Beschluss vom 22.12.2008 -
BVerwG 5 B 100.08ECLI:DE:BVerwG:2008:221208B5B100.08.0

Beschluss

BVerwG 5 B 100.08

  • OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 11.08.2008 - AZ: OVG 2 A 4334/05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 22. Dezember 2008
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Hund
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Brunn und Dr. Störmer
beschlossen:

  1. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. August 2008 wird aufgehoben.
  2. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
  3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist im Hinblick auf die angebrachte Verfahrensrüge begründet. Zur Beschleunigung des Verfahrens macht der beschließende Senat von seinem Ermessen Gebrauch, die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

2 1. Dem angefochtenen Urteil haftet ein Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO an. Vor dem Hintergrund der rechtlichen Annahmen des Oberverwaltungsgerichts zur entscheidungstragend herangezogenen Vorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG (namentlich des Ausnahmemerkmals im letzten Teilsatz über die fehlende Nachweismöglichkeit infolge Behinderung) hätte sich dem Oberverwaltungsgericht aufdrängen müssen, sich (zunächst) mit Hilfe eines medizinischen Sachverständigengutachtens oder zumindest einer Vernehmung des von der Klägerin benannten Oberarztes (Prof. Dr. H.) als Sachverständigen oder sachverständigen, mit den vorgelegten Krankenunterlagen befassten Zeugen zum behaupteten und durch Unterlagen gestützten Krankenschicksal der Klägerin eine fundiertere Gewissheit in Bezug auf seine Annahme zu verschaffen, zu Ungunsten der Klägerin sei - erstens (S. 14 bis 19 der Urteilsgründe) - nicht festzustellen, dass sie zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über ihren Aufnahmeantrag die familiäre Vermittlung der deutschen Sprache aufgrund einer später eingetretenen Behinderung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX durch ein einfaches Gespräch auf Deutsch nicht mehr nachweisen könne, und - zweitens (S. 19 ff. der Urteilsgründe) -, dass sie zum gleichen Zeitpunkt aufgrund familiärer Vermittlung in der Lage gewesen sei, ein einfaches Gespräch auf Deutsch zu führen. Beide Feststellungen hängen in ihrer Tragfähigkeit - wie auch der Sache nach in den Urteilsgründen dargelegt ist - entscheidend davon ab, ob die Klägerin schon vor oder während der Durchführung des Sprachtests in der deutschen Auslandsvertretung am 8. Oktober 2002 in einer Weise gesundheitlich geschädigt war, dass - so die Behauptungen der Klägerin - zum einen der Sprachtest keine verlässlichen Ergebnisse hat erbringen können und zum anderen seither (bzw. seit wenigen Tagen danach) der Nachweis im vorbezeichneten Verständnis nicht mehr möglich ist. Diese entscheidungserheblichen Fragen hätte das Oberverwaltungsgericht mangels eigener Sachkunde hinsichtlich der Krankheitsgeschichte der Klägerin gemäß § 86 Abs. 1 VwGO weiter aufklären können und müssen.

3 Von der Klägerin vorgetragen, von der Beklagten nicht bestritten und vom Oberverwaltungsgericht auch offenbar der Sache nach zugrunde gelegt worden ist, dass die Klägerin bereits vor ihrem Sprachtest am 8. Oktober 2002 unter erheblichem Bluthochdruck gelitten hat; insoweit hat sie eine Bescheinigung eines Kreiskrankenhauses über eine stationäre Behandlung vom 16. bis 27. September 2002 vorgelegt. Weiterhin hat die Bevollmächtigte der Klägerin - unter Vorlage ausländischer Krankenberichte sowie unter Benennung des vorbezeichneten Oberarztes, welcher es im Vorfeld unternommen hatte, diese ausländischen Krankenberichte über die Klägerin zu erläutern - vorgebracht (insbesondere zunächst im Schriftsatz vom 4. September 2007 und sodann im Schriftsatz vom 21. Juli 2008), dass die Klägerin am Vortag des Tests nach einer über 30-stündigen Busfahrt in Wolgograd zur Notfallbehandlung in die Kardiologie eingeliefert worden sei; weil sie den Test nicht habe verpassen wollen, sei sie gleichwohl am Abend mit dem Zug zum Ort des Tests (Saratow) weitergefahren, wo sie am Testtag frühmorgens angekommen sei. Nach dem Test habe sie am 12. Oktober 2002 einen Schlaganfall erlitten, dem im Juli 2004 zumindest ein weiterer Schlaganfall gefolgt sei; womöglich seien auch weitere - von der Klägerin nicht bemerkte - Schlaganfälle aufgetreten (möglicherweise bereits im Jahr 2001).

4 Diesem Vorbringen hätte das Oberverwaltungsgericht nachgehen müssen, zumal es den Vortrag zu einem Schlaganfall mit Auswirkungen auf die linke Gehirnhälfte bereits im Jahre 2001 zwar als unglaubhaft bezeichnet, gleichwohl aber bei seinen weiteren Erwägungen als wahr unterstellt (UA S. 17/18) und davon abgesehen hat, die Einreichung eines Originals bzw. einer beglaubigten Fotokopie der vorgelegten Epikrise sowie ggf. weiterer Angaben zu dem behandelnden Neurologen und der Poliklinik zu verlangen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberverwaltungsgericht bei weiterer Aufklärung des Sachverhalts zu einer für die Klägerin günstigeren Feststellung dazu gelangt, dass sie die nach § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVFG erforderlichen Sprachkenntnisse und deren familiäre Vermittlung krankheitsbedingt nicht nachweisen konnte und kann.

5 2. Auf die weiter erhobene Grundsatzrüge kommt es demnach nicht an, zumal deren Entscheidungserheblichkeit ohne Ausräumung des Verfahrensfehlers nicht beurteilt werden kann.

6 Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.