Beschluss vom 22.12.2004 -
BVerwG 1 B 94.04ECLI:DE:BVerwG:2004:221204B1B94.04.0

Beschluss

BVerwG 1 B 94.04

  • OVG des Landes Sachsen-Anhalt - 24.03.2004 - AZ: OVG 3 L 95/01

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Dezember 2004
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts E c k e r t z - H ö f e r
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. M a l l m a n n und H u n d
beschlossen:

  1. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 24. März 2004 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Die zulässige Beschwerde ist mit der Rüge eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) begründet. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurück.
Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht einen Beweisantrag des Beigeladenen verfahrensfehlerhaft abgelehnt hat. Die Ablehnungsgründe finden im Gesetz keine Stütze.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht beantragt, durch Vernehmung der Frau I. als Zeugin Beweis darüber zu erheben, dass sie "im Sommer 1999 ihre Familie in B. besucht habe, dort von der Polizei vernommen und ihr erklärt worden sei, man habe Informationen, dass der Kläger Mitglied der PKK sei und man habe sogar Beweise, dass er zur Guerilla gehöre" (OVG-Akte Bl. 223).
Das Berufungsgericht hat den Beweisantrag abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt (UA S. 21 f.), es unterstelle die in das Wissen der Zeugin gestellten Tatsachen als wahr. Die Erklärungen der Polizei gegenüber der Zeugin ließen nicht den Schluss zu, dass man bereits über entsprechende konkrete Informationen verfügt habe. Die darin enthaltene Behauptung, dass der Kläger Mitglied der PKK sei bzw. man sogar entsprechende Beweise habe, sowie die Erwähnung des Namens des angeblichen Überläufers P. ließen sich vielmehr als ermittlungstaktische Vernehmungsform deuten, mit der die Zeugin habe beeindruckt und zur Preisgabe von Informationen veranlasst werden sollen.
Demgegenüber macht die Beschwerde zu Recht geltend, dass die Wahrunterstellung der in das Wissen der Zeugin gestellten Angaben auf eine vorweggenommene Beweiswürdigung hinausläuft. Zwar liegt eine grundsätzlich verbotene Vorwegnahme der Beweiswürdigung in der Regel nicht vor, wenn das Tatsachengericht von der Erhebung eines Beweises zu Indizien absieht, weil die unter Beweis gestellten Hilfstatsachen für den Nachweis der Haupttatsache nicht ausreichen (vgl. Beschluss vom 20. Mai 1998 - BVerwG 7 B 440.97 - Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 153). Das Berufungsgericht hätte aber hier ohne persönliche Vernehmung und eine ins Einzelne gehende Befragung der Zeugin nicht zu der Überzeugung gelangen dürfen und können, die in deren Wissen gestellten Aussagen der Polizei seien nur aus ermittlungstaktischen Gründen (also ohne substanziellen Wahrheitsgehalt) gegenüber der Zeugin gemacht worden. Dabei kann offen bleiben, ob die vorgenommene Bewertung der als wahr unterstellten Hilfstatsachen unter den gegebenen Umständen nicht sogar unvertretbar erscheint und ob auch deshalb ein Verfahrensrechtsverstoß in Betracht kommt (vgl. Beschluss vom 20. Mai 1998 a.a.O.). Außerdem hätte das Berufungsgericht den Beweisantrag auch deshalb wegen Wahrunterstellung mit der gegebenen Begründung nicht ablehnen dürfen, weil es hierbei nur von einer Verfolgungsgefahr als "Mitglied der PKK bzw. der Guerilla" (UA S. 21) ausgegangen ist, ohne die nahe liegende Möglichkeit einer Verdachtsverfolgung in den Blick zu nehmen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Vernehmung der Zeugin zur Überzeugung des Berufungsgerichts zumindest ergeben hätte, dass der Kläger gewalttätige separatistische Aktivitäten der PKK unterstützt. Ein solcher Verdacht würde nach dem Maßstab des Berufungsgerichts (UA S. 17 f.) eine hinreichende Sicherheit des Klägers am Ort der Fluchtalternative ausschließen. Damit verletzt die Ablehnung des Beweisantrags mit der ihr gegebenen Begründung Verfahrensrecht. Die Entscheidung beruht auch auf dem Verfahrensfehler, denn es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht bei einer Beweiserhebung zu einer anderen Entscheidung in der Sache gelangt wäre.