Beschluss vom 22.10.2002 -
BVerwG 9 VR 13.02ECLI:DE:BVerwG:2002:221002B9VR13.02.0

Beschluss

BVerwG 9 VR 13.02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Oktober 2002
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts
H i e n und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
V a l l e n d a r und Prof. Dr. R u b e l
beschlossen:

  1. Der Antrag wird abgelehnt.
  2. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 60 000 € festgesetzt.

I


Die Antragstellerinnen wenden sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Antragsgegners vom 31. Mai 2002, der den Plan für den vierstreifigen Ausbau der B 96 in Brandenburg von der Anschlussstelle Rangsdorf des Berliner Autobahnrings (BAB 10) bis zur südlichen Landesgrenze Berlins im 1. Bauabschnitt (Bau-km 5+335,838 bis 8+026,231) u.a. einschließlich des Neubaus des Netzknotens B 96/B 96a - L 76 feststellt. Auf dem Gelände der früheren Grenzübergangsstelle Mahlow, das sich im Außenbereich parallel zur B 96 (alt) entlang deren südwestlichen Seite erstreckt, betreibt die Antragstellerin zu 1 einen Markt. Eigentümer der Grundstücke (Gemarkung Großziethen Flur 7 Flurstücke 160/3, 161/3 und 162), auf denen sich die Grenzübergangsstelle befand, ist nach ihren Angaben die Antragstellerin zu 2, die das Gelände langfristig an die Antragstellerin zu 1 verpachtet hat. Der Antragsgegner behauptet, dass die Antragstellerin zu 2 die Parzelle 160/3 ihrerseits lediglich gepachtet habe und dieser Pachtvertrag zum Jahresende gekündigt sei. Das Marktgelände soll teilweise für die Errichtung des Netzknotens B 96/B 96a - L 76 und sonstige Straßenbauwerke (Lärmschutzanlagen usw.), teilweise für im Landschaftspflegerischen Begleitplan vorgesehene Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen (Entsiegelungsflächen) in Anspruch genommen werden. Die Antragstellerinnen machen die Rechtswidrigkeit dieser Inanspruchnahme geltend und beantragen, die aufschiebende Wirkung ihrer im Verfahren BVerwG 9 A 38.02 gegen den
Planfeststellungsbeschluss gerichteten Anfechtungsklage anzu-
ordnen. Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt, ihn abzulehnen.

