Beschluss vom 21.06.2005 -
BVerwG 7 B 136.04ECLI:DE:BVerwG:2005:210605B7B136.04.0

Beschluss

BVerwG 7 B 136.04

  • VG Berlin - 02.07.2004 - AZ: VG 25 A 142.99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Juni 2005
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht H e r b e r t und N e u m a n n
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 146 868 € festgesetzt.

I


Die Klägerin begehrt die vermögensrechtliche Rückübertragung eines Grundstücks in Berlin-Kaulsdorf. Das Grundstück stand seit 1917 im Eigentum des jüdischen
Fabrikanten Kurt B. Im Juli 1932 ordnete das Amtsgericht Berlin-Lichtenberg die Zwangsversteigerung des Grundstücks an. Im Zwangsversteigerungstermin vom 19. Oktober 1933 gab der Schwager des Eigentümers und Onkel der Klägerin Dr. Abraham W. das Meistgebot ab. Dr. W. war ebenfalls Jude. Er trat die Rechte aus dem Meistgebot am 31. Oktober 1933 an Herbert H. ab. Im Termin vom 2. November 1933 wurde das Grundstück Herbert H. zugeschlagen.
Die Klägerin ist neben anderen Miterben Mitglied sowohl der Erbengemeinschaft nach Kurt B. als auch der Erbengemeinschaft nach Dr. Abraham W. Sie beantragte im Oktober 1990 die vermögensrechtliche Rückübertragung des Grundstücks. Sie legte näher dar, die Zwangsversteigerung des Grundstücks habe auf einer rassisch bedingten Verfolgung des Eigentümers Kurt B. beruht. Die Klägerin machte ferner geltend, Dr. W habe durch das von ihm im Versteigerungstermin abgegebene Meistgebot ein Anwartschaftsrecht an dem Grundstück erworben. Dieses Anwartschaftsrecht habe er verfolgungsbedingt durch einen Zwangsverkauf verloren. Nach Ablehnung ihres Restitutionsantrags und nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin mit dem Antrag Klage erhoben, die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verpflichten, das streitige Grundstück an die Erbengemeinschaft nach Kurt B., hilfsweise an die Erbengemeinschaft nach Dr. Abraham W. zurückzuübertragen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage sowohl mit dem Hauptantrag als auch mit dem Hilfsantrag abgewiesen. Es hat angenommen, die Zwangsversteigerung des Grundstücks habe keinen verfolgungsbedingten Vermögensverlust im Sinne des § 1 Abs. 6 Satz 1 VermG dargestellt. Dr. W. habe durch die Abgabe des Meistgebots im Versteigerungstermin kein restitutionsfähiges dingliches Recht an dem Grundstück erworben.
Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II


