Beschluss vom 23.10.2006 -
BVerwG 6 B 29.06ECLI:DE:BVerwG:2006:231006B6B29.06.0

Beschluss

BVerwG 6 B 29.06

  • VG Berlin - 15.02.2006 - AZ: VG 23A 47.05

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. Oktober 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Büge
und Dr. Graulich
beschlossen:

  1. Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, wird abgelehnt.
  2. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 15. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  4. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 1. Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den folgenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

2 2. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Kläger hat einen Revisionszulassungsgrund (§ 132 Abs. 2 VwGO) nicht dargetan. Es greift weder die Gehörsrüge (a) noch die Rüge fehlerhafter Sachverhaltsfeststellung und Urteilsbegründung durch (b). Auch ist das Urteil nicht über das Klagebegehren hinausgegangen (c).

3 a) Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) bleibt ohne Erfolg.

4 Der Kläger trägt insoweit vor, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei dadurch verletzt worden, dass durch Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6. September 2005 sein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für den erstinstanzlichen Rechtszug abgelehnt worden sei. Die Anfechtungsklage gegen den Einberufungsbescheid sei nicht mutwillig gewesen. Er habe erst nach der anwaltlichen Beratung erfahren, dass er infolge Marihuanagebrauchs gesundheitlich geschädigt sei und dieser Umstand einer Einberufung entgegenstehe. Aufgrund der rechtswidrigen Vorenthaltung von Prozesskostenhilfe sei ihm im weiteren Verlauf des Rechtsstreits rechtliches Gehör versagt worden. Da er in den USA lebe und mit dem deutschen Prozessrecht unvertraut sei, habe er ohne anwaltliche Unterstützung nicht wissen können, wie der Rechtsstreit zu Ende zu bringen sei. Seinem Prozessbevollmächtigten sei es nicht zuzumuten gewesen, ohne realistische Aussicht auf Erfüllung seines Gebührenanspruchs unentgeltlich weiter tätig zu sein. Wenn das Verwaltungsgericht ihm Prozesskostenhilfe gewährt hätte, hätte der Prozessbevollmächtigte für ihn die Erledigungserklärung abgegeben.

5 Die Voraussetzungen, unter denen der Anspruch eines Klägers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO dadurch verletzt wird, dass ihm in rechtswidriger Weise Prozesskostenhilfe vorenthalten und er dadurch um die Möglichkeit anwaltlichen Beistandes gebracht wird (vgl. dazu den Beschluss vom 8. März 1999 - BVerwG 6 B 121.98 - NVwZ-RR 1999, 587), liegen nicht vor.

6 Der beschließende Senat ist zwar an der Überprüfung des die Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschlusses im Rahmen des auf Zulassung der Revision gerichteten Beschwerdeverfahrens nicht deshalb gehindert, weil § 34 Satz 1 WPflG die Beschwerde gegen derartige Entscheidungen des Verwaltungsgerichts ausschließt. Durch § 557 Abs. 2 ZPO wird die Rüge von solchen Verfahrensmängeln nämlich nicht ausgeschlossen, die als Folge der beanstandeten Vorentscheidung weiterwirkend der angefochtenen Sachentscheidung anhaften, also insbesondere nicht die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs (vgl. zu § 548 ZPO a.F.; Urteil vom 17. Februar 1972 - BVerwG 8 C 84.70 - BVerwGE 39, 319 <324> = Buchholz 448.0 § 21 WPflG Nr. 11 S. 19; Beschlüsse vom 21. Februar 1973 - BVerwG 4 CB 68.72 - Buchholz 310 § 173 VwGO Anh. § 548 ZPO Nr. 2, vom 16. Februar 1988 - BVerwG 5 B 13.88 - Buchholz 303 § 548 ZPO Nr. 4, vom 22. Dezember 1997 - BVerwG 8 B 255.97 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr. 16 und vom 3. Februar 1998 - BVerwG 1 B 4.98 - InfAuslR 1998, 219). Dieser Gesichtspunkt würde hier nämlich für den Fall eingreifen, dass die Versagung von Prozesskostenhilfe durch den unanfechtbaren Beschluss vom 6. September 2005 als Gehörsverstoß dem angefochtenen Urteil anhaften würde (vgl. in diesem Zusammenhang BSG, Urteil vom 17. Februar 1998 - B 13 RJ 83/97 R - MDR 1998, 1367).