II


Der nach § 80 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 5 Satz 1 VwGO, § 5 Abs. 1 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes (VerkPBG) sowie § 17 Abs. 6 a Sätze 1 und 2 FStrG zulässige Antrag hat keinen Erfolg. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses, das Grundlage des in § 17 Abs. 6 a Satz 1 FStrG und § 5 Abs. 2 Satz 1 VerkPBG geregelten Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage ist, überwiegt das Interesse der Antragstellerinnen an der Beibehaltung des bisherigen Zustandes bis zur endgültigen Entscheidung über ihre Klage.
Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt sich, dass die Anfechtungsklage auf der Grundlage der von den Antragstellerinnen gegen die Planfeststellung erhobenen Rügen voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Unter diesen Umständen besteht kein hinreichender Anlass dafür, von der gesetzlich vorgesehenen Regel der sofortigen Vollziehbarkeit der Planfeststellung hier abzuweichen.
Die Antragstellerinnen stellen das Vorhaben unter dem Aspekt in Frage, dass sie beide in ihrem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb irreparabel getroffen seien. Die Antragstellerin zu 2 macht darüber hinaus geltend, dass in ihr Eigentumsrecht in unerträglicher Weise eingegriffen werde. Es bestehe zwar Akzeptanz für eine teilweise Inanspruchnahme im Hinblick auf das geplante Kreuzungsbauwerk. Soweit Flächen aber nicht bautechnisch unabdingbar benötigt, sondern für naturschutzrechtliche Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen in Anspruch genommen würden, sei der Eingriff auch unter Berücksichtigung zu erwartender Entschädigungszahlungen nicht hinnehmbar. Das einzig fehlerfreie Abwägungsergebnis hätte sein müssen, die Marktfläche im Wesentlichen zu verschonen und sie mit einer verkehrsmäßigen Anbindung zur B 96 (neu) zu versehen.
Diese Argumentation erscheint angesichts der im Planfeststellungsbeschluss angeführten Gegenargumente, die von den Antragstellerinnen nicht überzeugend widerlegt werden, nicht geeignet, einen Klageerfolg der Antragstellerinnen überwiegend wahrscheinlich zu machen.
Der Planfeststellungsbeschluss hat die nachteiligen Wirkungen, die das Vorhaben für die Antragstellerinnen zeitigt, in den Blick genommen, geht aber davon aus, dass die derzeitige Nutzung des Geländes formell rechtswidrig und materiell nicht genehmigungsfähig ist. Da eine sofortige Nutzungsuntersagung zulässig wäre, könnten die Antragstellerinnen keinen Bestandsschutz beanspruchen (PFB S. 158). Dieser rechtliche Ansatz der behördlichen Abwägungsentscheidung (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 FStrG) ist nicht zu beanstanden. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass Belange eines Betroffenen, die unter Missachtung der Rechtsordnung entstanden sind, im Rahmen der Abwägung zumindest dann als unbeachtlich eingestuft werden dürfen, wenn auch eine nachträgliche Legalisierung ausscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 - BVerwG 7 C 6.92 - BVerwGE 91, 92 <98 f.>; Urteil vom 25. Februar 1992 - BVerwG 1 C 7.90 - BVerwGE 90, 53 <56>).
Vorbehaltlich einer abschließenden Prüfung, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt, spricht viel dafür, dass dem Antragsgegner darin zu folgen ist, dass die Einrichtung des Marktes ein nach § 35 Abs. 2 BauGB bauplanungsrechtlich unzu-
lässiges Außenbereichsvorhaben darstellt. Im Einzelnen ist dazu Folgendes zu bemerken:
Ein nicht nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiertes Vorhaben scheitert im Außenbereich bereits dann, wenn es öffentliche Belange beeinträchtigt (vgl. § 35 Abs. 2 BauGB). Von den in § 35 Abs. 4 BauGB genannten Ausnahmen abgesehen, die hier nicht in Betracht kommen, liegt eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange bereits dann vor, wenn das Vorhaben den Darstellungen eines Landschaftsplans oder sonstigen Plans widerspricht (vgl. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauGB). Nach der - unwidersprochenen - Darstellung des Antragsgegners ist die gegenwärtige Nutzung des Geländes mit den Festsetzungen des seit dem 2. März 1998 geltenden "Landesentwicklungsplan engerer Verflechtungsraum Berlin/Brandenburg (LEP eV)" unvereinbar, weil der Markt im Freiraum und in einer Grünzäsur liegt (PFB S. 149). Allein die Tatsache, dass die landesplanerische Festsetzung der tatsächlichen Situation widerspricht, die sich seit Jahren verfestigt hat, stellt die Beeinträchtigung öffentlicher Belange nicht in Frage (vgl. zum Flächennutzungsplan BVerwG, Beschluss vom 1. April 1997 - BVerwG 4 B 11.97 - Buchholz 406.11 § 35 BauGB Nr. 328, S. 88). Denn die in der Landesplanung zum Ausdruck kommende Konkretisierung der öffentlichen Belange muss nicht mit der tatsächlichen Situation übereinstimmen, wenn - wie hier - deren künftige Veränderung angestrebt wird, um eingetretene Fehlentwicklungen abzustellen. Letzteres ist hier erkennbar der Fall. Aufgrund der genannten landesplanerischen Festsetzung ist erst im Jahre 1999 der Versuch der Gemeinde Großziethen, den Markt an der B 96 in ihrem Flächennutzungsplan als Sonderbaufläche auszuweisen, gescheitert (PFB S. 152). Es besteht somit keine realistische Chance, dass das Marktgeschehen auf dem Gelände der ehemaligen Grenzübergangsstelle durch eine Bauleitplanung nachträglich legalisiert werden könnte.
