Beschluss vom 22.05.2008 -
BVerwG 8 B 15.08ECLI:DE:BVerwG:2008:220508B8B15.08.0

Beschluss

BVerwG 8 B 15.08

  • VG Leipzig - 25.10.2007 - AZ: VG 3 K 1343/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Mai 2008
durch den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Pagenkopf,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Postier
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund mündlicher Verhandlung vom 25. Oktober 2007 ergangenen Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe liegen nicht vor.

2 1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt der Rechtssache nicht zu. Die insoweit von der Beschwerde sinngemäß aufgeworfene Frage,
ob die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Konsequenz haben soll, dass auch Enteignungsmaßnahmen solcher Vermögenswerte, von denen in der Besatzungszeit weder die sowjetische Besatzungsmacht noch die deutschen Vollzugsbehörden Kenntnis hatten, als besatzungshoheitlich gelten,
ist in der Rechtsprechung geklärt. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass der Enteignungsbegriff des Vermögensgesetzes vornehmlich in einem faktischen Sinn zu verstehen ist. Das entspricht dem Sinn des Gesetzes, demjenigen, der durch staatliche Unrechtsmaßnahmen sein Vermögen verloren hat, ein behördliches Verfahren an die Hand zu geben, mit dem das geschehene Unrecht wieder gutgemacht wird. Entscheidend ist hiernach, ob überhaupt und ggf. wann die Vermögensentziehung in der Rechtswirklichkeit greifbar zum Ausdruck kam und sich der frühere Eigentümer als vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt sehen musste (vgl. z.B. Urteile vom 28. Januar 1999 - BVerwG 7 C 10.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 1, m.w.N. und vom 29. Juni 2006 - BVerwG 7 C 18.05 - BVerwGE 126, 213 <217> = Buchholz 428 § 1 Abs. 7 VermG Nr. 17). Der „faktische“ Enteignungsbegriff führt dazu, dass eine Enteignung auch hinsichtlich nicht näher bezeichneter Vermögensgegenstände anzunehmen sein kann, wenn auf in Enteignungslisten ausdrücklich benannte Vermögenswerte bestimmter Personen zugegriffen wurde und besatzungshoheitliche Vorschriften vorsahen, dass die Enteignung auf das übrige, nicht in solchen Listen verzeichnete Vermögen dieser Personen erstreckt wurde (Urteil vom 29. Juni 2006 - BVerwG 7 C 18.05 - a.a.O. S. 219 m.w.N.).

3 Die Entziehung auch des privaten Vermögens der von Unternehmensenteignungen Betroffenen kam in der Rechtswirklichkeit greifbar mit der Verkündung der Richtlinien Nr. 3 der Deutschen Wirtschaftskommission vom 21. September 1948 (ZVOBl. S. 449; abgedr. als Dok. I Nr. 45 c in RVI Bd. 4) zum Ausdruck. Zu diesem Zeitpunkt mussten sich die Inhaber von enteigneten Unternehmen hinsichtlich ihres gesamten, auch des nicht betrieblich genutzten, Privatvermögens ohne weiteren Zugriffsakt der sowjetischen Besatzungsmacht oder deutscher Stellen als enteignet betrachten. Mit der Verkündung der Richtlinien ist die endgültige und vollständige Verdrängung auch aus dem Privateigentum in der Rechtswirklichkeit greifbar zum Ausdruck gekommen. Nach der insoweit eindeutigen Anordnung in § 1 Nr. 2 der Richtlinien Nr. 3 sollte auch das „Privatvermögen der Inhaber oder Gesellschafter von wirtschaftlichen Unternehmungen, soweit es durch den gegen das Betriebsvermögen gerichteten Enteignungsbeschluss mit erfasst wurde“, sonstiges Vermögen im Sinne der in diesen Richtlinien geregelten Anordnung sein. Mit dem Zugriff auf die in den Enteignungslisten ausdrücklich benannten Vermögenswerte war damit eine das gesamte Vermögen erfassende Enteignung greifbar zum Ausdruck gelangt. Deshalb musste sich auch jedermann, dem Vermögensgegenstände nach Maßgabe des Enteignungsbeschlusses im Sinne des § 1 der Richtlinien Nr. 3 weggenommen worden waren, hinsichtlich seines gesamten Privatvermögens als enteignet betrachten (stRspr, vgl. z.B. Urteil vom 25. Mai 2005 - BVerwG 8 C 7.04 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 31).

