Beschluss vom 21.10.2004 -
BVerwG 7 B 98.04ECLI:DE:BVerwG:2004:211004B7B98.04.0

Beschluss

BVerwG 7 B 98.04

  • VG Berlin - 19.05.2004 - AZ: VG 25 A 386.99

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Oktober 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht S a i l e r
sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht K l e y und K r a u ß
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 19. Mai 2004 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen als Gesamtschuldner.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 81 356,76 € festgesetzt.

Die Klägerinnen beanspruchen die Rückübertragung eines Hausgrundstückes nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG). Das Verwaltungsgericht hat zwar festgestellt, dass sie Berechtigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG seien, weil das Grundstück von einer Maßnahme nach § 1 VermG betroffen gewesen sei; es hat die Klage jedoch, soweit sie auf die Rückübertragung des Grundstücks gerichtet ist, abgewiesen, weil der Beigeladene es nach § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG redlich erworben habe.
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil bleibt ohne Erfolg. Es sind weder die nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügten Verfahrensfehler erkennbar (1.), noch weist die Rechtssache die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (2.). Schließlich weicht die angegriffene Entscheidung auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der durch die Klägerinnen bezeichneten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab (3.).
1. Die Klägerinnen, die einen vor dem Verwaltungsgericht zunächst abgeschlossenen Vergleich widerrufen hatten, sehen sich durch das nachfolgende gerichtliche Verfahren in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) sowie in ihrem Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzt. Sie beanstanden, dass das Gericht durch den Einzelrichter entschieden habe, ohne die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen, obwohl sie ihr Einverständnis mit einer schriftlichen Entscheidung durch den Berichterstatter ebenfalls widerrufen hätten.
Die gerügten Verfahrensmängel liegen nicht vor. Da die Klägerinnen für den Fall, dass der widerruflich abgeschlossene Vergleich nicht zustande kommen sollte, ihr Einverständnis mit einer schriftlichen Entscheidung des Berichterstatters erklärt hatten, durfte das Verwaltungsgericht in der geschehenen Weise verfahren; denn die Erklärung war unanfechtbar (Beschluss vom 4. Februar 1987 - BVerwG 4 B 241.86 - Buchholz 310 § 101 VwGO Nr. 16) und - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt - grundsätzlich unwiderruflich (Beschluss vom 29. Dezember 1995 - BVerwG 9 B 199.95 - Buchholz a.a.O Nr. 21 m.w.N.). Zwar führt eine wesentliche Änderung der Prozesslage zu dem Verbrauch einer solchen Verzichtserklärung; das Verwaltungsgericht ist aber ebenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass der Widerruf des Vergleichs durch die Klägerinnen nicht als eine solche Änderung angesehen werden kann; denn nur für diesen Fall war die Einverständniserklärung überhaupt abgegeben worden.
Soweit die Klägerinnen ihren Anspruch auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung unabhängig davon daraus ableiten, dass aufgrund ihres weiteren Tatsachenvorbringens eine zusätzliche Sachverhaltsaufklärung und eine Beweisaufnahme erforderlich gewesen seien, genügt ihre Beschwerde nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Begründung einer solchen Verfahrensrüge. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (Urteil vom 3. Juli 1992 - BVerwG 8 C 58.90 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 248). Dieses Ermessen kann sich allerdings zu einer Wiedereröffnungspflicht verdichten, wenn sich die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen ergibt (Beschluss vom 20. Dezember 1998 - BVerwG 7 NB 3.88 - BVerwGE 81, 139 <143>): Ob der nachgereichte Schriftsatz der Klägerinnen unter Berücksichtigung der dem angegriffenen Urteil zugrunde liegenden materiellen Rechtsauffassung das Verwaltungsgericht zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung hätte veranlassen müssen, lässt sich anhand des Beschwerdevorbringens nicht beurteilen. Dieses erschöpft sich in einer Bezugnahme auf den Schriftsatz vom 15. April 2004 und in dem Vortrag, dass "unter konkreter Angabe von Gründen eine Aufklärungsrüge erhoben" worden sei sowie "weiterer Tatsachenvortrag gebracht" sowie "Beweisanträge gestellt" worden seien. Abgesehen davon, dass dieses Vorbringen schon für sich gesehen zu unsubstantiiert ist, um einen konkreten Aufklärungsmangel zu belegen, lässt es jegliche Auseinandersetzung mit den Gründen der angegriffenen Entscheidung vermissen. Eine Aufklärungsrüge setzt jedoch die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären. Deshalb genügt es nicht, auf nachgereichten Vortrag zu verweisen, ohne diesen in Beziehung zu den Ausführungen der angegriffenen Entscheidung zu setzen; denn nur so lässt sich ein Ermittlungsdefizit belegen.
2. Die Klägerinnen bezeichnen auch keine Rechtsfrage, die der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verleihen könnte. Die Frage, was unter "greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkten" zu verstehen ist, welche auf eine Unredlichkeit der Erwerber schließen lassen, ist einer generalisierenden, über den Fall hinausweisenden Antwort nicht zugänglich, sondern bestimmt sich nach den jeweiligen Einzelumständen. Die weitere in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage, ob jedes Indiz, welches auf eine Unredlichkeit hinweist, einzeln zu betrachten ist oder ob nicht im Rahmen einer Gesamtschau mehrere Indizien insgesamt dazu führen, dass der Erwerber seine Redlichkeit nachweisen muss, kann ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen. Abgesehen davon, dass sich diese Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde, weil das Verwaltungsgericht keine Indizien für eine Unredlichkeit der Erwerber hat erkennen können, liegt es auf der Hand, dass solche Indizien sowohl einzeln zu betrachten sind, als auch in einer Gesamtschau mit anderen dazu führen können, dass die Grundannahme der Redlichkeit erschüttert ist.
Die letzte von den Klägerinnen als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Rechtsfrage, was unter einer wesentlichen Änderung der Prozesslage zu verstehen sei, wäre in einem Revisionsverfahren nicht so generell zu beantworten, wie sie formuliert worden ist. Soweit sie sich stellen würde, kann auf das oben unter 1. Ausgeführte verwiesen werden. Daraus ergibt sich zugleich, dass eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht in Betracht kommt.
3. Soweit die Klägerinnen abschließend eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts rügen, fehlt es bereits an der ordnungsgemäßen Darlegung einer Divergenz. Die Klägerinnen stellen keine von einander abweichenden Rechtssätze der angegriffenen Entscheidung und des herangezogenen Urteils des Bundesverwaltungsgerichts gegenüber, vielmehr beanstanden sie, dass das Verwaltungsgericht die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze nicht hinreichend beachtet habe. Mit dem Hinweis auf solche vermeintlichen Rechtsanwendungsfehler wird aber eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargetan.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und § 72 Nr. 1 GKG.