Angesichts dieser Gegebenheiten kann dahinstehen, ob die Nutzung des Geländes als Marktfläche - wie der Antragsgegner geltend macht - noch weitere öffentliche Belange beeinträchtigt (etwa ein Verstoß gegen § 9 FStrG vorliegt oder die bisherige Erschließung über die Ziethener Straße negative Auswirkungen auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf der B 96 hat). Entscheidend ist, dass sich die Antragstellerinnen nicht mit Erfolg darauf berufen können, der Marktbetrieb sei "baugenehmigungsfrei" eröffnet worden. Dieses von den Antragstellerinnen angeführte Argument stützt sich offenbar auf die Erwägung, dass sich nach § 29 Abs. 1 Satz 1 BauGB a.F. die Anwendung der §§ 30 ff. BauGB ursprünglich nur auf bauaufsichtlich genehmigungs- oder anzeigepflichtige Vorhaben erstreckte. Die Antragstellerinnen verkennen dabei aber, dass bereits § 29 Satz 3 BauGB 1986 die strikte Verknüpfung des Bauplanungsrechts mit dem bauaufsichtlichen Verfahren aufgehoben hat. Danach galten u.a. für "Lagerstätten", auf die § 29 Abs. 1 Satz 1 BauGB keine Anwendung finden konnte, die §§ 30 ff. BauGB entsprechend. Der Begriff der Lagerstätte, der sich nunmehr auch in § 29 Abs. 1 BauGB 1998 wieder findet, ist weit auszulegen. Er umfasst Grundstücksflächen, auf denen dauerhaft Gegenstände im weitesten Sinne gelagert werden, d.h. abgelegt oder abgestellt werden, unabhängig von dem Zweck, den der Betreiber der Lagerstätte mit der Lagerung verfolgt und unabhängig davon, ob und innerhalb welcher Zeiträume die gelagerten Gegenstände jeweils ausgewechselt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 1999 - BVerwG 4 B 44.99 - Buchholz 406.11 § 29 BauGB Nr. 62). Selbst wenn demnach die Errichtung von Marktständen - wie die Antragstellerinnen geltend machen - nach Landesrecht ein bauaufsichtlich genehmigungs- oder anzeigefreies Vorhaben darstellen sollte, bleibt es dabei, dass vorliegend alles für ein bauplanungsrechtlich unzulässiges Außenbereichsvorhaben spricht. Denn selbst wenn die Stände jeweils nur an den Markttagen errichtet und mit Waren bestückt
werden sollten, wird damit das Gelände als Lagerstätte genutzt.
Die Antragstellerinnen werden den von ihnen gegen die Planfeststellung geltend gemachten Abwehranspruch auch nicht auf einen - wie auch immer gearteten - "Bestandsschutz" stützen können, der sich aus der behördlichen Duldung des Vorhabens entwickelt haben könnte. Die der Gemeindeverwaltung Großziethen seitens des Straßenbauamts Potsdam erteilte Sondernutzungserlaubnis vom 9. März 1992, die die Wiederanbindung der Ziethener Straße an die B 96 zum Gegenstand hat, enthält hinsichtlich des Marktes an der B 96 einen ausdrücklichen Entscheidungsvorbehalt (PFB S. 159). Auch das sonstige Verhalten der zuständigen Behörden, soweit dieses aktenkundig geworden ist, bot den Antragstellerinnen keinen Anlass, auf einen dauerhaften Fortbestand des Marktes zu vertrauen. Offenkundig ist die Entwicklung des Marktes nur deswegen hingenommen worden, weil die Behörden damit rechneten, dass der von Anfang an geplante Ausbau der B 96 ohnehin in absehbarer Zeit zu einer Bereinigung der bauplanungsrechtlichen Fehlentwicklung führen würde (PFB S. 161). Dass die straßenrechtliche Planfeststellung sich dann verzögert hat und das Marktgeschehen infolge dessen über einen erheblichen Zeitraum geduldet worden ist, schafft noch keinen Vertrauenstatbestand.
Nicht durchschlagend ist auch der Einwand der Antragstellerinnen, die Inanspruchnahme der Flächen sei nicht hinnehmbar, soweit sie dazu dienen solle, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu verwirklichen. Wie der Planfeststellungsbeschluss (S. 160) zutreffend anmerkt, ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die Enteignungsermächtigung des § 19 Abs. 1 Satz 1 FStrG sich auch auf die Flächen erstreckt, die für die gebotene naturschutzrechtliche Kompensation geeignet sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. August 1996 - BVerwG 4 A 29.95 - Buchholz 407.4 § 19 FStrG Nr. 8, S. 10 f.).
Auch die sonstigen Einwände, mit denen sich speziell die Antragstellerin zu 2 gegen Erschwernisse wendet, die aus ihrer Sicht bei der landwirtschaftlichen Nutzung der Flurstücke 101/3, 156/3, 157/3, 160/1 und 160/3 zu erwarten sind, haben offensichtlich nicht das Gewicht, einen Baustopp zu rechtfertigen. Teilweise können diese Nachteile, deren Eintritt der Antragsgegner ohnehin bestreitet, erforderlichenfalls durch Auflagen nach § 74 Abs. 2 Satz 2 VwVfG vermieden werden. Soweit die Nachteile dagegen, obwohl sie unzumutbar sind, hingenommen werden müssen, steht der Antragstellerin nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG allenfalls ein Entschädigungsanspruch zu. Zur Sicherung dahin gehender Ansprüche auf schlichte Planergänzung ist ein Aussetzungsantrag nach § 80 VwGO nicht der geeignete Rechtsbehelf (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. April 1998 - BVerwG 11 VR 13.97 - Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 63).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO und § 100 Abs. 1 ZPO, die Streitwertfestsetzung aus § 13 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 3 GKG i.V.m. § 5 ZPO, wobei der Senat davon ausgeht, dass die gewerblichen Interessen, die von den Antragstellerinnen mit ihrer Klage verfolgt werden, in etwa gleichgewichtig sind und - mangels näherer Angaben zu den erzielten Erträgen - im Hauptsacheverfahren pauschal mit jeweils 60 000 € bewertet werden können.