreffende Stichtagsregelung sei auf die Höhe des Anfangswertes nicht ohne Auswirkung geblieben.
Zur Begründung einer Aufklärungsrüge muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328, stRspr). Die Beschwerde enthält zu diesen Fragen keine Ausführungen. Sie legt insbesondere nicht dar, welche tatsächlichen Umstände das Oberverwaltungsgericht hinsichtlich der Auswirkungen des Stichtags für die Zustandsbestimmung auf den Anfangswert hätte aufklären sollen.
Die Beschwerde rügt darüber hinaus, dass das Oberverwaltungsgericht die Beklagte nicht darauf hingewiesen habe, bezüglich der Auswirkungen der Stichtagsregelung auf den Anfangswert ergänzend vorzutragen. Sinngemäß macht sie damit geltend, dass die Entscheidung ein unzulässiges Überraschungsurteil darstelle und insoweit das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt sei. Ein
Überraschungsurteil liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Dezember 1991 - BVerwG 5 B 80.91 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 241). Einen solchen Sachverhalt hat die Beschwerde nicht dargelegt.
Das Oberverwaltungsgericht hat den im Wertgutachten vom 29. April 1997 zugrunde gelegten Stichtag für die Bestimmung des Zustandes des Grundstücks beanstandet. Dass die Beteiligten dadurch überrascht worden seien, hat die Beschwerde selbst nicht geltend gemacht. Die Frage, ob der nach Auffassung des Gerichts fehlerhafte Stichtag für die Zustandsbestimmung auf den Anfangswert und damit auf die Höhe des Ausgleichsbetrages durchschlägt, musste sich jedenfalls einem rechtskundigen Beteiligten auch ohne einen entsprechenden Hinweis aufdrängen.
b) Als weiteren Verfahrensmangel rügt die Beschwerde, dass das Oberverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung, den Vorauszahlungsbescheid der Beklagten nach § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO zu ändern und die Streitsache zur Ermittlung der Höhe der festzusetzenden Vorauszahlung auf den zu entrichtenden Ausgleichsbetrag an die Beklagte zurückzuverweisen, "Rechengrößen" offen gelassen habe, so dass es für die Beklagte zweifelhaft bleiben müsse, wie sie die Berechnung vorzunehmen habe. Insoweit macht die Beschwerde der Sache nach keinen Verfahrensmangel, sondern eine Verletzung materiellen Rechts geltend. Gemäß § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO kann das Gericht unter den dort genannten Voraussetzungen die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, dass die Behörden den Betrag aufgrund der Entscheidung errechnen kann. Der Behörde darf nur die Errechnung des Geldbetrags überlassen werden; welche tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse der Berechnung zugrunde zu legen sind, muss das Gericht bestimmen. Dass davon auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen ist, stellt die Beschwerde nicht in Frage. Welche rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse der Berechnung des Geldbetrags im konkreten Fall zugrunde zu legen sind, ergibt sich nicht aus § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO, sondern aus dem jeweils anwendbaren materiellen Recht. Wird mit der Beschwerde - wie hier - geltend gemacht, dass das Gericht tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse, die für die Neuberechnung des Geldbetrags hätten bestimmt werden müssen, übersehen habe, wird ein Fehler gerügt, der die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung betrifft und infolge dessen nur unter den Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO zur Zulassung der Revision führen kann.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
a) In Bezug auf ihr Vorbringen, dass das Oberverwaltungsgericht nicht alle für die Neuberechnung des Ausgleichsbetrags erforderlichen Rechengrößen vorgegeben habe, erhebt die Beschwerde auch eine Grundsatzrüge. Sie möchte geklärt wissen, ob eine solche Verfahrensweise des Oberverwaltungsgerichts statthaft sei. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung ist nur hinreichend bezeichnet, wenn eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts formuliert wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 -, a.a.O.). Daran fehlt es hier. Dass das Gericht der Behörde gemäß § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO nur die Berechnung des Geldbetrags, nicht aber die Bestimmung der zu berücksichtigenden tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse überlassen darf, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Einen darüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf.
b) Für klärungsbedürftig hält die Beschwerde weiter, ob sich Richtwertgrundstücke aus einer Richtwertzone innerhalb des Sanierungsgebiets grundsätzlich nicht als Vergleichsmaßstab im Wertermittlungsverfahren eignen. Bei dieser Frage handelt es sich nicht um eine Rechtsfrage des revisiblen Rechts. Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend und von der Beschwerde unbeanstandet davon ausgegangen, dass, wenn zur Ermittlung des Bodenanfangswertes mangels geeigneter Vergleichsgrundstücke Bodenrichtwerte herangezogen werden, diese Bodenrichtwerte nicht von sanierungsbedingten Umständen beeinflusst sein dürfen. Ob eine solche Beeinflussung vorliegt, hängt in erster Linie von den tatsächlichen Umständen ab, aufgrund derer die Bodenrichtwerte ermittelt wurden. Einen rechtlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde insoweit nicht auf. Das Oberverwaltungsgericht hat eine sanierungsbedingte Beeinflussung der von der Beklagten herangezogenen Bodenrichtwerte der Richtwertzone 69 im Zeitpunkt der Bodenrichtwertfestlegung bejaht (vgl. UA S. 25). Die Beschwerde bestreitet, dass auf die genannten Bodenrichtwerte auf Grund der Sanierung bodenwertverändernde Umstände eingewirkt hätten. Insoweit kritisiert sie die dem Tatsachengericht vorbehaltene Feststellung und Würdigung des Sachverhalts. Die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO lässt sich damit nicht erreichen.
c) Schließlich rechtfertigt auch die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob bei der Ermittlung der Bodenwertsteigerung fiktiv ermittelte Ausbaubeiträge für die Verbesserung des Ausbauzustandes von Erschließungsanlagen angesetzt werden dürfen, nicht die Zulassung der Revision. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 1997 - BVerwG 4 B 91.97 - NVwZ 1998, 172).