4 Damit kam es nicht mehr darauf an, ob die zu enteignenden Vermögenswerte ausdrücklich in den in § 1 der Richtlinien Nr. 3 genannten Enteignungsbeschlüssen aufgeführt waren oder nicht. Der Regelung in § 1 kam vielmehr nur noch eine individualisierende Funktion im Hinblick auf die zu enteignenden Personen zu; wegen dieser Individualisierung war jedoch in der Rechtswirklichkeit mit dem Zugriff auf die in den Enteignungslisten ausdrücklich benannten Vermögenswerte eine das gesamte Vermögen erfassende Enteignung greifbar zum Ausdruck gekommen. Das gilt auch, wenn es sich um bis dahin von der Besatzungsmacht oder den deutschen Vollzugsbehörden nicht erfasstes oder noch unentdecktes Vermögen handelt. Infolgedessen musste sich jedermann, dem Vermögensgegenstände nach Maßgabe des Enteignungsbeschlusses im Sinne von § 1 der Richtlinien Nr. 3 weggenommen worden waren, hinsichtlich seines gesamten Privatvermögens als enteignet betrachten. Die deutschen Behörden konnten nur auf das ihnen bekannte Grundvermögen zugreifen; daraus konnte der Betroffene aber nicht entnehmen, dass ein unentdeckt gebliebenes Grundstück nicht enteignet werden sollte (vgl. Urteil vom 27. Februar 1997 - BVerwG 7 C 42.96 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 106). Der auch vom faktischen Enteignungsbegriff geforderte tatsächliche Zugriff auf den betroffenen Vermögensgegenstand (vgl. Urteil vom 29. Juni 2006 - BVerwG 7 C 18.05 - a.a.O.) muss nur überhaupt stattgefunden haben. Das kann aber zu einem späteren Zeitpunkt gewesen sein.

5 Soweit die Beschwerde darüber hinaus die Frage aufwirft,
wie der vorliegende Wiederaufgreifenssachverhalt im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 2006 zu bewerten sei,
betrifft sie nur die Rechtsanwendung im Einzelfall und lässt eine grundsätzliche Bedeutung nicht erkennen.

6 Auch die Frage,
ob die faktische Enteignung vor Gründung der DDR eine besatzungshoheitliche Enteignung war,
betrifft nur den konkreten Einzelfall und ist einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.

7 Die weitere aufgeworfene Frage,
führt § 2 der Richtlinien Nr. 3, wonach sich die Enteignung der sonstigen Vermögen im Sinne des § 1 der Anordnung auf das gesamte Vermögen, das sich zum Zeitpunkt der Beschlussfassung durch die Landesregierung im Eigentum der durch den Enteignungsbeschluss Betroffenen befand, auch dann zu einer Enteignung des gesamten Vermögens eines Eigentümers mehrerer Grundstücke im Sinne des faktischen Enteignungsbegriffs des Vermögensgesetzes vor Gründung der DDR, wenn der Eigentümer bzw. sein Vertreter, etwa sein Verwalter, amtliche Mitteilungen und Erlöseingänge aus den Grundstücken noch nach Gründung der DDR erhalten hat, aus denen er entnehmen konnte, dass der Vermögenswert noch nicht tatsächlich enteignet war?
führt über die bereits oben dargelegte Klärung in der Rechtsprechung nicht hinaus. Der von der Enteignung Betroffene musste sich mit der Verkündung der Richtlinien Nr. 3 auch dann hinsichtlich seines gesamten Privatvermögens als enteignet betrachten, wenn einzelne Vermögenswerte noch nicht als dazugehörig erkannt und deshalb noch nicht als enteignet behandelt wurden.

8 Im Übrigen bestreitet auch die Beschwerde nicht, dass das angegriffene Urteil der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entspricht. Soweit sie meint, dass diese Rechtsprechung zumindest im vorliegenden Fall nicht zu sachgerechten Ergebnissen führt, ist damit ein Revisionszulassungsgrund nicht dargelegt, weil für eine Änderung der Rechtsprechung kein Anlass besteht..

9 Auch die Frage,
wann die Annahme gerechtfertigt ist, dass im Zusammenhang mit Firmenvermögen enteignetes Privatvermögen auf der Grundlage der Richtlinien Nr. 3 nachträglich wieder freigegeben worden ist,
ist in der Rechtsprechung geklärt (vgl. Urteil vom 10. August 2005 - BVerwG 8 C 18.04 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 32). Danach müssen besondere Umstände im Einzelfall vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass seitens der zuständigen Stellen das Privatvermögen nach Beschlagnahme und Enteignung freigegeben worden sei. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts bieten die vom Kläger vorgelegten neuen Beweismittel dafür keine Hinweise.

