Beschluss vom 23.09.2002 -
BVerwG 8 B 68.02ECLI:DE:BVerwG:2002:230902B8B68.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 23.09.2002 - 8 B 68.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2002:230902B8B68.02.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 68.02

  • VG Potsdam - 28.01.2002 - AZ: VG 9 K 229/97

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. September 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. M ü l l e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
K r a u ß und G o l z e
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 28. Januar 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 81 806,70 € festgesetzt.

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, vgl. 1). Das verwaltungsgerichtliche Urteil weicht auch nicht von einer in der Beschwerde bezeichneten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, vgl. 2). Ein geltend gemachter Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, liegt nicht vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, vgl. 3).
1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.
Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig die Frage, ob der Restitutionsausschluss des § 1 Abs. 8 Buchst. a 1. Halbsatz VermG auch gilt für Enteignungen von Vermögenswerten, die als plünderungsähnliche Handlungen im Sommer 1945 von Vertretern deutscher Behörden bzw. damaligen Amtsinhabern im Eigeninteresse vorgenommen wurden.
Diese Frage ist nicht entscheidungserheblich. Aufgrund seiner nicht mit erfolgreichen Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen (vgl. 3) ist das Verwaltungsgericht - ohne von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abzuweichen (vgl. 2) - zu dem Ergebnis gelangt, dass Mitte 1945 noch keine Enteignung erfolgte.
Im Übrigen lässt sich diese Frage anhand der vorliegenden ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres beantworten. Der Bürgermeister als Privatperson konnte keine Vermögenswerte enteignen. Möglich gewesen wäre allenfalls, dass die Gemeinde - handelnd durch den Bürgermeister - das Grundstück enteignete. Wenn dies der Fall wäre, würde folgendes gelten: Da die sowjetische Besatzungsmacht als Inhaberin der obersten Hoheitsgewalt bei der Verwirklichung der von ihr oder mit ihrem Einverständnis angeordneten Maßnahmen jederzeit lenkend und korrigierend eingreifen konnte, erstreckt sich ihre Verantwortung grundsätzlich auch auf die von den deutschen Stellen geübte Enteignungspraxis, selbst wenn die einschlägigen Rechtsgrundlagen exzessiv ausgelegt oder nach rechtstaatlichen Grundsätzen willkürlich angewandt wurden bzw. wenn die deutschen Stellen ohne jede Rechtsgrundlage gehandelt haben. Auch derartige Enteignungsmaßnahmen deutscher Stellen sind der sowjetischen Besatzungsmacht zuzurechnen, wenn sie von ihr jedenfalls stillschweigend geduldet wurden. Der besatzungsrechtliche Zurechnungszusammenhang entfällt bei Maßnahmen deutscher Stellen erst dann, wenn die Besatzungsmacht das Handeln generell oder im Einzelfall ausdrücklich missbilligt und ein entsprechendes Verbot verhängt hatte (stRspr, vgl. u.a. Urteil vom 27. Juli 1999 - BVerwG 7 C 36.98 - Buchholz 428 § 1 Abs. 8 VermG Nr. 6 S. 20 <22> m.w.N.). Dass ein solches Enteignungsverbot vorlag, wird von der Beschwerde nicht vorgetragen.
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nur dann hinreichend bezeichnet (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 1. September 1997 - BVerwG 8 B 144.97 - Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50 S. 7 <11>). Die Beschwerde muss also die angeblich widersprüchlichen abstrakten Rechtssätze einander gegenüberstellen. Ob die Beschwerde dem genügt, kann dahinstehen. Jedenfalls weicht das verwaltungsgerichtliche Urteil nicht von einer der in der Beschwerde bezeichneten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts ab. Vielmehr geht das Verwaltungsgericht ausdrücklich von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus und wendet sie auf den vorliegenden Einzelfall an. Dies erkennt auch die Beschwerde, wenn sie ausführt, das Verwaltungsgericht weiche in seiner Entscheidung von den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätzen ab, obwohl es sich diesen Grundsätzen in den Entscheidungsgründen angeschlossen habe. Auch geht die Beschwerde davon aus, dass sich das Verwaltungsgericht der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts angeschlossen, sie aber auf den vorliegenden Sachverhalt nicht angewendet habe. Selbst wenn diese Auffassung der Beschwerde zuträfe, läge darin keine Divergenz sondern lediglich ein Rechtsanwendungsfehler im Einzelfall.