So liegt es hier.
Gemäß § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB hat der Eigentümer eines im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücks zur Finanzierung der Sanierung an die Gemeinde einen Ausgleichsbetrag in Geld zu entrichten, der der durch die Sanierung bedingten Erhöhung des Bodenwerts seines Grundstücks entspricht. Werden im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet Erschließungsanlagen im Sinne des § 127 Abs. 2 BauGB hergestellt, erweitert und verbessert, sind Vorschriften über die Erhebung von Beiträgen für diese Maßnahmen auf Grundstücke im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet nicht anzuwenden (§ 154 Abs. 1 Satz 2 BauGB). Ausgeschlossen ist im Sanierungsgebiet hiernach die Erhebung nicht nur von Erschließungsbeiträgen aufgrund der §§ 127 ff. BauGB, sondern auch von Ausbaubeiträgen aufgrund landesrechtlicher Vorschriften (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1983 - BVerwG 8 C 40.83 - BVerwGE 68, 130 <131 f.>). Der Zweck der gesetzlichen Regelung besteht darin, eine mögliche Doppelbelastung der Grundstückseigentümer mit Erschließungs- bzw. Ausbaubeiträgen einerseits und Ausgleichsbeträgen nach § 154 Abs. 1 Satz 1 BauGB andererseits zu vermeiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1983 - BVerwG 8 C 40.83 -, a.a.O. <134>; Urteil vom 28. April 1999 - BVerwG 8 C 7.98 - DVBl 1999, 1652 = Buchholz 406.11 § 154 BauGB Nr. 3). Der Gesetzgeber hat angenommen, dass der für den Eigentümer mit der Herstellung, Erweiterung oder Verbesserung von Erschließungsanlagen im Sanierungsgebiet verbundene Vorteil sich regelmäßig im Bodenwert niederschlägt und deswegen zu einer Erhöhung des Ausgleichsbetrags führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1999 - BVerwG 8 C 7.98 -, a.a.O.). Wie die durch die Herstellung, Erweiterung oder Verbesserung von Erschließungsanlagen bedingte Erhöhung des Bodenwertes zu ermitteln ist, wenn - wie hier - ein additives Bewertungsverfahren angewendet wird, schreibt das Gesetz nicht vor. Auch insoweit geht es - anders als bei Erschließungs- und Ausbaubeiträgen - jedoch nicht um die Erfassung und Umlegung konkreter Kosten, sondern um die Wertsteigerung durch die Sanierung (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1999 - BVerwG 8 C 7.98 -, a.a.O.).
Wegen dieses rechtlichen Unterschieds zwischen Ausgleichsbeträgen nach § 154 Abs. 1 BauGB einerseits und Erschließungs- und Ausbaubeiträgen andererseits dürfen fiktiv ermittelte Ausbaubeiträge jedenfalls nicht ohne weiteres zur Bemessung der durch den Ausbau der Erschließungsanlagen bedingten Bodenwertsteigerung angesetzt werden. Das schließt allerdings nicht aus, dass fiktive Ausbaubeiträge je nach den Umständen des Einzelfalls als Anhaltspunkte bei der Ermittlung einer sanierungsbedingten Bodenwerterhöhung mit herangezogen werden. Je nach Art und
Umfang des Erschließungsvorteils, der Höhe der Erschließungskosten im Verhältnis zum absoluten Grundstückswert (vgl. Kleiber/Simon/Weyers, Verkehrswertermittlung von Grundstücken, 4. Aufl. 2002, § 14 WertV Rn. 138) und den Gegebenheiten des Grundstücksmarktes kann die Annahme gerechtfertigt sein, dass ersparte Aufwendungen für Erschließungs- oder Ausbaubeiträge zu einer Wertsteigerung des Grundstücks in entsprechender Höhe führen (so im Ergebnis Kleiber, in: Ernst/Zinkahn/ Bielenberg, BauGB, § 28 WertV Rn. 46). Insoweit müssen jedoch die tatsächlichen Umstände, die den Rückschluss von fiktiven Ausbaubeiträgen auf entsprechende Bodenwerterhöhungen tragen sollen, konkret und nachvollziehbar dargelegt werden. Das Oberverwaltungsgericht hat derartige Umstände nicht festgestellt. Sie werden auch in der Beschwerde nicht aufgezeigt. Die Beschwerde behauptet zwar, die fiktive Berechnung der Beklagten, bei der Abschläge vorgenommen worden seien, diene dazu, konkrete Anhaltspunkte für sanierungsbedingte Wertsteigerungen zu ermitteln; allein schon die Abschläge zeigten, dass nicht einfach ein Erschließungsaufwand umgelegt worden sei. Das Oberverwaltungsgericht hat Feststellungen zu etwaigen Abschlägen jedoch nicht getroffen. Zudem bleibt auch in der Beschwerde offen, wofür und in welcher Höhe Abschläge vorgenommen worden sein sollen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 und § 72 Nr. 1 GKG.