Die Beschwerde ist unbegründet. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor.
1. Soweit das Verwaltungsgericht die Klage mit dem Hauptantrag abgewiesen hat, hält die Klägerin die Frage für klärungsbedürftig,
ob der Eigentumsverlust im Wege der Zwangsversteigerung dann der Vermutungswirkung des Art. 3 REAO unterfällt, wenn bei vom Verwaltungsgericht unterstellter Verfolgung des Betroffenen die Ersteigerung durch einen nahen Angehörigen erfolgte und es sich daher als zufällig darstellt, ob der Vermögensverlust durch Verkauf oder durch Versteigerung vonstatten ging.
Diese Frage rechtfertigte nicht die Zulassung der Revision, weil sie in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht beantwortet werden könnte, denn sie setzt einen Sachverhalt voraus, den das Verwaltungsgericht nicht festgestellt hat. Nach der Behauptung der Klägerin ist die Zwangsversteigerung des Grundstücks nicht wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Eigentümers Kurt B., sondern deshalb betrieben worden, um dem Schwager Dr. W. das Grundstück an Stelle eines Verkaufs zukommen zu lassen, weil Kurt B. das Grundstück aus Gründen seiner individuellen rassischen Verfolgung nicht mehr habe behalten wollen. Die Klägerin meint, unter diesen Voraussetzungen sei die Zwangsversteigerung für die Anwendung der Vermutungsregelung des Art. 3 Abs. 2 REAO einem Zwangsverkauf gleichzustellen. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts befand sich jedoch der Eigentümer Kurt B. seit der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre in einer wirtschaftlich bedrängten Lage und war finanziell nicht mehr im Stande, vergleichsweise geringfügige Forderungen zu begleichen oder hierfür andere akzeptable Sicherheiten als eine Belastung seines Grundstück zu stellen. Hieran anknüpfend hat das Verwaltungsgericht sich nicht mit hinreichender Gewissheit davon überzeugen können, dass andere Umstände als die Überschuldung des Grundstücks verbunden mit der nicht mehr ausreichenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Eigentümers Kurt B. zu der bereits im Juli 1932 angeordneten Zwangsversteigerung geführt haben. Das Verwaltungsgericht hat ausdrücklich nicht feststellen können, dass die Zwangsversteigerung des Grundstücks betrieben worden ist, um das Grundstück dem Zugriff der Nationalsozialisten zu entziehen und es auf diese Weise anstelle eines Verkaufs einem Verwandten zukommen zu lassen. Soweit die Klägerin in ihrer Grundsatzrüge zugleich diese Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts angreift, ergibt sich hieraus in der Sache kein Verfahrensfehler. Mithin wäre der Senat in dem angestrebten Revisionsverfahren an die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts gebunden, auf deren Grundlage sich die aufgeworfene Frage nicht stellt. Davon abgesehen ist diese Frage so sehr mit den behaupteten konkreten Umständen des Einzelfalles verknüpft, dass sich in dem Revisionsverfahren keine Antwort geben ließe, die über den Einzelfall hinaus auch für andere Fälle Bedeutung hätte.
2. Soweit das Verwaltungsgericht die Klage mit dem Hilfsantrag abgewiesen hat, hält die Klägerin die Frage für grundsätzlich bedeutsam,
ob das Meistgebot im Rahmen einer Zwangsversteigerung des Grundstücks eines nahen Angehörigen dann einem restitutionsfähigen Anwartschaftsrecht gleichsteht, wenn dieser nicht beabsichtigt, den Erwerb durch Begleichung der Schulden abzuwenden.
Diese Frage rechtfertigte die Zulassung der Revision nicht, weil sich die Antwort auf sie von selbst versteht und nicht erst in einem Revisionsverfahren gefunden werden muss. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass ein Anwartschaftsrecht (nur dann) vorliegt, wenn von einem mehraktigen Entstehungstatbestand eines Rechts schon so viele Erfordernisse erfüllt sind, dass von einer gesicherten Rechtsposition des Erwerbers gesprochen werden kann, die der andere an der Entstehung des Rechts Beteiligte nicht mehr durch eine einseitige Erklärung zu zerstören vermag (Urteil vom 11. Januar 2001 - BVerwG 7 C 10.00 - Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 53). Hieran anknüpfend hat das Verwaltungsgericht angenommen, ein solches Anwartschaftsrecht erwachse nicht demjenigen, der in einem Zwangsversteigerungstermin das höchste Gebot abgegeben habe. Zwar sei ihm der Zuschlag zu erteilen, der den Übergang des Eigentums auf ihn bewirke. Der Schuldner habe es jedoch noch in der Hand, durch Zahlung in letzter Minute legaler Weise die Versagung des Zuschlags herbeizuführen und damit den Eigentumserwerb des Meistbietenden zu verhindern. Diese Auffassung des Verwaltungsgerichts nimmt die Klägerin ausdrücklich als zutreffend hin. Von ihr ausgehend liegt aber auf der Hand, dass nicht ausnahmsweise ein Anwartschaftsrecht deshalb entstehen kann, weil der Schuldner nicht die Absicht hat, den Erwerb des Ersteigerers durch Begleichung der Schulden abzuwenden. Ob ein Anwartschaftsrecht entsteht, kann nur davon abhängen, ob die in Rede stehende Rechtsposition abstrakt gegen eine Zerstörung durch einseitige Erklärung eines anderen Beteiligten gesichert ist, nicht hingegen von der Motivationslage dieses anderen Beteiligten im konkreten Einzelfall. Denn von einer gesicherten Rechtsposition kann so lange keine Rede sein, als ihr Bestand von den im Einzelfall erfolgten Absichten des anderen Beteiligten abhängt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.