3. Es liegt kein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die geltend gemachte Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) wird teilweise nicht prozessordnungsgemäß dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Eine Aufklärungsrüge setzt die Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis diese Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte, inwiefern das verwaltungsgerichtliche Urteil unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Gerichts auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann und dass die Nichterhebung der Beweise vor dem Tatsachengericht rechtzeitig gerügt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Beweisaufnahme dem Gericht hätte aufdrängen müssen. Soweit die Beschwerde einige Male allgemein ausführt, das Verwaltungsgericht sei seiner Aufklärungspflicht nicht nachgekommen, genügt sie nicht dem Darlegungsgebot. Ebenso wenig wird eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht prozessordnungsgemäß bezeichnet, soweit die Beschwerde ausführt, das Verwaltungsgericht habe es unterlassen, in den Verwaltungsvorgängen enthaltene Unterlagen in seine Entscheidungsfindung einzubeziehen. Diesbezüglich liegt auch keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) vor (vgl. unten).
Das Verwaltungsgericht hat seine Aufklärungspflicht nicht dadurch verletzt, dass es Frau K. nicht als Zeugin vernommen hat. In der Klagebegründung war die Vernehmung von Frau K. als Zeugin angeregt worden zum Beweis der Tatsache, dass die Familie E. im Sommer 1945 von dem Bürgermeister aus dem Haus vertrieben wurde (VG-Akte Bl. 41). Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht (VG-Akte Bl. 176 f.) erklärten die Kläger demgegenüber in der mündlichen Verhandlung, die Familie E. habe das Haus verlassen kurz bevor die Familie des Bürgermeisters dieses bezogen habe. Angesichts dieses geänderten Vortrags musste es sich dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen, ohne Beweisantrag der anwaltlich vertretenen Kläger Frau K. zu der Tatsache, ob Familie E. nicht doch von dem Grundstück vertrieben wurde, als Zeugin zu vernehmen.
Das Verwaltungsgericht hat auch den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) nicht verletzt.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist keine Überraschungsentscheidung. Zum einen konnte es die Kläger nicht überraschen, dass das Verwaltungsgericht auf ein bei den beigezogenen Behördenakten befindliches Schreiben hingewiesen hat. Vielmehr hätten die anwaltlich vertretenen Kläger vor der mündlichen Verhandlung Akteneinsicht nehmen können. Zum anderen hätte der die Kläger vertretende Rechtsanwalt eine Vertagung beantragen können, um mit den Klägern persönlich Rücksprache nehmen zu können. Dies hat er - ausweislich des Sitzungsprotokolls - unterlassen. Damit hat er die sich ihm bietenden Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, nicht genutzt. Voraussetzung einer begründeten Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs ist aber die erfolglose vorherige Ausschöpfung sämtlicher verfahrensrechtlich eröffneter und nach Lage der Dinge tauglichen Möglichkeiten, sich rechtliches Gehör zu verschaffen
(stRspr, vgl. Urteil vom 15. Dezember 1976 - BVerwG 8 C 54.76 - Buchholz 448.0 § 12 WpflG Nr. 113 S. 75 <80>).
Ebenso wenig hat das Verwaltungsgericht den Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es in den Gründen seiner Entscheidung sich nicht ausdrücklich mit einigen mit der Klageschrift eingereichten Unterlagen auseinandersetzt. Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet zwar das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und ernsthaft in seine Erwägungen einzubeziehen (BVerfGE 69, 233 <246>). Es ist jedoch nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen. Grundsätzlich ist vielmehr davon auszugehen, dass das Gericht insbesondere schriftsätzlichen Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, soweit nicht gegenteilige Anhaltspunkte vorhanden sind (BVerfGE 51, 126 <129>). An solchen Anhaltspunkten fehlt es hier. Die Anlagen zur Klageschrift sollen nach dem Vortrag der Beschwerde das Interesse des Bürgermeisters an der Aneignung des streitgegenständlichen Grundstücks belegen. Dass die Gemeinde, handelnd durch den Bürgermeister das Grundstück bereits im Sommer 1945 enteignet hat, können sie nicht belegen. Das Verwaltungsgericht muss sich in seinen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich mit allen Dokumenten, die als Indizien für seine Sachverhalts- und Beweiswürdigung von Bedeutung sein können, auseinandersetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf den §§ 13 und 14 GKG.