10 Die weiterhin von der Beschwerde aufgeworfenen Rechtsfragen,
1. ist das sowjetische Enteignungsverbot in Ziff. 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 schon dann und auch ohne jede (stichtagsgemäße) Sequestrierung für sämtliche Vermögenswerte eines Eigentümers nicht einschlägig, wenn auch nur ein Vermögenswert dieses Eigentümers vor Gründung der DDR enteignet wurde und damit im Sinne der Richtlinien Nr. 3 sein gesamtes sonstiges Vermögen als enteignet galt?
und
2. ist das sowjetische Enteignungsverbot in Ziff. 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 jedenfalls dann für keinen Vermögenswert des Eigentümers einschlägig, wenn zumindest einer von mehreren Vermögenswerten des Eigentümers, sei es auch nur ein Unternehmen vor dem 18. April 1948 gemäß SMAD-Befehl Nr. 124 sequestriert wurde? Führt die Sequestrierung eines einzigen, auch betrieblichen Vermögenswertes nach SMAD-Befehl Nr. 124 also auch über eine Vermutungswirkung aus der Richtlinien Nr. 3 zur rechtlichen Betrachtung einer „Mitsequestrierung“ sämtlicher, auch privater Vermögenswerte?
würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ergibt sich aus den von dem Kläger mit seinem Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens vorgelegten Unterlagen nicht, dass das Privatvermögen ausnahmsweise nicht durch den gegen das Betriebsvermögen gerichteten Enteignungsbeschluss miterfasst worden war.

11 2. Das angefochtene Urteil weicht auch nicht im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz vorliegt, mit dem die Vorinstanz einem in der bezeichneten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz, der sich auf dieselbe Rechtsvorschrift bezieht, widersprochen hat. Daran fehlt es hier. Das Verwaltungsgericht hat den ihr von der Beschwerde unterstellten Rechtssatz so nicht aufgestellt. Vielmehr hat es - in Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - darauf abgestellt, dass die Erfassung des Betriebsvermögens auch das streitgegenständliche Privatgrundstück umfasste und dass sich aus den vom Kläger mit seinem Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens vorgelegten Unterlagen nicht ergebe, dass das Privatvermögen ausnahmsweise nicht durch den gegen das Betriebsvermögen gerichteten Enteignungsbeschluss mit erfasst worden sei.

12 Der von der Beschwerde angeführten Entscheidung vom 13. Dezember 2006 - BVerwG 8 C 25.05 - (Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 34) lag insoweit ein anderer Sachverhalt zugrunde, als dort kein Betriebsvermögen beschlagnahmt worden war, und sich für das dort streitgegenständliche Grundstück eine Sequestrierung gemäß SMAD-Befehl Nr. 124 bis zum 18. April 1948 nicht feststellen ließ.

13 3. Die gerügten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.

14 Das Verwaltungsgericht hat nicht gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verstoßen. Schon nach den Ausführungen der Beschwerde war die Diskussion, ob das streitgegenständliche Privatgrundstück mit dem Betriebsvermögen beschlagnahmt worden war, Kernbestandteil der mündlichen Verhandlung. Das Gericht hat somit diesen Sachvortrag zur Kenntnis genommen und gewürdigt. In der Begründung hat es (UA S. 11) ausgeführt, dass die Grundstücke bereits über die Beschlagnahme und Enteignung des Betriebsvermögens miterfasst waren. Dass der Kläger zu dieser Frage eine andere Auffassung vertritt und sich mit dieser nicht durchsetzen konnte, bedeutet nicht, dass das Verwaltungsgericht gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verstoßen hat. Denn dieser Grundsatz verpflichtet nur, den Vortrag der Beteiligten zu berücksichtigen, d.h. zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidung in Erwägung zu ziehen (BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 1990 - 2 BvR 562/88 - BVerfGE 83, 24 <35>), nicht aber, ihm zu folgen.

15 Der gerügte Fehler der Annahme eines aktenwidrigen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht liegt nicht vor. Die von der Beschwerde insoweit benannte Aktennotiz vom 31. März 1947 bezieht sich ausschließlich auf das Grundstück H.straße 14 und enthält keinerlei Aussagen zu dem hier streitgegenständlichen Grundstück.

16 Auch die Rüge mangelhafter Sachaufklärung (§ 86 VwGO) greift nicht durch. Die Beschwerde legt nicht dar, welche sich auf das hier streitgegenständliche Grundstück beziehenden Unterlagen das Verwaltungsgericht hätte ermitteln und beiziehen sollen. Im Übrigen ist Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens die Ablehnung der Beklagten, das bestandskräftig abgeschlossene Verfahren gemäß § 51 VwVfG wiederaufzugreifen. Die Darlegung der zum Wiederaufgreifen erforderlichen Beweismittel obliegt dem Antragsteller.

17 Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 2. Halbs. VwGO abgesehen.

18 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 GKG.