7 Dies ist aber nicht der Fall. Selbst wenn dem Kläger durch den vorgenannten Beschluss zu Unrecht Prozesskostenhilfe versagt worden sein sollte, würde sich dies nicht als dem angefochtenen Urteil anhaftender Gehörsverstoß darstellen. Der auch nach der Ablehnung von Prozesskostenhilfe weiterhin durch seinen bevollmächtigten Anwalt vertretene Kläger hatte Gelegenheit, sich zum weiteren Gang des Klageverfahrens zu äußern, und er hat dies mit Schriftsatz vom 13. September 2005 auch getan. Zudem hat ihn das Verwaltungsgericht schriftlich und fernmündlich auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit des unverändert gestellten Anfechtungsantrags hingewiesen. Angesichts dessen, dass die Beklagte dem Klagebegehren durch Aufhebung des angefochtenen Einberufungsbescheides abgeholfen hatte und die Voraussetzungen für den Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage auf Seiten des Klägers offenbar nicht gegeben waren, musste sich dessen Bevollmächtigtem nach Lage der Dinge als einzige prozessual gebotene Reaktion aufdrängen, die Hauptsache für erledigt zu erklären. Daran war er nicht durch die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags gehindert. Zwar gab ihm der Prozesskostenhilfebeschluss des Verwaltungsgerichts vom 6. September 2005 möglicherweise Anlass zu der Entscheidung, den Kläger zur Vermeidung zusätzlicher ungedeckter Kosten nicht länger im Verfahren zu vertreten und das Mandat niederzulegen. Dagegen konnte der Beschluss im Falle der Fortführung des Mandats nicht als Grund dafür dienen, die Abgabe der im Hauptsacheverfahren gebotenen Erledigungserklärung allein aus Kostengründen zu verweigern. Im Übrigen hätte der Kläger bei der Abgabe der Erledigungserklärung nicht notwendig die Verfahrenskosten selbst tragen müssen. Denn der Prozessbevollmächtigte hätte die Erledigungserklärung zur Wahrung rechtlichen Gehörs mit einem Vortrag verbinden können, mit welchem er - in Ergänzung seines Schriftsatzes vom 30. Juni 2005 - erneut nachdrücklich zu der nach seiner Auffassung gegebenen Rechtswidrigkeit des Einberufungsbescheides wegen der von der Beklagten angesetzten Tauglichkeitsüberprüfung ausgeführt und zugleich zur Vermeidung einer zu Lasten des Klägers gehenden Billigkeitsentscheidung dargelegt hätte, weshalb jedenfalls ab dem Zeitpunkt seiner anwaltlichen Einschaltung die eingeschlagene Verfahrensweise zur effektiven Interessenwahrnehmung unvermeidlich war. Einer sorgfältigen Auseinandersetzung mit einer derartigen Argumentation hätte sich das Verwaltungsgericht in seiner abschließenden Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO schon mit Blick auf § 152a VwGO schwerlich entziehen können. Stattdessen hat der Bevollmächtigte durch die Verweigerung der Erledigungserklärung das ergangene Urteil und das anschließende Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ausgelöst und damit den Verfahrensaufwand unangemessen erhöht. Hat der Kläger es somit versäumt, sich nach der Versagung der Prozesskostenhilfe im Rahmen sachlich gebotener Verfahrensweise Gehör zu verschaffen, so war das klageabweisende Urteil unvermeidlich, ohne dass diesem seinerseits noch ein Gehörsverstoß anhaftet.

8 b) Die Rüge der fehlerhaften Sachverhaltsfeststellung und Urteilsbegründung (§ 108 Abs. 1 VwGO) bleibt ebenfalls ohne Erfolg.

9 Zur Begründung der Beschwerde wird insoweit ausgeführt, weder im angefochtenen Urteil noch im Beschluss über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe sei die im Klägerschriftsatz vom 30. Juni 2005 dargelegte Überprüfungsuntersuchung erwähnt worden, die vor dem Gestellungstermin eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen worden sei. Dieser Umstand sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber für die Rechtmäßigkeit des Einberufungsbescheides entscheidend.

10 Die Rüge ist unbegründet. Nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO müssen in einem Urteil die Gründe angegeben werden, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Diese Vorschrift verpflichtet das Gericht, in den Urteilsgründen die tatsächlichen Umstände und rechtlichen Erwägungen wiederzugeben, die es bestimmt haben, die Voraussetzungen für seine Entscheidung als erfüllt anzusehen. Das Urteil muss erkennen lassen, dass das Gericht den ermittelten Tatsachenstoff wertend gesichtet hat und in welchen konkreten Bezug es ihn zu den angewendeten Rechtsnormen gesetzt hat (Urteil vom 18. Februar 1981 - BVerwG 6 C 159.80 - BVerwGE 61, 365 - 370 = Buchholz 448.0 § 25 WPflG Nr. 119). Die dafür im Urteil enthaltenen Tatsachenfeststellungen sind ausreichend, denn das Verwaltungsgericht hat - nach Erledigung der Hauptsache - nur noch über die nach seiner Rechtsansicht fehlende Zulässigkeit der Klage entschieden und diese verneint. Mit der Rechtmäßigkeit des Einberufungsbescheides hatte es sich demnach nicht mehr zu befassen.

11 c) Die Rüge einer Verletzung des § 88 VwGO ist ebenfalls unbegründet. Nach dieser Regelung darf das Gericht nicht über das Klagebegehren hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Die Klage war ursprünglich auf die Aufhebung des Einberufungsbescheides gerichtet. Dieses Begehren hat sich durch die Aufhebung des Einberufungsbescheides erledigt. Daraus hat der Kläger nicht die prozessrechtliche Konsequenz einer Antragsumstellung gezogen und dies damit erklärt, dass er vorrangig auf einer positiven Entscheidung über seinen Prozesskostenhilfeantrag bestehe. Aber auch nach dem ablehnenden Beschluss vom 6. September 2005 hat er trotz ausdrücklicher Aufforderung durch das Verwaltungsgericht keine Prozesserklärung abgegeben, welche dem Umstand der Erledigung Rechnung trug. Insofern bestand das ursprüngliche auf Aufhebung des Einberufungsbescheides gerichtete Klagebegehren fort, wie es im Klageschriftsatz vom 12. Mai 2005 formuliert worden war.

12 3. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen, weil er unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO). Der Streitwert bestimmt sich nach § 52 Abs. 2 GKG.